Er selbst war wohl Portugiese, lebte aber schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte im Gers. Seine Frau kam von einem kleinen Bauernhof bei Panjas, in der Nähe von Nogaro. Irgendwann hatten die beiden dann die alte Hofanlage bei La Demie gekauft und sich auf die Herstellung von Foie gras und anderen Produkten der Entenzucht- und Mast verlegt.
In letzter Zeit hatten sie wohl viel modernisiert, neue Ställe und Außengehege gebaut - ja, sogar in die Schweiz lieferten sie ihre Leckereien. Na ja, Schweizer waren - aus welchen Gründen auch immer - häufig im Gers anzutreffen. Dabei war das Gers wirklich keine Gegend für den Massentourismus. Es fehlte das Meer, es hatte eine vorwiegend bäuerliche Struktur. Natürlich bezauberte auch diese ländliche Atmosphäre, die alten Wehrdörfer aus der Krieg mit England, die Sonne, der Wein, die Nähe der Pyrenäen! Aber wie gesagt: Massentourismus nein.
Lange nach Mitternacht begleitete sie ihre Freunde die Auffahrt entlang bis zum so genannten " chemin rural ", eine immerhin geteerte Straße, die sie jetzt noch dreihundert Meter weiter bis zu ihrem Haus zurücklegen mussten.
Nun aber flott ins Bett, denn morgen war Donnerstag und sie würden gegen 10.30 Uhr nach Barcelonne fahren, natürlich in Henrys Auto, denn ihr Wägelchen war zu klein, besonders wenn sie noch Einkäufe machen wollten.
Schnell noch das schmutzige Geschirr in die Geschirrspülmaschine, der Anblick der Küche in diesem Zustand würde sie am Morgen wirklich deprimieren. Was hatte Henry gesagt: "Heb sie gut auf". Also ließ sie die Steinchen in die leere Zuckerdose im Schrank gleiten.
Alle Türen geschlossen, Karla löschte das Licht. Die Schönheitspflege im Schnellgang erledigen, den neuen Schlafanzug in knallrot anziehen und das Fenster auf: Ihr Träume könnt kommen.
c'est nous = wir sind es
entrez,les portes sont ouvertes= herein, die Türen sind offen
Schule: Es klingelt, ihre Schüler stürzen ins Klassenzimmer. Sie steht an der Tafel und will sie zurechtweisen: Ihr Mund geht auf und zu, aber sie hört sich nicht, das Getöse kommt von ihnen. Da, Kevin schlägt die Klassenzimmertür krachend zu , - und sie war wach, stand fast im Bett und kriegte keine Luft. Etwas, jemand war unten am Wohnzimmerfenster oder war es das Fenster der Küche? Ein weiteres Krachen, ein splitterndes Geräusch, sie konnte sich endlich bewegen, flog zur Schlafzimmertür, verschloss sie und zurück zum Fenster. Glas splitterte, es krachte erneut, dann rumpelnde Geräusche.
Halb hing sie aus dem Fenster, unten erschien ein Lichtschein auf den Fliesen der Terrasse, ein Fensterladen, der eigentlich geschlossen sein sollte, schwang hin und her. Der Ausdruck " brüllen wie am Spieß " stimmte, genau das tat sie gerade.
" Zu Hilfe Polizei, Nicole, Henry ." Die Treppe knarrte bedrohlich. " Ich habe eine Waffe, die Polizei ist alarmiert. Hilfe, zu Hilfe! "
Ruhe. Ruhe? Ihre Knie zitterten, sie klebte am Fensterrahmen, ein Knirschen, ein Knacken und Keuchen, draußen schwang sich ein Schatten aus dem Küchenfenster und eilte um die Hausecke in den hinten liegenden Park.
Wieder Knirschen, eine Autotür schlug zu, ein Wagen fuhr langsam an und legte dann an Geschwindigkeit zu. Karla rutschte am Fenster langsam zu Boden. Ruhe!
Wie lange sie da gehockt hatte, wusste sie nicht. Erst langsam verstummte das Rauschen in ihren Ohren, schwitzte sie nicht mehr und der Schleier vor ihren Augen lichtete sich.
Ein wenig Wind war wohl aufgekommen, der Fensterladen vor dem Küchenfenster knarrte und krachte gegen die Wand. Langsam, ganz langsam richtete sie sich auf und stolperte zur Tür. Es war ganz still, einzig das Ticken der alten Uhr unten im Wohnzimmer war zu hören. Das Haus atmete Frieden. Vorsichtig, ganz vorsichtig stieg sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und gelangte zur Küchentür.
