1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Jedenfalls war das die sarkastische Art, mit der Karga manchmal an seine Stiefmutter dachte. Etwas übertrieben zweifellos, aber auch nicht ganz unberechtigt.
Während er verschiedene Hotels anrief – er hatte sich bei Natorp dafür frei genommen –‚ fand er es plötzlich merkwürdig, dass Katja – er nannte sie nur Katja, weil sie eigentlich immer eine fremde Frau für ihn geblieben war – in ihrem Alter das Land verlassen durfte. Sie hatte noch längst nicht das Rentenalter erreicht. Was steckte dahinter? Wenn er sich nicht irrte, war sie dreiundfünfzig, eine hart arbeitende Angestellte beim Rat des Kreises. Über ihre genaue Funktion dort wusste er so gut wie nichts.
Er ließ den Hörer sinken ... und die Stimme des Hotelportiers am anderen Ende der Leitung wurde zu einem dünnen Singsang ohne Bedeutung …
Ich sollte mich zusammenreißen, ermahnte er sich. Seine Verdächtigungen waren lächerlich. Langsam verlor er jedes vernünftige Augenmaß. Sicher fand alles eine harmlose Erklärung.
Katja und ihr Mann trafen nachmittags mit dem Zug ein. Er würde ihnen einige Fragen stellen, und was dann von seinem Verdacht übrigblieb, würde ihm allenfalls noch die Schamröte ins Gesicht treiben. Falls man es überhaupt einen Verdacht nennen konnte. Was hätte man von ihm wollen können? Er war ein unbedeutender kleiner Angestellter, der Kontakt zu einem ehemaligen Linksextremisten besaß.
Oder sollte Thaube nicht so harmlos sein, wie er annahm? – Nein, Unsinn.
«Ein Doppelzimmer – ja, es kann ohne Bad sein, wenn Sie kein anderes frei haben … Wie? Wegen der Messetage, ich verstehe. Der Name ist Leutner, Ehepaar Leutner aus Karl-Marx-Stadt in der DDR.»
Sie stieg über die Reling und beugte sich zur Kajüte hinunter. Es war einer jener kleinen, aber wohldurchdachten Räume, die trotz ihres Komforts noch etwas von Seglerromantik vermitteln, weil alles auf engstem Platz zusammengerückt ist: die Pantry, das Pump-WC, zwei Hundekojen, der Klapptisch.
Durch die Pendeltür sah sie in das Vorschiff, eine mit dicken Polstern abgedeckte dreieckige Schlaffläche, die wegen ihrer ehebettähnlichen Breite unter Schiffern augenzwinkernd «Liegewiese» genannt wurde. Sie kletterte die Holzstufen herunter, setzte sich auf den Kojenrand – und ließ ihren Blick prüfend über die Dichtung des Schiebeluks gleiten: es schien wasserdicht zu sein.
Die Jacht wiegte sich leise an den mit Federn versehenen Leinen, sie schwamm in einem etwa zwölf Meter langen Bassin aus meerblauem Kunststoff.
Drinnen waren die Stimmen der Messebesucher und die Geräusche aus der Halle nur noch ein gedämpftes Schwirren – wie das Rauschen des Windes, wenn man etwas Phantasie besaß …
Für einen Augenblick – während sie durch das getönte Schiebeluk zur Mastspitze mit dem Windanzeiger hochblickte, dachte sie, es sei möglich, dass ihr dieses Schiff gehörte; dann fand sie den Gedanken auch schon unfair, weil er eine alte Wunde anrührte, ein Problem, das sie und Robert längst bis zum Überdruss diskutiert hatten.
Kein Boot, keine Urlaubsreise ans Meer, vor allem aber keine Diskussionen darüber: so lautete ihre Vereinbarung. Und sie würde sich daran halten! Es war ein mühsam erkämpfter Kompromiss.
Im Gegenzug hatte Robert ihr zugestanden, an jedem zweiten Wochenende auf den toten Rheinarmen zu segeln.
Die Jacht wurde durch einen Tritt von der hölzernen Plattform in Schaukelbewegungen versetzt.
Gleich darauf beugte sich ein junger Mann in die Kajüte herunter. Er war schlank, und seine Bewegungen verrieten Gelenkigkeit. Aus den hochgezogenen Ärmeln seines hellen Rollkragenpullovers sahen braungebrannte Arme. Typischer Sportler, dachte sie; vielleicht Segler.
«Donnerwetter, nicht schlecht, was?», sagte er. «Ich meine die Innenausstattung.»
Er setzte sich ihr gegenüber auf den Kojenrand und befühlte die Qualität der Polster. Etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Die Betonung war fremd.
