»Was war das denn?«, hakte Violet nach, immer noch lachend, und deutete auf das Taschentuch auf dem sie jetzt stand.
»Mein Adleraug' erblickte einen Fleck von Öl, klein und unscheinbar, und dennoch störend, so er denn die Sohle meiner erlauchten Königin …«, erläuterte Tamora in bester Shakespeare-Manier und schloss die Wagentür.
»Tammy!«, unterbrach Violett schmunzelnd. »Halt die Klappe! Hatte ich mir nicht jede Verrücktheit verbeten?«
»Vor tiefem Fall ich Euch nur wollt' beschützen, oh meine Königin!«, machte Tamora weiter. »Zwar mag ein tiefer Fall zu hohem Glücke führen, so der Dichter zu berichten weiß, doch …«
»Schnauze, Tammy, bitte!«, forderte Violett nun mit deutlich mehr Druck, schüttelte missbilligend den Kopf und dachte: Na, das fängt ja gut an . Dann nahm sie ihre Prinzessin in den Arm. »Irgendwann musst du mir auch mal eine Dosis von deinen Endorphinen verabreichen! Du bist aber auch so was von durchgeknallt von Zeit zu Zeit …«
»Vio schimpfen! Vio mich nicht mehr liebhaben?« Tamora kräuselte leicht die Lippen. »Tammy das traurig machen!«
»Willst du heiraten und ein Kleid?« Violett wurde es langsam zu viel. »Wenn ja, dann ist jetzt Feierabend! Benimm dich wie eine Erwachsene und komm!« Zielstrebig schritt sie auf den Eingang des führenden Londoner Brautmodengeschäftes zu und zog ihre Verlobte wie eine schmollende Neunjährige hinter sich her, der jemand die Lieblingspuppe weggenommen hatte.
An der Tür wurden sie bereits von einer jungen Dame empfangen, die sich als persönliche Assistenten des Maestros zu erkennen gab. Sie geleitete die beiden zu einem kleinen verspiegelten Tisch, der als Empfang diente. »Miss McKenzie, nehme ich an.« Ihr Blick fiel auf Violett.
Tamora sah sie verwirrt an. Woher weiß sie, wer von uns wer ist? , fragte sie mit ihren Augen – so laut, dass sie darauf postwendend eine ebenso nonverbale Antwort bekam. Denn Stacey, so hatte sie sich ihnen vorgestellt, deutete mit ihrem Blick auf Tamoras eine eindeutige Sprache sprechenden Halsreif.
»Sie werden bereits im großen Salon im ersten Stock erwartet«, fuhr Staceys Kollegin hinter dem Laptop am Tisch sitzend fort und deutete mit ihrer Hand in die entsprechende Richtung – gefolgt von der Ergänzung: »Eine Ihren Wünschen entsprechende Auswahl wurde bereits vorbereitet.«
Tamora, die liebevoll die Hand ihrer Königin drückte, sah ihre Verlobte mit großen Augen an. Sie hat wirklich alles unternommen, dass ich meinen großen Augenblick bekomme , dachte sie gerührt und kämpfte wieder einmal mit einschießenden Tränen. Wenn das so weitergeht, dann verlasse ich diesen Laden am Ende total verheult .
»Wenn Sie beide mir bitte folgen würden«, bedeutete Stacey ihnen, deren Schritte durch die weich gepolsterte Treppe gedämpft wurden.
Violett hatte ihrer Prinzessin den Vortritt gelassen und ergötzte sich an deren sehr sexy wirkenden wiegenden Hüftschwung.
*
Die Wände des Salons im Obergeschoss waren mit zahlreichen Spiegelflächen verkleidet. Außerdem fanden sich einige große, antik wirkende Spiegel in den Ecken, die es den Bräuten ermöglichten, sich aus allen möglichen Winkeln zu betrachten.
»Oh, mein Gott … Scheiße ist das geil hier«, raunte Tamora ihrer Königin zu. »Der Laden macht seinem Namen wirklich alle Ehre!« Als sie dann auch noch die für sie beide vorausgewählten Modellkleider erblickte, schmolz sie innerlich förmlich dahin. »Oh, was sind die alle schön … Alle so, wie ich es mir vorgestellt habe.« Vor ihrem inneren Auge startete zum hundertsten Mal der Video-Clip zu › November Rain ‹. Augenblicklich verlor sie sich für einen Moment in ihren, sie übermannenden Gefühlen und erwischte sich sogar dabei, wie sie leise die Melodie vor sich her summte.
»Meine verehrten Damen!«, ertönte eine dunkle, männliche Stimme in ihrem Rücken, die sie in die Wirklichkeit zurückholte.
