1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Diese beim Amoklauf gegenüber dem Selbstmord differente Feindbildprojektion nach außen und der daraufhin konträre Verlauf haben sicherlich mit den entsprechenden Lebensumständen zu tun, bei denen die Allgegenwärtigkeit und die Affinität zu Gewalt (medialer Gewaltkonsum und Gewaltverherrlichung) und zu Waffen (leichter Waffenzugang und Übung des Umgangs) ein bedeutendes Gewicht spielen. Zudem ist oftmals eine neurologisch bedingte, erhöhte und nicht-kontrollierbare Impulsivität existent, die entweder genetische Ursachen hat oder sich in der Kindheit wegen der erlittenen Frustrationen manifestierte.
Gerade die Konfrontation mit Gewalt hat dem Betroffenen bisher als Kompensation und Ersatzbefriedigung gedient, indem zum Beispiel während eines Computerspiels das psychische Defizit dank dem Gefühl der Macht überlagert wurde, wobei diese Befriedigung aus den schon vielfach genannten Anlässen auf Dauer nicht ausreicht.
Der Betroffene kanalisiert seine Aggressionen nach außen auf die erst fiktive und dann praktische Gewaltanwendung.
Noch eine Bemerkung zum Thema Selbstmord: Aus identitätsgemäßer Sicht ist das gerne verwendete Synonym „Freitod“ falsch und irreführend, da es sich bei einem Selbstmord – die Fälle unheilbarer Krankheit ausgenommen – niemals, hinter- und tiefgründig, um einen frei gesteuerten Akt handelt, sondern immer um einen unterschwellig determinierten.
Sehr verkürzt: Der Selbstmörder wurde ob seiner erlittenen Erfahrungen des Lebenswillens beraubt und sieht für sich keine andere Möglichkeit, seinem psychischen Druck und Leid durch die Beendigung seines Lebens zu entkommen. Der freie Wille zum Selbstmord besteht demnach tatsächlich nicht, weil der Selbstmörder buchstäblich zum Suizid gedrängt wird.
Beurteilung und Bewertung von extremer Gewalt durch die Psychologie und Psychiatrie im Fokus der Lebenswirklichkeiten / kritische Analyse
Wie bereits erwähnt ist – verständlicherweise – das öffentliche Entsetzen in allen gesellschaftlichen Schichten groß, sobald wieder besonders grausame Gewalttaten, ob Amoklauf, Entführung mit anschließender Gefangenhaltung, langjähriger sexueller Missbrauch im familiären Rahmen, kannibalische Umtriebe oder Vergewaltigung mit folgender Ermordung des Opfers – nur Beispiele einer breiten Palette extremer und maßloser Taten – bekannt werden.
Die Fassungs-, Rat- und Hilflosigkeit hinsichtlich der (Hinter) Gründe für solche Delikte mündet in einem Erklärungsnotstand, der dann die Psychologie und Psychiatrie auf den Plan ruft, mittels ihrer Analysen die Ursachen für diese Vergehen zu benennen – also das scheinbar Unerklärliche erklärbar zu machen -, gleichzeitig Wege aufzuzeigen, wie diese Szenarien zukünftig zu verhindern sind und wie mit den Tätern bezüglich therapeutischer und resozialisierender Maßnahmen zu verfahren ist.
Vorweg muss gesagt werden, dass die nachfolgend getroffenen Aussagen über die diesbezügliche Haltung und Rolle der Psychologie und Psychiatrie pauschalen Charakter haben, der in seiner Quintessenz sicherlich nicht für alle Vertreter der Psychologie und Psychiatrie zutrifft respektive von ihnen geteilt wird.
Grundsätzlich lassen sich jene Aussagen jedoch aus dem gesellschaftlichen Umgang mit der Thematik und den jeweiligen Fakten in der tatsächlichen Lebenswirklichkeit ableiten, die wiederum viele prominente Vertreter der Psychologie und Psychiatrie entscheidend beeinflussen.
Dieser Umgang mit den Vorfällen und deren Bewertung sind verantwortlich dafür, dass die Häufigkeit dieser nicht ab-, sondern zunimmt und sich trotz laufend neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nichts Wesentliches am gegenwärtigen Status quo ändert und verbessert.
