»Josh, hast du schon mal davon gehört, dass es Vampire gibt, die anderen Vampiren ein bisschen Blut aussaugen, ihnen Erinnerungen nehmen und dann ihre Gedanken lesen können?«, ich sah ihn gespannt an.
»Ja, die gibt’s wohl wirklich, ich habe davon gehört, aber noch keinen persönlich getroffen. Ich weiß auch nicht, ob ich das zulassen würde.« Er runzelte die Stirn.
»Wie ist denn das, wenn der eine Vampir den anderen komplett aussaugt, ich meine … sterben kann der ja wohl nicht daran, oder?«
Jetzt war mir ein bisschen mulmig zumute, ahnte Josh etwas?
»Nein, sterben kann er daran wohl nicht, aber … ich kann mir nicht vorstellen, dass es gut ist. Der Blutverlust würde den Vampir natürlich enorm schwächen, auch seine Erinnerungen, die wären mit dem Blut ja auch weg. Er wäre ein Nichts, wahrscheinlich zu blöd um sich neues Blut zu besorgen, dann würde er allerdings irgendwann sterben.«
Josh lachte leise vor sich hin.
»Aber das würde ja auch keiner tun. Weder einen bis zum Letzten aussaugen, noch das zulassen.« Er blickte mich neugierig an.
»Warum willst du das wissen? Wie kommst du drauf?«
Wie immer, wollte Josh alles ganz genau wissen. Das war der Preis für die Antwort.
»Ich …weiß nicht. Ich hab’s wohl irgendwo…«
In dem Moment ging die Tür auf und Ansgar stand wieder in Joshs kleinen Hinterhof. Er hatte mich gerettet, vor einer Antwort gerettet. Ich versuchte schnell an nichts zu denken, mein Kopf musste leer sein, damit meine Gedanken mich nicht verrieten.
»Ich hoffe, ich habe euch nicht zu lange warten lassen. Ich bin mir meiner Unhöflichkeit durchaus bewusst, aber es war sehr wichtig.«
»Schon gut, möchtet Ihr jetzt etwas zu trinken und Euch setzen?«, damit zeigte Josh auf den letzten freien Stuhl.
»Nochmals muss ich leider Euer großzügiges Angebot ablehnen. Aber ich möchte Natascha jetzt nach Hause bringen und mich dann ein wenig ausruhen.«
»Das war das Stichwort«, ich sah Josh mit hochgezogenen Brauen an und erhob mich aus dem Stuhl. Gemeinsam gingen wir zurück in den Laden. Josh küsste mich auf beide Wangen, das hatte er schon lange nicht mehr gemacht, ich war ganz verwundert. Ansgar und er reichten sich auch zum Abschied die Hände, genauso, wie zur Begrüßung. Diesmal verspürte ich keinen Lachanfall mehr, ich versuchte krampfhaft an nichts zu denken.
Wir standen auf dem Gehsteig und Ansgar hielt mir die Wagentür auf. »Danke«, murmelte ich und stieg ein. Wiederum umfing mich dieser köstliche Geruch, dieser satte, saubere Duft. Ich atmete tief ein.
Ansgar saß neben mir und startete den Motor, leise schnurrte das Kätzchen, dann fuhr er in meine Richtung, an den Stadtrand. Es wurde langsam hell, die Sonne ging gleich auf. Ich wusste nicht, womit ich dieses Stille, dieses Schweigen zwischen uns, durchbrechen sollte, ob ich es überhaupt sollte.
»Wo warst du denn eben?«, fragte ich irgendwann in die Stille hinein.
»Nicht so wichtig, nur irgendwo.« Er blickte weiter stur geradeaus, auf die immer heller werdende Straße.
Dann eben nicht, dachte ich, da schlug ich mir innerlich auch schon auf den Mund, er konnte doch meine Gedanken hören. Wie unvorsichtig ich war. Es kam keine gedachte Antwort von ihm. Vielleicht ging das ja auch nicht mehr, vielleicht war mein Blut ja weg.
»Kannst du jetzt nicht mehr meine Gedanken lesen?«
Er grinste mich an. »Wieso, hast du gerade an etwas Schönes gedacht?«
»Nein, ich …habe dir nur in Gedanken eine Antwort gegeben und habe eigentlich deine Stimme erwartet.«
Ich senkte den Blick, das war ja echt peinlich.
Schon bog er in meine Tiefgarage ein und hielt vor dem Aufzug an. Ich sah mich ein wenig erstaunt um.
»Kommst du nicht mit hoch? Ich dachte du wolltest dich ein wenig ausruhen, das kannst du auch oben bei mir machen.«
Ich versuchte verzweifelt meine Endtäuschung zu verbergen, schließlich hatte ich noch etwas vor.
