Ansgar nahm mich am Arm, zog mich zum Sessel und drückte mich an den Schultern herunter, damit ich mich setzte.
Ich bekam kaum etwas davon mit, so sehr war ich mit meinen Gedanken beschäftigt, wo waren die verflixten Bilder? Es war so, als wenn ich ein altes Fotoalbum durchblätterte und es fehlten plötzlich auf einer Seite ein paar Bilder. Ich wusste, dass sie letztens noch da waren, konnte mich aber nicht mehr genau an sie erinnern. Es war verwirrend.
Ansgar hielt mir ein großes Glas, voll mit warmem Blut vor das Gesicht.
»Trink das, es wird dich wieder auf die Beine bringen.« Ich nahm ihm das Glas ab und trank es in drei langen Zügen leer. Sofort breitete sich eine prickelnde Wärme in mir aus, es ging mir tatsächlich besser. Ich holte tief Luft.
»Kannst du mir jetzt mal erklären, was das sollte?«, fragte ich aufgebracht. »Du kannst doch nicht einfach so über mich herfallen und mich aussaugen. Verdammt, ein Vampir saugt keinen anderen aus, wir … wir schmecken nicht.«
Ich kam mir total dämlich vor, als hätte ich zu einem Monster gesagt: Friss mich bloß nicht, ich schmecke scheußlich.
Ansgar grinste mich an.
»Normalerweise hast du natürlich Recht, aber für mich schmecken auch Vampire nicht schlecht. Ich bin anders, als all die Anderen, die du kennst.« Als hätte ich das noch nicht selber bemerkt.
»Außerdem«, fuhr er fort, »außerdem habe ich dich nicht ausgesaugt, wie du das nennst, ich habe mir Informationen und Erinnerungen von dir geholt. Sie werden dir eine Zeit lang fehlen, aber du wirst dich wieder an sie erinnern, nur keine Sorge.«
Also hatte er meine Bilder geklaut. Mir meine Erinnerungen praktisch ausgesaugt, sie würden aber wiederkommen, hatte er gesagt.
»Ich weiß nicht ob ich das will«, hauchte ich.
»Ob du was willst?«, er schien leicht irritiert.
»Ob ich will, dass die Erinnerungen wiederkommen.«
Ich blickte ihn an. »Ich würde mich ohne sie wohler fühlen.« Ansgar lachte über das ganze Gesicht, er sah hübsch aus, richtig nett.
Fast könnte ich vergessen, dass er vor einer Minute noch mit Feuer und Lava in den Augen und riesigen Zähnen über mich herfiel um mir mein Blut zu nehmen.
Aber nur fast.
»Dann sag mir Bescheid, ich kann sie dir jederzeit gerne wieder nehmen.« Schon spürte ich erneut seine Lippen an meinem Hals. Ich erstarrte.
Er war in einer, für mich, vollkommen unsichtbaren, Bewegung aufgesprungen, zu mir gekommen und streichelte in der gleichen Sekunde mit seinen Lippen über meinen Hals.
Wie machte er das nur?
»Du schmeckst noch köstlicher, als du riechst, wie ist das nur möglich?«, hauchte er an meinem Hals. Wieder löste sein eisiger Atem in mir ein Schaudern aus. Aber, es war anders als eben, ich war nicht vor Angst und Schreck gelähmt, ich wusste jetzt, dass er mich nicht töten wollte.
Der Gedanke, dass es jemanden gab, der mir meine schmerzlichen Erinnerungen nehmen konnte, war tröstlich für mich. Vielleicht gab es doch noch ein Leben danach , ein Dasein ohne Schmerzen, ohne Erinnerungen.
Der Gedanke daran ließ mich lächeln. Ich schloss die Augen und genoss seine kalten Lippen auf meiner Haut. Er stockte und blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an.
»Du hast keine Angst.« Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
»Warum?«, er schien wirklich verblüfft zu sein.
Ich blickte ihn an. »Du kannst mir meine Erinnerungen nehmen, du kannst nur ein Traum sein, ein Wunschtraum, Also brauche ich keine Angst zu haben.« Ich schloss meine Augen wieder und drehte den Kopf zur Seite. Mein Hals lag vor ihm, nackt und ungeschützt.
»Mach weiter, das war schön«, murmelte ich.
