Als Tamora sich ihrer Königin unmittelbar gegenübersah, rann ihr eine einzelne Träne des unbeschreiblichen Glücks über die Wange, das sie gerade empfand. Und dann spürte sie auch bereits Violetts zarten Finger, der den salzigen Tropfen auffing, ehe sie ihn sich auf ihre Lippen strich. »Damit das Tränchen nicht verloren geht«, bemerkte sie leise. Sie wusste, dass Tamora für sie beide das perfekte Kleid gefunden hatte. Gleich das erste , dachte sie weiter. Wie ist das nur möglich?
»Wenn ich Ihrer beider Ausdruck richtig deute«, lächelte er, »dann haben Sie Ihr Traumkleid gefunden, nicht wahr?«
Violett und Tamora nickten nahezu gleichzeitig, ohne den ineinander verschlungen Blick zu lösen.
»Das freut mich ungemein, meine Damen«, lächelte er weiter. »Soweit ich von Ihnen weiß, Miss McKenzie, wünscht sich Ihre Verlobte dazu passende High Heels mit Fesselriemchen.«
Violette nickte erneut und sah in Tamoras strahlende Augen.
»Stacey, wenn Sie so gut wären …«, wies er seine Assistentin an.
Wie sie beide um mich herumschwirren , dachte Tamora, während sie aus ihren Pumps schlüpfte, und versuchen mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen .
In diesem Augenblick kam Stacey mit den gewünschten Schuhen zurück, von denen sie in weiser Voraussicht gleich ein weiteres Paar in der Hand hielt. Eines reichte sie dem Maestro, der erst Tamoras schlanken linken Fuß anhob, um sie in den klassisch schicken Schuh gleiten zu lassen, und dann den anderen. Als er die Riemchen auf der rechten Seite oberhalb des Knöchels schloss, bemerkte er ihr durch die weißen Nylons schimmerndes Tattoo. Mit einem verstehenden, sogar ein wenig provokanten Lächeln, sah er kurz zu ihr auf, wobei er seine Finger ein wenig zu lange an ihrer Fessel verweilen ließ.
Tamora antwortete ihm darauf mit einem frechen Grinsen. Wenn du es darauf anlegst, mit mir spielen zu wollen, … das kannst du haben! Es war ihr sogar ganz recht, denn auf diese Weise würde sie etwas von ihrer überschüssigen Energie loswerden. Also begann sie auf dem Podest leicht hin- und herzu wackeln, nur um gleich darauf Halt an seiner Schulter suchen zu können, wobei sie ihm sanft mit einem Finger am Hals entlangstrich. Dann ließ sie ihre Hand verführerisch langsam auf seine Brust zugleiten, wo sie nach seinem akkurat sitzenden Einstecktuche griff. Mit einer gemächlichen Bewegung zog sie das Kavalierstuch aus der äußeren Brusttasche seines Sakkos heraus, führte es sich ans Gesicht und tilgte damit die restlichen Spuren ihrer vergossenen Tränen. Anschließend bedachte sie das › Pochette ‹ mit einem Kuss, faltete es in seine ursprüngliche Form zurück und steckte es, ihren Oberkörper vorbeugend, retour an seinen ursprünglichen Platz.
Als der Maestro leise aufstöhnte, wusste sie, dass sein Kopfkino nun genau den Film zeigte, den sie sich für ihn erdacht hatte. Zufrieden lächelte sie in sich hinein und präsentierte sich voller Stolz ihrer Königin.
Auch Violett lächelte, wenngleich ihr Blick deutlich besagte: › Hatte ich mir doch keine Verrücktheiten von dir erbeten? ‹
Mit einem leichten Räuspern erhob sich der Maestro, trat zwei Schritte zurück, sah sie an und streckte dann seine Hand aus, wissend dass ihm Stacey jetzt reichen würde, was er als nächste benötigte.
»Oh, wie hübsch …« Tamora hatte den Schleier in seinen Händen bemerkt. Augenblicklich erfuhr ihr Gefühlsleben wieder eine › Rollercoaster ‹-Fahrt vom Feinsten und wieder war sie den Tränen nah.
»Was wäre das schönste Brautkleid ohne eine edle Kopfbedeckung?« Er trat hinter sie und befestigte den Schleier mittels einer feinen Haarspange am blonden Schopf. »Wussten Sie, dass der Schleier bereits für das frühe dritte Jahrtausend v. Chr. belegt ist, Miss Donovan? So trug zum Beispiel die Göttin Inanna den Beinamen › die Verschleierte ‹ … Und da verhüllte Gilgamesch den Freund so wie das Antlitz einer Braut.« Kaum war er mit seinem Werk zufrieden, trat er wieder vor sie hin. Prüfend betrachtete er sie und zupfte noch an dieser und jener Stelle an ihr herum. »Der Schleier war zeitweilig sogar von roter Farbe … In weiß stellt er das Symbol der Jungfräulichkeit dar.«
Aha , grinste Tamora spöttisch in sich hinein, hab' ich gar nicht gewusst. Und was meine Jungfräulichkeit anbelangt … die hat sich nicht einmal mein süßer Arsch erhalten können! Aber das verrate ich besser nicht, sonst schimpft Vio gleich wieder mit mir.
