Ich sah ihm gerade in die Augen und überlegte, ob ich nun erfreut darüber sein sollte, dass man sich scheinbar Sorgen um mich machte und mich warnen wollte, oder ob ich lieber wütend war, weil die Beiden hinter meinem Rücken alles aushandelten.
Ich konnte mich nicht entscheiden, somit stand ich auf und sagte an Jeanie gewandt:
»Danke für die Warnung«, dann drehte ich mich um und wollte gehen.
»Wo willst du hin?«, fragte Josh, stand auf und folgte mir in seinen Laden.
»Warte, bitte«. Ich drehte mich halb zu ihm um.
»Wieso, was ist denn jetzt noch?« Jetzt spürte ich, wie die Wut in mir hochstieg.
Josh hielt mich am Arm fest. »Ich will nicht, dass du so gehst, so wütend. Versteh doch bitte, dass ich es nur gut mit dir meine«, er zog mich zu sich heran.
»Ich will einfach nicht, dass dir etwas geschieht.« Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und, wie immer, atmete er ganz unwillkürlich meinen Geruch tief ein.
Ich löste mich von ihm. »Josh, ich bin dir dankbar, dir und …« Ich sah kurz zu seinem Hinterausgang, wo Jeanie immer noch im Hof saß, uns aber wahrscheinlich zuhörte.
»… und ihr auch, aber ich muss jetzt los. Falls du den Abgesandten siehst, kannst du ihm ja meine Adresse geben. Mach‘s gut.« Ich wendete mich zum Ausgang und war überrascht, dass Josh mich nicht noch einmal zurückhielt. Normalerweise kam man unter vier Versuchen bei ihm nicht davon.
»Auf bald«, seine Stimme war nur ein Flüstern.
Draußen atmete ich die warme Frühlingsluft ein, zog mir meinen Helm auf und startete mein Motorrad.
Unter mir erwachte das Monster wieder zum Leben.
Mein Monster in mir war allerdings noch nicht befriedigt, es kreischte und jaulte und schrie nach Nahrung. Nach frischem Blut, nach herrlich, köstlichem menschlichem Blut. Ich würde ihm nachgeben, mich ihm hingeben und mit ihm meine Beute teilen. Wir werden gemeinsam unseren Blutdurst stillen, noch heute Nacht.
Ich machte mich auf den Weg.
Ich schloss meine Augen und lehnte den Kopf an die raue Mauer. Meine Zähne wurden gerade wieder normal. Ich ließ das Mädchen einfach fallen, schwer plumpste sie auf den Boden. Sie war leer und tot und interessierte mich nicht mehr. Nur ihr Blut war für mich von Interesse, und das hatte ich bekommen. Mein Monster und ich.
Ich versuchte mich zu sammeln.
Mein Handy klingelte, ich ging ran.
»Natascha? Hier ist Josh.«
Es war schon ein paar Stunden her, seit ich ihn und Jeanie verließ.
»Ja?«, war alles, was ich herausbekam.
»Ich wollte dir nur sagen, dass der Abgesandte nach dir sucht.« Josh machte eine kurze Pause.
»Pass auf dich auf.«
»Danke«, ich legte auf, ich war noch nicht in der Lage große Reden zu schwingen. Das Mädchenblut musste sich erst in meinem Körper verteilen.
Mit einem Ruck löste ich mich von der Mauer und ging zu meinem Motorrad. Es war ganz in der Nähe geparkt, meine Beute war einfach zu überwältigen. Ich musste sie nicht verfolgen, wie sonst immer, sie kam praktisch wie von selbst zu mir.
Langsam fuhr ich durch die menschenleere Stadt nach Hause. Immer wieder überlegte ich, wo mich dieser Abgesandte der Hölle wohl zu fassen kriegen würde. Sollte ich davonlaufen, oder einfach alles auf mich zukommen lassen?
War es wirklich so, wie Josh sagte, dass er neutral war, oder hatte ich von Anfang an keine Chance, mich zu verteidigen, da seine Meinung schon feststand?
Grübelnd parkte ich die Honda auf meinem Parkplatz. Ein neuer Wagen stach mir direkt ins Auge, er stand auf den Besucherparkplätzen. Ein nagelneuer schwarzer Bentley, ein Continental GT , ein super Geschoss. Da hatte aber jemand reichen Besuch hier im Haus, dachte ich noch und flitzte die Treppen hoch, bis in das oberste Stockwerk. Weiter grübelnd schloss ich meine Wohnungstür auf.
Mein kleines Appartement war leer und einsam.
Jedenfalls sollte es so sein, aber kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, da spürte ich eine große Hand auf meinem Mund und ein kalter, harter Körper presste sich an meinen und mich gegen die Tür.
