Buch lesen Lyrische Ouvertüre Sora morte Laudato si’, mi Signore, per sora nostra morte corporale, da la quale nullu homo vivente pò skappare: guai a quelli ke morrano ne le peccata mortali; beati quelli ke trovarà ne le tue sanctissime voluntati, ka la morte secunda no ’l farrà male. Franz von Assisi1 Bruder Tod Auch zu mir kommst du einmal, Du vergißt mich nicht, und zu Ende ist die Qual, Und die Kette bricht. Noch erscheinst du fremd und fern, Lieber Bruder Tod, Stehest als ein kühler Stern Über meiner Not. Aber einmal wirst du nah Und voll Flammen sein – Komm, Geliebter, ich bin da, Nimm mich, ich bin dein. Hermann Hesse (1918)2 Schlußstück Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen Lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. Rainer Maria Rilke (1900/1901)3 Vielleicht Vielleicht sind wir nicht Sind wir nicht Gottes Kinder Vielleicht ist da keine Ist keine Himmelsleiter Vielleicht sitzt keiner am Ende Über uns zu Gericht. Eines ist sicher: Wir fallen, zerfallen Unsere Hände fallen ab Unsere Wangen Die Augen zuerst Eines Tages wird nichts mehr da sein Von dieser so und so Gearteten Person Nur ein Schmerz in der Magengrube Eines der sie geliebt. Marie Luise Kaschnitz (1973)4 Bruder Tod aus mittelalterlicher und heutiger Sicht. Franz von Assisi und Hermann Hesse, der eine ein Jünger Jesu, der zweite ein Jünger des Buddha. Aber auch Rilke beschäftigt sich mit ihm, ohne ihn Bruder zu nennen, und weiß um die trügerische Sicherheit, mit der wir leben, solang wir leben. Marie Luise Kaschnitz bringt es auf den Punkt, um den es in diesem Buch geht: Steht für uns eine Himmelsleiter bereit, wenn wir sterben? »Eines ist sicher: Wir fallen, zerfallen.«
Cover
Haupttitel Tullio Aurelio Wir sterben und wissen nicht wohin Bilder vom Jenseits tullio aurelio
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Tullio Aurelio
Wir sterben und wissen nicht wohin
Bilder vom Jenseits
tullio aurelio
Lyrische Ouvertüre
Präludium
Wo sich die Toten treffen – Ein fiktionaler Dialog
Berührungen mit dem Tod
Ungereimte Verse – Meine Begegnungen mit dem Tod
Die Welt – ein Friedhofsgarten
Auch Blumen sind vergänglich
Alles Fleisch ist wie Gras
Auch Menschen sind Blumen
Der Weg zur Kompostierung
Mors tua vita mea. Dein Tod ist mein Leben
Aasfresser und Lebendfresser
Der zivilisierte Aasfresser
Das Universum als großer Verdauungsapparat
Wir sind aufs Essen angewiesen und freuen uns, dass andere sterben.
Die Assimilation oder das Ähnlichwerden
Kannibalismus und Assimilation
Verdauen und Gebären. Assimilation und Recycling
Der Kreislauf der Natur
Ist Materie mit Geist beseelt? Bilder aus Philosophie und Religion
Materie und Energie – ein Recyclingsystem
Materie und Geist – die Deutungen der Welt gehen auseinander
Das hinduistische und buddhistische Samsara
Staub zu Staub – Bilder aus dem Alten Testament
Wie das Christentum auf den Geist gekommen ist
Die Seele stammt nicht von Gott, sondern von Platon und aus der Gnosis
Jenseits und Diesseits – Platon, die Gnosis, Plotin und das Christentum
Gnosis und Christentum – zwischen Nähe und Distanz
Was wir in der Bibel zum ›Jenseits‹ zu finden glauben
Die Auferstehung von den Toten
Stammt der Gedanke der Auferstehung von den Toten aus der Bibel?
Die Barke der Sonne: Die ägyptische Vorstellung vom Leben nach dem Tod
Das christliche Credo und die ägyptische Sonnenreligion
Jesus Christus, der neue Sonnengott
Jesus ist Osiris und Re
Die letzten Dinge
Gericht, Himmel und Hölle
Das Purgatorium
Die Vorhölle
Die Wahrheit der Mythen
Vom Garten Eden über das Reich des Osiris zum Kreuz Jesu: Der Baum des Lebens
Ist die Auferstehung Jesu ein Mythos?