Die Hand ging zum Schalter und sie blickte fassungslos in die Küche. Die Stühle verteilten sich locker am Boden, die Teller, die nicht mehr in die Spüle passten, lagen von der Arbeitsplatte gefegt auf den Fliesen, der Vorratsschrank stand offen, der Mülleimer verschönerte samt Inhalt die Fliesen.
Sie näherte sich dem Fenster, in dem ein ordentliches Loch klaffte. Auch der Laden draußen war stark beschädigt, auf dem Küchenboden lag das passende Brecheisen.
Gott sei Dank konnte sie den Laden heranziehen und die Riegel schließen. Das Fenster ebenso. Bloß raus aus der Küche, von außen abschließen und noch einen Stuhl unter die Türklinke,
Nein, keine Polizei, jetzt nicht - Karla musste sich erst ein wenig beruhigen. Beruhigen ging, auf dem Sofa nahe der Haustür, das Telefon in der Hand. Schlafen ging in dieser Nacht nicht mehr, konnte sein, dass sie ein wenig gedöst hatte. Schon um sechs Uhr stand sie völlig zerknautscht auf, sie gab sich selbst zu, sie hatte auf das erste Tageslicht gewartet. Was nun? Jetzt doch telefonieren!
Um 6.30 Uhr standen " ihr " kleiner und rundlicher Docteur Pavie und natürlich in Latzhosen Didier, der Mann für alles Grobe und Schwierige vor der Tür. Keine halbe Stunde später erschien auch Gendarm Frédéric Simon, " Groupe du Gers ", Bataillon Saint Aubin, am Tatort. Hübscher Kerl, blonde Locken, blaue Augen, gut gewachsen und in seiner Freizeit bei den " Pompiers ", der freiwilligen Feuerwehr. Karla kannte ihn vom Feuerwehrkalender. Trotz der frühen Stunde hatte er schon Schweißperlen auf der Stirn und wirkte ein wenig sehr nervös. Was hatte er bloß! Bei wem wurde eigentlich eingebrochen und wer müsste eigentlich im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stehen?
Aber nein, aber nein, man umrundete das Haus , warf die Arme in die Höhe und diskutierte und siehe da - ein Baguette unter dem Arm - vervollständigte nun auch Henry die Runde. Seinen Wagen hatte er oben am Weg stehen lassen und wollte gern sehen, was denn hier wohl los war.
Nun parlierten zwei der Herren mit eleganter Diktion, während Didier und Fréd breitbeinig und auf den Fersen wippend mit den Händen in den Hosentaschen den Tatort gelassen umrundeten.
Wie immer hatte Didier mehrere gute Ideen, wie man das Fenster und den Fensterladen notdürftig sichern könnte und selbstverständlich " mon dieu, quelle petitesse " auch das Material dafür zu Hause griffbereit.
Docteur Pavie telefonierte bereits hektisch mit der
" Asssurance " und bestellte einen neuen Laden und ein Fenster bei " Clair de Jour " in Vic.
Während so das Leben weiterging, notierte sich Gerndarme Frédéric alle Einzelheiten ihrer Beobachtungen, die Stirne fast so lockig gerunzelt wie sein Haupthaar und in seinem Eifer vorschriftsmäßig vorschriftsmäßig aussehend.
Als sie ihn zu seinem Wagen zurück begleitete, schnurrte ein schwarzer Citroen in die Einfahrt und hielt vor ihnen an. Die Wagentür ging auf und dem Wagen entstieg tatsächlich der Frechling, der Nervtöter aus Chateau- Renard, Mädchenquäler aus dem Supermarkt und Frauenverfolger auf dem gemieteten Grund und Boden.
Was zu viel war, war zu viel. Karla bemerkte, dass sie Frau war und auch nur Nerven hatte.
" Da, den Typ können Sie gleich gerne überprüfen, es ist schon mindestens das dritte Mal, dass er sich widerrechtlich und...."
" Nicht widerrechtlich, ich komme ja nicht dazu, mich zu erklären", fiel ihr der Kerl ins Wort.
" Widerrechtlich und unerlaubt", blökte sie und ihr traten
vor Wut und ausgestandener Angst die Tränen in die Augen.
" Der schleicht hier rum, glotzt in alle Ecken, als ob er etwas verloren hätte ", ihr fiel es wie Schuppen von den Augen, " der Schal", von wegen Madame Rubiella!
" Sie haben den Schal hier verloren, Sie sind hier herumgeschlichen! Gendarm Simon, ich bestehe auf einer Überprüfung der Personalien, ich erstatte Anzeige, ich... "
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