Ein Vampir, eine Lidschlaglänge befürchtete ich, Justin wäre zurückgekommen, beinahe wünschte ich es mir. Mein Helm fiel mir aus der Hand und prallte auf den Boden.
»Ruhe!«, herrschte mich der Vampir an, seine Stimme war leise, zischend und klang gefährlich.
Ich blickte hoch, er war groß, über einen Kopf größer, als ich. Da er mich immer noch gegen die Tür presste, konnte ich mich nicht rühren und ihm auch nicht in das Gesicht sehen. Im Stillen wunderte ich mich, warum ich ihn nicht schon im Treppenhaus roch, ich musste wohl in meine Gedanken so vertieft gewesen sein, dass für meine Instinkte kein Raum mehr war.
Allerdings stellte ich gerade fest, dass er eigentlich nicht roch, er verströmte keinen Geruch. Weder diesen pergamentartigen, oder sonst irgendeinen, er roch nach Nichts. Ich konnte noch nicht einmal sagen, er roch nach Luft, denn selbst Luft hat immer einen Geruch.
Ich war total irritiert, war das hier wieder ein Traum? Ich verspürte den Drang mich zu kneifen, oder ihn.
Er löste seine Hand von meinem Mund und beugte den Kopf zu mir herunter.
»Kein Wort jetzt«, seine Augen blitzten leicht in der Dunkelheit.
Es klingelte plötzlich, ich zuckte kurz zusammen. Der Vampir warf einen Blick durch den Türspion, das helle Licht aus dem Treppenhaus fiel auf sein Auge und es wirkte so, als wenn er mit einem Scheinwerfer geblendet würde. Er beugte sich wieder zu meinem Ohr.
»Das ist ein Mensch. Dein Nachbar? Was will er hier?«
Mir rieselte ein Schauer über den Rücken, mit jedem seiner, wie abgehackt gesprochenen Sätze, hatte er mir seinen kalten Atem ins Ohr gepustet. Das hatte schon lange keiner mehr bei mir gemacht.
Ich riss mich zusammen und versuchte mich zu drehen, um ebenfalls durch den Spion zu blicken. Der Unbekannte presste mich aber immer noch gegen die Tür, so fiel es mir sehr schwer, mich umzudrehen. Ich warf einen Blick auf den Menschen vor meiner Tür, in diesem Moment klingelte er erneut. Ich kannte ihn nicht, aber sein Geruch, der jetzt zu mir durch die Tür drang, war mir schon mal aufgefallen. Es war tatsächlich mein Nachbar, er wohnte unter mir.
Nachdem Ralph verschwand, wurde die Wohnung neu vermietet, an ihn. Ich wusste seinen Namen nicht, er hatte mich bis jetzt auch nicht interessiert. Ich wilderte nicht in meinem eigenen Revier, das wäre nicht gut.
Der geruchlose Kerl presste sich jetzt an meinen Rücken, was sollte das nur, gleich lagen wir beide mitsamt der Wohnungstür im Treppenhaus und hatten das Menschlein davor wahrscheinlich zu Mus zerquetscht.
Ich boxte kurz mit meinen Ellenbogen nach hinten. Es war ein Gefühl, als habe ich einen Stein schlagen wollen.
»Lass mir ein bisschen Platz«, zischte ich leise. Er rückte wirklich von mir ab, wenn auch nur wenige Zentimeter. Ich drehte mich wieder um, schon presste er mich erneut gegen die Tür. Ich sagte dazu nichts.
Wir lauschten, der Kerl vor der Tür murmelte etwas und schien dann zu verschwinden. Erneut blickte der Unbekannte durch den Türspion und projizierte den Scheinwerfer auf sein Auge, dann ging im Treppenhaus das Licht aus und der Scheinwerfer war weg.
Vollkommene Dunkelheit hüllte uns ein. Wenn ich nicht seinen harten Körper an mir spürte, wüsste ich nicht, dass er da wäre. Er roch wirklich nach Nichts, ich war immer noch ganz verwundert über diese Tatsache.
Jetzt hörte ich ihn atmen, das hatte er eben nicht gemacht, da war ich mir ganz sicher. Außer, als er mit mir gesprochen hatte.
Auch konnte ich ihn in der Dunkelheit jetzt besser erkennen.
Er war groß, wirklich riesig kam er mir vor. Er war ein kleines Stück von mir abgerückt und ich konnte ihm ins Gesicht sehen, nett sah er aus, braunes Haar, sehr kurz geschnitten, ein hübsches Gesicht, edel, wie ein Adeliger wirkte er. Dann der schwarze Anzug, kein Teil von der Stange, eine Maßanfertigung, mochte ich wetten.
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