Bilder des Diesseits fürs Jenseits
Was ist ein Mythos?
Was Bilder zeigen oder nicht zeigen
Wunsch und Wirklichkeit
›Rationale‹ Versuche, das Jenseits zu begründen
Leben, als ob es ›Gott‹ nicht gäbe
Der Grottenolm und das Licht
Leben nach dem Tod? Ein Ausblick
Wie der Vogel Ba und eine makellose platonische Idee?
Sind Geist und Gehirn vergänglich?
Ein Leben nach dem Tod ohne Gott?
Ein Code im Quantengedächtnis?
Zurück zu Brahman und zur Weltseele?
Der eigene Tod
Leben wie die Hühner, beerdigt wie Hunde
Unterwegs
Wunschlos glücklich
Leben und sterben mit Bildern – der Ikonenmaler
Am Tag danach
Danksagung
Textnachweis
Anmerkungen
Barbara, David, Magdalena und Dominik gewidmet.
Mit ihnen lebe ich gern hier auf Erden
und schiebe meine arg unsichere Himmelfahrt vor mich hin,
solange ich kann.
Sora morte
Laudato si’, mi Signore, per sora nostra morte corporale,
da la quale nullu homo vivente pò skappare:
guai a quelli ke morrano ne le peccata mortali;
beati quelli ke trovarà ne le tue sanctissime voluntati,
ka la morte secunda no ’l farrà male.
Franz von Assisi1
Bruder Tod
Auch zu mir kommst du einmal,
Du vergißt mich nicht,
und zu Ende ist die Qual,
Und die Kette bricht.
Noch erscheinst du fremd und fern,
Lieber Bruder Tod,
Stehest als ein kühler Stern
Über meiner Not.
Aber einmal wirst du nah
Und voll Flammen sein –
Komm, Geliebter, ich bin da,
Nimm mich, ich bin dein.
Hermann Hesse (1918)2
Schlußstück
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
Lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Rainer Maria Rilke (1900/1901)3
Vielleicht
Vielleicht sind wir nicht
Sind wir nicht Gottes Kinder
Vielleicht ist da keine
Ist keine Himmelsleiter
Vielleicht sitzt keiner am Ende
Über uns zu Gericht.
Eines ist sicher:
Wir fallen, zerfallen
Unsere Hände fallen ab
Unsere Wangen
Die Augen zuerst
Eines Tages wird nichts mehr da sein
Von dieser so und so
Gearteten Person
Nur ein Schmerz in der Magengrube
Eines der sie geliebt.
Marie Luise Kaschnitz (1973)4
Bruder Tod aus mittelalterlicher und heutiger Sicht. Franz von Assisi und Hermann Hesse, der eine ein Jünger Jesu, der zweite ein Jünger des Buddha. Aber auch Rilke beschäftigt sich mit ihm, ohne ihn Bruder zu nennen, und weiß um die trügerische Sicherheit, mit der wir leben, solang wir leben. Marie Luise Kaschnitz bringt es auf den Punkt, um den es in diesem Buch geht: Steht für uns eine Himmelsleiter bereit, wenn wir sterben? »Eines ist sicher: Wir fallen, zerfallen.«
Präludium
Wo sich die Toten treffen – Ein fiktionaler Dialog
Bodpa, ein Tibeter im besten Alter, schließt die Augen und bildet sich ein, er schwebt in der Luft und beobachtet die um seinen Körper stehenden Verwandten und Freunde. Sie weinen und klagen und horchen aufmerksam der Lektüre des Bardo Tödol zu. Er findet es seltsam, denn dieser Text wird eigentlich im Kreis der um einen Toten Trauernden gelesen, damit der Tote sich auf die Wiedergeburt vorbereitet.
»Dann muss ich doch tot sein«, meint Bodpa – inzwischen überzeugt, dass er nicht echt träumt, sondern sich in einem traumähnlichen Zustand befindet.
Er gewahrt ein helles Licht, als er gerade meint, er würde vor Müdigkeit nur die Augen schließen.
Er hört selber der Lektüre aus dem Totenbuch zu: »Wenn die Ausatmung aufhört, sinkt die Lebenskraft in das Nervenzentrum der Weisheit, und der Wisser erlebt das Klare Licht in seiner ursprünglichen Beschaffenheit.«
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