Violett, Tamora und auch Stacey drehten sich der Tür seitlich des Salons zu, in der der Maestro erschienen war. Stocksteif stand er dort, die Hände vor der Brust wie zu einem Gebet angewinkelt. Mit einem offenen, fröhlichen und jungenhaften Lächeln in den Augenwinkeln musterte er die beiden. Dabei konnte man von seinem Gesicht bereits deutlich ablesen, wie er schon mehreren Möglichkeiten entwickelte, sie nach bestem modischem Empfinden einzukleiden. »Ich freue mich sehr, sie beide persönlich kennenzulernen«, führte er seine Begrüßung fort und trat auf sie zu.
»Miss McKenzie«, übernahm Stacey die Vorstellungsrunde. »Miss Donovan.«
»Miss McKenzie, Miss Donovan.« Dabei deutete er jeweils einen galanten Handkuss an, ehe er sich unmittelbar an Violett wandte. »Sie hatten mich telefonisch bereits wissen lassen, in welche Richtung es bei Ihren Kleidern gehen soll. Entsprechend haben wir für Sie schon eine Vorauswahl getroffen, in der Hoffnung, dass Sie darunter das richtige Kleid für Ihren großen, unvergesslichen Auftritt finden werden. Wie Sie mir sagten, spielt der Preis keinerlei Rolle.« Er lächelte. »Das macht es natürlich um einiges leichter.« Er deutete auf die zusammengestellte Kollektion. »Selbstverständlich kann jedes Kleid nach ihren persönlichen Wünschen angepasst und verändert werden.« Er wandte sich an Tamora. »Wenn Sie beginnen möchten, Miss Donovan.«
Tamora wollte, und wie sie wollte. Schon seit sie den Salon betreten hatte, wünschte sie sich, all die unterschiedlichen und exquisiten Stoffe mit den Fingern zu berühren, einmal darüber streichen zu können. Aber sie zögerte. Auf keinen Fall wollte sie es ohne des Maestros Einverständnis tun. Ich weiß gar nicht, ob das ohne Handschuhe überhaupt darf , sinnierte sie.
Ohne ein Wort ihrerseits schien er ganz genau zu wissen, was ihr im Kopf umging. Mit einem charmanten Lächeln sah er sie an. »Nur zu, Miss Donovan. Natürlich dürfen Sie die Kleider anfassen und alle anprobieren, wenn Sie es wünschen.«
Tamora dankte es ihm mit glücklichen Augen. Gleich darauf schwelgte sie in ihren haptischen Empfindungen, als ihre Finger über ein Kleid mit unheimlich viel Spitze glitten. Es war aus feinstem Material gefertigt und mit höchster Präzision und besessener Detailgenauigkeit gefertigt worden.
Während sich Tamora ihren Sinnen hingab, unterhielten sich ihre Königin und der Maestro über den Ablauf der Hochzeitsfeierlichkeit – aber dafür hatte sie augenblicklich so überhaupt kein Ohr. Sie war mit Haut und Haar eine Gefangene ihrer Fantasien, die sich all den Gefühlen hingab, der sie gerade fähig war. Sie fand es unheimlich erregend zu wissen, dass sie an ihrem großen Tag eines dieser Kleider tragen würde. Es kribbelt derart, als würde mich meine Königin jeden Augenblick in unser Spielzimmer führen , schoss es ihr durch den Kopf. Dann dachte sie daran, dass es genau die aufregende Frau in ihrem Rücken sein würde, die ihr die Schnürung und den Reißverschluss dieses Kleides in der Hochzeitsnacht ganz langsam öffnen würde. Der Gedanke daran ließ sie ein wenig feucht werden. Sie spürte, wie unbändig sie dem Tag der Eheschließung entgegenfieberte. Den Tag, an dem sie aus freien Stücken und tiefempfundener Liebe auch ihr, das sie für immer kennzeichnende Brandzeichen erhalten würde.
»Tamora, meine Süße, wollen wir anfangen?«, holte sie die Stimme ihrer über alles geliebten Königin in die Realität zurück.
Auch der Maestro war an sie herangetreten. Aufmerksam musterte er ihre Figur und ihr aufwendig geflochtenes Haar.
»Sie sollten Ihren Hals unbedingt mehr betonen, nicht nur mit diesem Reif …«, meinte er lächelnd. »Und Ihre Figur«, er trat einen Schritt zurück, »umwerfend! Ja, jetzt wird klar, weshalb Sie sich für den › Vokuhila ‹-Stil entschieden haben. Mädchen wie Sie, sind einfach eine Augenweide.«
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