Ich habe das Buch zunächst für mich selbst geschrieben, zu meiner Selbstvergewisserung. Es war für mich eine abenteuerliche, interessante Reise. Gern würde ich einige interessierte Menschen mit auf diese Reise mitnehmen.
Das Thema Tod habe ich bald nach dem Erscheinen meines Buches über Gott und die Götter in Angriff genommen, aber ich habe mich mit dem Thema schwergetan. Es ist ein unendlich großes Thema. Ist Gott, wie der erste Johannesbrief meint, größer als unser Herz, so ist der Tod so mächtig, dass er imstande ist, unser Herz endgültig zum Stillstand zu bringen.
Nicht nur das Thema flößt mir Respekt ein, der Tod selbst ist mir unheimlich, weil er überall präsent ist. Er folgt uns auf Schritt und Tritt und versucht, wie ein Chamäleon sich in jeder Umgebung mimetisch unbemerkbar zu machen, sodass wir uns einbilden, er sei nicht in unserer Nähe und wir könnten, von ihm unbemerkt, unbegrenzt leben.
Wir sehen ihn nicht. Wenn wir aber aufmerksam sind, fühlen wir ihn hautnah. Wenn wir nicht laut sind, spüren wir seinen Atem, wenn wir mit unseren Worten kein unnötiges lautes Geräusch machen, hören wir seine Schritte.
Irgendwann, irgendwie und überall werden alle Menschen vom Tod erreicht. Er ist wie ein unheilbares Krebsgeschwür, das überall wütet. Alles, was lebt, wird sterben. Der Tod berührt uns, weil er an den Wurzeln unserer Existenz rüttelt und sie aus dem Erdboden des Lebens herausreißt.
Mit ihm befassen sich, nicht unbedingt lustvoll, aber sehr intensiv, alle Kulturen.
Und auch hier, wie bei der Frage nach Gott, braucht der Mensch Trostbilder, besonders Bilder eines tröstenden, besser noch: eines vom Tod erlösenden Gottes.
Das Thema kann man auf viele Arten behandeln. Mir kommen spontan zwei Wege in den Sinn, und ich werde versuchen, beide zu beschreiten. Der erste ist die eher historische, distanzierte Betrachtungsweise der Kultur- und der Religionsgeschichte. Kultur und Religion überschneiden sich häufig, sind aber nicht deckungsgleich. Kultur kann auch religiöse Kultur sein, Religion ist aber in der Geschichte der Kultur nicht allgegenwärtig.
Die Fragen und Antworten der Kulturgeschichte zum Thema Tod und Jenseits, sind immer verknüpft mit der dazugehörigen Vorstellung der Weltentstehung und -struktur (Kosmogonie, Kosmologie) und sehr häufig mit den Gottesvorstellungen (Theologie).
Diese Ebene berührt uns nur deshalb weniger, weil die Vorstellungen vom Tod und Jenseits, die uns dort begegnen, historische Fossilien sind, die mit unserer heutigen Welt wenige Berührungen haben. Sie waren aber nicht immer Fossilien. In einer früheren Phase waren sie aktuelle Bilder der Menschen, Schreie der Verzweiflung und Hilferufe zugleich. Als diese Todesvorstellungen entstanden sind, waren sie genauso existentiell besetzt wie unsere heutigen Fragen und Antworten, die in einigen Jahrhunderten auch als Fossilien angesehen werden.
Der zweite Weg ist die existentielle Betrachtung, und diese schließt die eigenen, persönlichen Todesberührungen mit ein.
Weniger als der Tod selbst, der mich irgendwann ereilen wird, interessiert mich und viele andere Menschen die Frage, was nach dem Tod mit uns geschieht. Was sich einer zuverlässigen Antwort entgegensetzt, ist die Tatsache, dass wir über die Zeit nach dem Tod genau so viel wissen wie über Gott, nämlich rein gar nichts.
Der Tod ist eine fiktionale Gestalt von Literatur und Kunst, eine sprachliche, kulturelle Personifizierung und Mystifizierung eines Vorgangs. Er wird wie eine Person, eine Hypostase, dargestellt, auch wenn sie kein Fleisch und keine Gesichtsmuskeln mehr mit sich trägt. Blutleer, doch sehr aktiv, ein sehr lebendiger Tod, der mit seiner Sense kommt, und wehe dem, den er trifft.
Der Tod ist nur ein literarisches, künstlerisches und sprachliches Produkt, wenn man will: ein Mythos. Es gibt – paradoxerweise – sozusagen keinen Tod, obwohl wir alle, mitsamt der Natur, sterben. Alles stirbt um uns herum und wir sterben mit allen anderen Naturerscheinungen. Aber den Tod, also ein Wesen, das sich Tod nennt, gibt es nicht.