Auch hier kann plakativ von der üblichen Symptombekämpfung und -behandlung – wie in vielen anderen Lebensbereichen ebenso (z. B. in der Wirtschaft in der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise) – gesprochen werden, anstatt der sinnvollen, notwendigen und einzig zielführenden Erforschung der primären Auslöser und deren späteren Bewältigung.
Zentraler Punkt in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit und der Beurteilung von Gewaltexzessen ist die Schuldfrage und daher indirekt die Frage nach den Motiven und Hintergründen des Verbrechens. Ist der Täter schuldfähig und demgemäß voll (eigen) verantwortlich für sein Tun oder kann ihm Schuldunfähigkeit attestiert werden?
> Was bedeutet indes Schuldfähigkeit bzw. -unfähigkeit genau bzw. wann ist ein Täter schuldfähig und wann eben nicht?
> Gibt es einen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung oder ist dies im Endeffekt das Gleiche, nur anders formuliert?
> Existiert immer eine gesellschaftliche Mitverantwortung oder ist die Gesellschaft dies betreffend außen vor?
> Wann ist eine Therapierbarkeit gegeben, wann nicht?
> Ist die Bestrafung in klassischer Form des Freiheitentzugs zielführend und kann derart überhaupt eine sogenannte Resozialisierung gelingen?
> Oder ist es letztlich allein ein Ausdruck von gesellschaftlicher Hilflosigkeit und zudem starker Verdrängung, indem elementare Probleme mittels Wegsperren in ein Gefängnis und damit Eliminierung aus dem Alltag „gelöst“ werden (Motto: „aus den Augen, aus dem Sinn“)?
Über Schuld wurde und wird ausgiebig philosophiert mit höchst konträren Ergebnissen. Kern der Schuldfrage ist die Schuldfähigkeit, die im positiven Falle wiederum die Entscheidungsfreiheit, die Zurechnungs-, Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Menschen voraussetzt. Zusammengefasst als Selbstbestimmung zu bezeichnen, die dem Menschen ermöglicht, zwischen – vereinfacht ausgedrückt – Gut und Böse, Richtig und Falsch zu differenzieren, zu wählen und danach zu handeln.
Diese vom Willen geprägte Entscheidungsfreiheit, die jedem Menschen von der großen Mehrheit der Menschheit zugestanden wird, impliziert die klare Trennung von Bewusstsein bzw. Ratio auf der einen Seite und der Psyche auf der anderen Seite. Wenn der Mensch wählen will, dann kann er dies auch, außer er hat genetische/anlagebedingte Einschränkungen wie beispielsweise erheblich verminderte intellektuelle Fähigkeiten.
Wie die Ausführungen in puncto des menschlichen Bauplans, der Urangst, der Identitätsproblematiken, dem Entstehungshintergrund, der Funktion und der Funktionsweise des Bewusstseins, der Ratio und des psychischen Apparats mitsamt ihrer Korrelationen zeigen, ist der Mensch zum einen anhand vieler Anlagen und Grundstrukturen wie deren Notwendigkeit zur Bedürfniserfüllung determiniert, zum anderen gleichsam - die Genetik hier als ebenfalls maßgeblichen Faktor außen vor lassend - von den Umweltbedingungen abhängig, die sowohl für die Art und Weise wie für die Qualität der Grundbedürfniserfüllungen zuständig bzw. verantwortlich sind.
Aus dieser äußerst individuellen Gemengelage ergeben sich schließlich das Persönlichkeits- und Charakterbild eines Menschen und dessen Spielraum an faktischer Entscheidungs- und Steuerungsfreiheit.
Mit anderen Worten: Die Instrumentalisierung des Geistes – auch eines hoch entwickelten, sehr intelligenten – kraft des psychischen Apparats ist dann signifikant, wenn das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht außerordentlich fragil und instabil ist, weil essenzielle Grundbedürfnisse in elementarer Manier frustriert wurden.
Erschwerend bei der Beurteilung der subjektiven Entscheidungsfreiheit eines Menschen sind die aufgrund des metaphysischen Prinzips des Ausgleichs erwachsenen Kompensationen und Ersatzhandlungen, die es dem Betroffenen in Verbindung mit diversen psychischen Reaktionsformen (u. a., aber hauptsächlich Verdrängung, Abspaltung, Rationalisierung) gestatten, eine – sowie nach außen (der Umwelt gegenüber) als nach innen (gegenüber der eigenen Person) gerichtete – Fassade bzw. Scheinwelt aufzubauen und einzunehmen.
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