Zuerst passierte gar nichts, ich wollte gerade meine Augen öffnen, um zu sehen, ob er überhaupt noch da war, da spürte ich ihn wieder. Seine Nase strich über meine Wange, über mein Ohr, er atmete leicht aus. Das kitzelte und ein weiterer Schauer lief mir den Rücken runter. Ein sanftes Stöhnen kam aus meinem Mund, ich fühlte die Lust in mir hochsteigen, mein ganzer Körper kribbelte, mein Blut schoss durch meine Adern. Seine eisigen Lippen berührten meinen Hals, strichen hoch und wieder runter, küssten meine kalte Haut, mein Blut rauschte noch schneller.
Seine Hand strich über meine Schulter, über meine andere Halsseite, den Nacken hoch und vergrub sich in meinen Haaren. Er gab mit der Hand ein bisschen Druck, als wenn er mich hin zu seinen Zähnen drücken wollte, damit ich nicht mehr weg konnte. Als wenn ich flüchten wollte, ich erwartete doch seine Zähne, ich wollte, dass er mich biss, wollte, dass er mir meine Erinnerungen nahm.
Ich spürte plötzlich, wie seine Zähne wuchsen, ich kniff meine Augen fester zusammen und erwartete den Schmerz. Er stöhnte an meinem Hals, atmete schneller, aber er biss nicht zu.
Dann lehnte er seine Stirn gegen meine Schläfe, ich hörte und spürte seine Erregung, seinen Atem und sein Blut, das in ihm kochte und viel zu schnell durch seinen toten Körper rauschte.
»Ich werde dir nicht deine … Erinnerungen nehmen«, flüsterte er in mein Ohr, seine Stimme klang zornig.
Abrupt stand er auf und ging auf meine Küche zu. Wortlos nahm er sich noch eine Konserve aus dem Kühlschrank, goss es in ein Glas und erwärmte es in der Mikrowelle.
Ich beobachtete seine Bewegungen und sah in sein Gesicht, es war verkniffen und grimmig, die Brauen düster über den glühenden Lava-Augen zusammengezogen. Als das Blut erwärmt war, trank er gierig ein paar Schlucke, stellte das Glas weg und stützte sich mit beiden Händen an der Arbeitsplatte ab. Er murmelte irgendetwas in sich hinein, ich konnte ihn nicht verstehen. Wie benommen saß ich weiterhin in meinem Sessel und beobachtete ihn. Ich wollte ihn fragen, was los ist, wollte zu ihm gehen, aber ich war wie gelähmt, ich konnte noch nicht einmal meinen Finger heben.
Trotzdem zuckte ich vor Schreck zusammen, als er die Hände zu Fäusten ballte und auf die Arbeitsplatte krachen ließ, sodass die ganze Küche bebte und die Gläser in den Schränken klirrten. Er blickte mich an, seine Augen glühten kurz, dann war der begrenzende Rand wieder da, der die Lava zurückhielt.
»Weiß irgendjemand, wo die Beiden zu finden sind?«
Ich konnte ihn nur verständnislos anschauen, für ein paar Sekunden wusste ich wirklich nicht, von wem die Rede war. Dann dämmerte es mir, Justin und Dennis, ich zwinkerte einmal und da war sie wieder, meine Erinnerung, alle Bilder waren zurück, ich schloss gequält meine Augen.
Verdammter Vampir, dachte ich, du hättest mir ruhig ein paar Stunden ohne die verdammten Bilder gönnen können.
»Josh könnte vielleicht etwas wissen, er weiß eigentlich immer, was sich so bei uns tut.« Ich öffnete die Augen wieder und sah seine Hand vor mir. Er war so lautlos, so schnell, erneut fragte ich mich, wie so etwas möglich war.
Ich ergriff seine Hand und er zog mich aus dem Sessel hoch.
»Josh? Den aus dem Buchladen?«
Ich nickte kurz.
»Den kenne ich, der ist in Ordnung. Komm, wir gehen zu ihm.« Er zog mich einfach mit, ich hatte keine Chance.
Er löschte im Vorbeigehen das Licht im Wohnzimmer und zog mich mit zur Eingangstür. Fast schubste er mich in das dunkle Treppenhaus und zog die Tür hinter sich zu. Da fiel mir etwas ein.
»Ich habe meinen Helm vergessen, den brauche ich.« Ansgar hielt mich zurück.
»Nein, du fährst mit mir. Mein Wagen steht unten.«
Er steuerte auf den Aufzug zu, und drückte den Knopf. Aufzug fahren, dachte ich, das bin ich auch schon seit Jahren nicht mehr, nur gut, dass er nach nichts riecht, so ist es besser auszuhalten.
Als sich die Türen öffneten, zog er mich grob mit in die kleine Kabine.
»Du kannst mich loslassen, ich komme auch freiwillig mit.« Ich versuchte mich von seiner stählernen Hand zu befreien.
Читать дальше