«Sind Sie Amerikaner?»
«Harry Gart.» Er streckte die Hand aus. Sein trockener, fester Griff, der etwas länger als nötig dauerte, brachte sie in Verlegenheit. «Seit fünf Jahren in Westdeutschland, hauptsächlich Köln und Hamburg, aber man merkt‘s immer noch, stimmt‘s?
Ich habe schon einen Sprachkurs deswegen belegt. Es ist aussichtslos. Anscheinend gibt es begabtere Leute dafür als mich.»
«Ihre Aussprache ist in Ordnung.»
«Danke.»
«Sind Sie Segler?»
«Begeisterter Segler», bestätigte er. «Und Sie? Ich habe Ihren Namen nicht verstanden. Arbeiten Sie für die Jachtfirma?»
«Nein, ich … ich bin nur Besucherin. Anja Weißkirch.»
«Sie sprechen auch nicht ganz akzentfrei, hab ich recht?»
«Es ist ein Dialekt. Ich bin aus Siebenbürgen.»
«Ah, Kronstadt, die Karpaten, Graf Dracula …»‚ lachte er.
«Aus Hermannstadt.»
«Gefiel es Ihnen nicht mehr in Rumänien?»
«Wir hatten dort zu wenig Rechte.»
«Das kann ich verstehen. – Was ist dort?», fragte er und streckte den Arm aus.
«Bitte?»
«Über Ihnen.»
«Oh, ein Geschirrschrank.»
Er kam heran und öffnete die linke der beiden Türen. Während er dicht vor ihr war und sein Schatten auf sie fiel, zeichnete sich sein muskulöser Körper unter dem Pullover ab. Sie spürte verwirrt, dass eine schwer zu fassende Anziehungskraft von ihm ausging. Es hatte mit seinen Bewegungen zu tun, die zugleich geschmeidig und kraftvoll wirkten. Garts Füße steckten in weißen Seglerschuhen, nicht mehr ganz weiß. Ebenso, wie seine engen Röhrenhosen eine verwaschene blaue Schludrigkeit zeigten.
«Teegeschirr … sogar ein Kerzenhalter. Was halten Sie davon, wenn ich Sie im Messecafé auf ein Glas Wein einlade?»
Es kam völlig überraschend. «Gern», entfuhr es ihr, sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
«Ich meine: Wir sind in der letzten Halle, außer dieser Jacht hier gibt es ohnehin nichts Neues zu sehen.»
«Im Grunde ist es immer dasselbe.»
«Dann lassen Sie uns gehen, ehe geschlossen wird.»
Als sie auf der Zwischenetage des Cafès angelangt waren, stellte man bereits die Stühle zusammen. Der Kellner winkte ihnen ab.
«Es gibt noch ein nettes Lokal an der Straßenecke», sagte Gart.
Sie nickte. Konnte sie jetzt noch ablehnen? Er hat mich überrumpelt, dachte sie. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er es von Anfang an darauf abgesehen hatte, sie in dieses Lokal zu locken. Es war eng und verräuchert, mit einer niedrigen dunklen Holzdecke, zwischen der imitierte Rieddächer hingen, und Sitznischen aus rohen Balken, die schwachen Teergeruch verströmten: alte Eisenbahnschwellen, wie sie an den Schraubenlöchern und den Aussparungen für die Eisenwinkel erkannte. Harry Gart winkte sie an einen Tisch ganz hinten, wo sie ungestört waren.
«Wir Amerikaner lieben die alte deutsche Petroleumlampenromantik», sagte er. «Wir können nicht genug davon bekommen.»
Das halsbrecherische Wort bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Er war rührend um sie besorgt. Zwiebelsuppe mit Käse überbacken? Oder vielleicht ein Omelette? Froschschenkel? Dann lieber eine Aufschnittplatte? Nein, sie hatte keinen Appetit.
Schließlich bestellte er nur eine Flasche italienischen Rotwein. Sie rank vorsichtig und in kleinen Schlucken, obwohl irgend etwas sie in die Laune versetzte, das ganze Glas mit einem Zug herunterzukippen.
«Warum tun Sie es nicht?», fragte Gart.
«Ich … können Sie Gedanken lesen?»
«Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass Sie leise vor sich hingesprochen haben.»
«Großer Gott.» Sie hielt die Hand vor den Mund.
«Ich finde das ganz reizend. Würden Sie es für zudringlich halten, wenn ich Sie fragte, ob sie verlobt oder verheiratet sind?»
Sie zuckte die Achseln. «Da es Sie so beschäftigt: verlobt, seit acht Jahren.»
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