»Ich dachte nicht, dass du das wolltest«, er sah mich mit seinen glühenden Augen an.
»Doch …doch, warum nicht. Immerhin hast du mir ein Angebot gemacht, das ich, nach reiflicher Überlegung, nicht abschlagen kann und auch nicht will.«
»Ganz wie du willst«, er fuhr seinen Bentley auf einen Besucherparkplatz und das schnurrende Kätzchen war stumm.
Nur das Ticken des Motors war zu hören, wir blieben sitzen. Ich war mir nicht sicher, ob ich Ansgar anschauen sollte, konnte er nun meine Gedanken lesen, oder nicht, er hatte mir noch keine Antwort darauf gegeben.
»Willst du nicht aussteigen?«, seine Stimme war leise und sanft.
»Ja«, kaum stand ich neben dem Bentley, war Ansgar auch schon neben mir.
»Darf ich bitten?«, damit hielt er mir seinen Arm hin. Ich musste lächeln, hakte mich aber bei ihm ein, so gingen wir langsam in Richtung Aufzüge.
Der Eingang zum Treppenhaus war zwar genau daneben, aber Ansgar steuerte unbeirrt auf die Aufzugtür zu.
Er stand davor und drückte den Knopf, grinsend sagte ich:
»Du willst dir das noch mal antun? Schon wieder Aufzug fahren?«
»Ich quäle mich eben sehr gerne«, ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Kopf hob, konnte ich das Feuer kurz auflodern sehen. Der rote Rand schien zu pulsieren, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich ausdehnen sollte, das Feuer verschlang, oder ob er die Lava weiterhin zurückhielt.
Ich runzelte die Stirn, quälen, dachte ich verächtlich, Qualen sind dazu da, dass man sie beendet, nicht erträgt. Laut sagte ich:
»Das musst du doch nicht, wir können die Treppe gehen, kein Problem.« Ich wollte ihn am Arm zum Treppenhaus ziehen, aber es half nichts, er rührte sich nicht von der Stelle. Ich gab genervt auf. Er blickte mich an und legte seinen Arm um meine Schultern.
»Es ist schon in Ordnung, ich stelle nur meine Willenskraft auf die Probe«, er küsste mich aufs Haar.
Da fiel mir der Lateinische Spruch von eben wieder ein.
»Ego sum, qui sum, ich weiß jetzt, was das bedeutet: Ich bin der, der ich bin. Stimmt das so in etwa?« Er war noch in meine Haare vergraben und nickte nur brummend.
Endlich ging die Aufzugtür auf, wir stiegen ein. Er drückte das Stockwerk, dann drehte er sich zu mir um und nahm mich in seine kalten, steinharten Arme.
Der Geruch nach Nichts war überwältigend. Ich war es nicht gewohnt, als Vampir lebte man mit seinem Geruchssinn, wie ein Tier war man davon abhängig, aber ein Nichts zu riechen, das war wirklich seltsam. Ich überlegte kurz, ob ich mein Vorhaben aufgeben sollte. Hier entstand vielleicht gerade eine Situation, an die ich mich später gerne zurück erinnern würde. An seine Brust gelehnt seufzte ich kurz auf. Nein, dachte ich, ich werde es als Preis betrachten, als Preis für meine Erinnerungslosigkeit, für meine Leere.
Er legte seine Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf hoch, damit ich ihn ansah. Und was ich da sah, verschlug mir die Sprache. Die rote Lava war zurückgekehrt, sie floss träge im Kreis, immer wieder loderte ein kleines Feuer mitten in der Lava auf. Sein Blick war hungrig, gierig und … allwissend.
Ich starrte ihn mit offenem Mund an.
Seine Stimme schien von überall her zukommen, nur nicht aus seinem Mund,
»Ego sum, qui sum, ich bin der, der ich bin. Aber ich bin nicht derjenige, der dir dein Leben nehmen wird. Ich weiß, was du vorhast, aber es wird nicht so geschehen.«
Verdammt, dachte ich, er hat mich durchschaut. Dann spürte ich seine eisigen Lippen auf meinen, er küsste mich, ganz selbstverständlich.
Ich zog vor Überraschung kurz meinen Atem ein und mit ihm seinen Geruch, plötzlich hatte er einen Geruch, ein Wohlgeruch, so köstlich, so überwältigend, tausendmal besser, als er seinem Wagen anhaftete.
Mein Blut geriet augenblicklich in Wallung, schlimmer noch, es kochte, es rauschte, beinahe war es schon schmerzhaft. Ich keuchte und schloss meine Lippen um seinen Mund, damit nur kein Duftmolekül daneben strömte, damit ich alles in mich einsaugen konnte.
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