Auch diesbezüglich scheinen der Tod und Gott nahe Verwandte zu sein. Beide scheinen Produkte unserer Fantasie, unserer dichterischen Fähigkeit zu sein, aus Vorgängen personifizierte Wesen, mythische Geschöpfe, zu bilden. Wir wissen nicht, was hinter diesen Bildern von Gott und vom Tod steht. Den Vorgang des Sterbens können wir beschreiben, weil er beobachtbar ist. Nur weiß keiner, was danach kommt.
Befassen wir uns vor dem Tod mit der Zeit nach dem Tod.
Und schon drängt sich die Frage auf, welche ›Zeit‹ hier gemeint ist. Möglicherweise haben wir nach dem Tod keine Zeit mehr, oder die Zeit ist nicht mehr unsere Zeit, sondern die Zeit der anderen, der noch Lebenden. Wenn nach dem Tod noch Zeit wäre, wäre der Tod gar nicht der richtige Tod, das Ende. Streng genommen gibt es also gar keine Zeit nach dem Tod. Und über diese Zeit kann man nicht viel erzählen. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob nach dem Tod eine neue Zeit anfängt.
Monatelang war ich auf der Suche nach Antworten. Monatelang hielt ich mich als Lebender im Reich der Toten auf. Und das Ergebnis ist grandios wie verwirrend zugleich. Es gibt nicht nur eine Antwort, sondern sehr viele und zum Teil höchst unterschiedliche.
Das christliche Reich der Toten kannte ich seit geraumer Zeit gut. Dessen Umrisse wurden allerdings in den letzten Jahrzehnten hin und her geschoben. Ob es eine Vorhölle gibt, ist inzwischen nicht mehr klar. Und vom Fegefeuer hört man jüngst auch nicht mehr viel. Natürlich kenne ich die christliche Totenwelt nicht wirklich, sondern nur vom Hörensagen. In die Hölle will ich nicht, und in den Himmel wohl gern, aber nicht gleich, sondern erst später, am liebsten sehr spät. Ich kenne diese Totenwelt vom Hörensagen, vom Lesen und vom Verständnis, das ich von den Bildern dieses christlichen Jenseits im Laufe der Zeit gewonnen habe. Denn die christlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod sind Bilder, Bilder des Menschen ebenso wie die christlichen Gottesbilder.
In der letzten Zeit haben mich andere Vorstellungen vom Leben nach dem Tod stärker interessiert. Die griechisch-römischen sicher auch, besonders aber haben mich die Unterweltbilder der Ägypter und die Vorstellungen des tibetanischen Buddhismus stark angezogen. Es war eine faszinierende Erfahrung, in diesen Welten spazieren zu gehen; ich werde darüber berichten.
Es ist spannend, Bilder vom sogenannten Jenseits aus verschiedenen Kulturkreisen und Religionen zu vergleichen, deren geschichtliche Verwurzelung und gegenseitige Verzweigung aufzuzeigen. Es gibt Bilder, die sich in verschiedenen Kulturen wiederholen: zum Beispiel das Totengericht, die Fahrt in die Unterwelt, die Himmelfahrt, die Wiedergeburt und die Auferstehung. Die eigenen Vorstellungen mit denen der anderen Menschen zu vergleichen, bringt weiter, weil wir uns gegenseitig und dadurch auch uns selbst besser verstehen. Bilder relativieren sich und ergänzen sich gegenseitig. Das bedeutet nicht, dass die Bilder auch einen Wahrheitsgehalt, eine Entsprechung in der »Wirklichkeit« besitzen. Sie könnten ja allesamt nur Kreationen unseres Geistes sein. Sie verraten jedenfalls sehr viel über uns selbst.
Für diejenigen, die im christlichen Raum aufgewachsen sind, wird es darüber hinaus interessant sein, zu erfahren, dass viele christliche Bilder über das Jenseits nicht im Christentum entstanden sind und viel älter sind als das Christentum selbst.
Man kann dieses Thema, das tausendmal größer ist als wir selbst, unterschiedlich angehen:
Systematisch Denkende könnten vielleicht versucht sein, gleich zu Beginn den Tod zu definieren. Eine Definition ist die Beschreibung des Wesens einer Sache, ohne in Tautologien zu verfallen. Gerade darin besteht beim Thema Tod die größte Schwierigkeit. Natürlich ist der Tod das Ende der Hirntätigkeit. Ist damit alles zu Ende? Man beschreibt den Tod als Schwelle zwischen der Zeit davor und der Zeit danach. Bilder wie ›Tür‹, ›Schwelle‹, ›Übergang‹ sind aber nicht imstande, den Tod wissenschaftlich zu beschreiben. Sie kranken daran, dass sie einen Zustand nach dem Tod voraussetzen, von dem man nichts weiß. Oder man könnte den Tod als das Ende überhaupt definieren. Aber damit wären sehr viele Menschen gar nicht einverstanden. Also wir verlassen lieber diesen Pfad. Sofern es eine Zeit danach gibt, wissen wir sowieso erst nach dem Tod, was danach kommt.
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