„Ja.“
„ Und Sie kommen zum HWS- Röntgen?“
„ Ja, stimmt auch.“
„ Jahrgang ´91?“
„ Hm.“
„ Na also. Wie ich schon sagte, das ist doch keine Therapie hier. Bei Ihren Beschwerden muss etwas anderes veranlasst werden.“ Dabei gab sie Daten in eine Tastatur ein und verstellte zwei Hebel am Röntgengerät, das in der Mitte des Raumes aufgebaut war. In mir stritten sich Empörung, Ratlosigkeit und Selbstzweifel. Mir fiel ein, dass ich noch vor wenigen Tagen nicht in der Lage gewesen war, Fragen nach meinem Befinden und meinen Aktivitäten der letzten vier Wochen zu beantworten. Ist es möglich, bin ich schon dermaßen vergesslich? Nein! Ich habe definitiv noch nie Beschwerden mit der Wirbelsäule gehabt und war noch nie hier gewesen, sprach ich mir selbst Mut zu.
Die Schwester zeigte auf eine Aufnahmewand und forderte mich auf, davor zu treten. Stirn und Kinn in einer Lederhalterung wie Zaumzeug, bekam ich einen schweren Sattel um die Hüften gehängt. Dann berührte mich etwas Kaltes im Nacken und ich fuhr erschrocken zurück. Mein Kopf stieß an einen harten Gegenstand und meine Feindin feuerte ihren nächsten Befehl ab: „Nicht bewegen! Ich durchleuchte jetzt. Sie rühren sich erst, wenn ich es sage.“ Sie lief hinaus und rief mir zu: „Einatmen, Luft anhalten “, es piepte, „und ausatmen.“
Wahrscheinlich werden Krankenschwestern naturgemäß irgendwann übergriffig und besserwisserisch. Jahrelang von Patienten um Hilfe gebeten, können sie gar nicht mehr aufhören, immer allen zu sagen, wo es lang geht, dabei stets überzeugt, nur die eigene Meinung sei richtig.
Aber ganz hatte ich mich noch nicht ergeben.
Als sie mir den Bleischutzgürtel abnahm, startete ich einen letzten Versuch, meine Ehre zu retten: „Entschuldigung, wenn ich wieder davon anfange, aber ich kann mich nicht erinnern. Wann sagten Sie, war ich das letzte Mal hier?“
Sie hielt mir die Karteikarte vor. „Vor vier Wochen. Hier haben Sie das Datum.“ Ich schaute auf die Karte: „Das bin ich nicht.“
„Wieso nicht?“
„ Weil ich im Mai Geburtstag habe. Die Patientin, die vor vier Wochen hier war, ist im Oktober `91 geboren. Wir sind zwei verschiedene Personen und ich bin heute zum ersten Mal hier. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?“, trumpfte ich auf. Na bitte, ich bin doch nicht blöd.
Meinen Ausweis vor der Nase schüttelte die gute Schwester den Kopf und legte eine neue Akte an, vor sich hin murmelnd: „Das gibt es doch nicht. Alles gleich, alles bis auf den Monat.“
Sie entschuldigte sich nicht und würdigte mich keines Blickes. Ich zog mich wieder an und sie rief mir hinterher: „Haben Sie einen Röntgenpass, in den jede durchgeführte Untersuchung eingetragen wird?“
„Nein.“
„Dann stelle ich Ihnen jetzt einen aus. Nur, um Irrtümer in Zukunft auszuschließen. Sie müssen ja sowieso noch auf den Arztbefund warten.“ Den vorwurfsvollen Blick dabei konnte sie sich nicht verkneifen.
Sie hielt mir den Pass hin, als ich aus der Kabine trat:„ Auf Wiedersehen, ich sag lieber nicht ‚bis zum nächsten Mal.’“ Stumm griff ich ihn, wartete auf meine Bilder und den dazu gehörigen Befund und ging grußlos. Ganz kurz dachte ich daran, die zwei neuen Patienten im Wartezimmer aufzuhetzen, die in der Zwischenzeit eingetroffen waren.
Draußen auf der Straße schaute ich auf mein neues Dokument. Dort stand unter meinem Namen wieder der 05.Oktober, das Geburtsdatum der anderen. Wütend schleuderte ich die kleine Faltkarte von mir.
Nach ein paar Schritten besann ich mich und kehrte um. Ich hob den Ausweis wieder auf und warf ihn, wie ein ehrlicher Finder in den Postkasten am Ärztehaus. Mit Schadenfreude stellte ich mir das Gesicht meiner Doppelgängerin bei ihrem nächsten Besuch vor, wenn ihr Schwester Feldwebel meinen Röntgenpass als Beweis für ihre Untersuchung unter die Nase rieb.
Das konnte man wohl eine Entschädigung nennen. Ich dagegen würde mich nun doch überwinden müssen und die noch ausstehenden Untersuchungen im anonymen Glaskasten machen lassen, aus dem ich zuvor geflohen war.
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