»Du bist mein, für immer«, kam es Violett, überwältigt von der Situation, halblaut über die Lippen, während ihr Blick mit dem ihrer Prinzessin verschmolz. Ein Kloß tiefer Ergriffenheit bildete sich in ihrem Hals. »Du bist eine so wunderschöne Braut … Willow wird sich geehrt fühlen, dich zum Altar zu führen.«
»Ach, Vio …« Tamora war von der emotionalen Reaktion ihrer Freundin überwältigt. Aber jetzt gelang es ihr nicht mehr, ihre aufgekommenen Tränen zu unterdrücken. Sie drehte sich dem Spiegel zu und ließ ihren aufgewühlten Gefühlen freien Lauf. »Wir heiraten … « Sie versuchte sich diese Tatsache bewusst zu machen. »Davon habe ich schon solange geträumt, Vio.« Dankend nahm sie das Einstecktuch, das ihr der Maestro reichte, wenngleich das Abtupfen der Tränen und damit einhergehende Schnäuzen für ihn einen echten Frevel darstellte – nicht anders, als würde jemand eine Krawatte zur Serviette umfunktionieren.
»Würden Sie uns bitte für einen kurzen Moment entschuldigen?« Violett sah die beiden Mitarbeiter des › Mirror Mirror ‹ fragend an. Anschließend wandte sie sich ihrer Geliebten zu. »Komm' her, meine Süße …!« Sie breitete ihre Arme aus und hielt Tamora, die sich weinend an sie schmiegte, fest umschlungen. Sie ist so nah am Wasser gebaut … , dachte sie liebevoll. Aber wenn ich ehrlich bin, dann fühle ich mich selbst gerade wie ein mit Wasser gefüllter Luftballon, der kurz vor dem Platzen ist … Und das hier ist ja erst der Anfang …!
»Ich bin eine solche Mimose, … was wird das erst vorm Altar werden …«, flüsterte Tamora, den Kopf an die Schulter ihrer Königin gepresst. »Ich will gar nicht daran denken … Wie ein Schlosshund werde ich heulen …«
»Ach, Tammy, … wir machen eines nach dem anderen, … und für deine Tränen werden genügend Taschentücher bereit liegen«, schmunzelte Violett und strich ihr zärtlich die kleinen, jetzt doch endenden Rinnsale fort.
»Das sagst du doch nur, damit ich nicht mehr heule«, meinte Tamora. »Ich sehe sicher ganz schlimm aus mit meinen verheulten Augen!«
»Quatsch, Süße. Du bist hier ganz sicher nicht die erste, die eine emotionale Achterbahn durchmacht. Der liebe Gott wird sich schon was dabei gedacht haben, dass er uns mit all unseren Gefühlen ausgestattet hat. Ganz sicher sitzt er irgendwo hoch oben im Himmel auf einer Wolke und schmunzelt vergnügt vor sich hin«, bemerkte Violett sanft. »Hat Leonardo da Vinci nicht schon gesagt: › Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid ‹? Es ist doch schön, dass dir dieser Moment so nahe geht. Ganz gleich, dass dein Make-Up darunter leidet.«
Den letzten Satz hätte sie sich besser verkniffen, denn nun schaute Tamora erst sie recht grimmig an und dann den Spiegel. »Finde ich nicht witzig, … ganz und gar nicht, Vio!«, echauffierte sie sich gekünstelt. »Aber ich werde wohl nicht die Einzige sein, die sich an unserem großen Tag an den Familienpackungen vergeht und eine eigene Visagistin benötigt, die ihr laufend das Mascara nachzieht.« Dabei spielte sie auf Violetts gezeigte Emotion an.
Violett überging das Letztgesagte, denn was immer sie nun auch vorgebracht hätte, es wäre der Situation nicht förderlich gewesen. Irgendwann sollte Schluss sein, auch wenn du gleich wieder das Schmollen anfängt, lachte sie in sich hinein. Ich kenne dich einfach viel zu gut . »Weißt du was, mein Herz«, sagte sie laut, »wir beide werden jetzt dem Maestro noch etwas einheizen, und dann führe ich dich zum Essen in eines der tollen Restaurants am › Hyde Park ‹ aus.« Sie löste sich von ihr und stieg vom Podest herunter. »Da wolltest du doch schon lange wieder einmal mit mir hin.«
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