Von den Stimmen kurz abgelenkt, konnte ich nicht mehr reagieren. Das Glitzern zischte durch die Luft und traf mich am Hals. Ich spürte einen Druck, dann sah ich Blut spritzen. Mein Blut.
Frank stand lächelnd vor mir und hielt ein zweischneidiges Messer in seiner Hand. Ein Blutstropfen rann langsam die Schneide herunter, hinterließ eine kleine Blutspur und wurde dabei immer kleiner.
Fasziniert starrte ich auf das Sterben des Tropfens.
Dann kam der Schmerz. Es war ein Gefühl, als hätte er mir den Kopf abgeschnitten. Es brannte wie Feuer, es war unerträglich. Dennis ließ mich los und ich fiel nach vorne auf meine Knie. Stützte mich mit den Händen auf den weichen Waldboden ab. Blut schoss in einem Sturzbach aus der offenen Wunde an meinem Hals. Blut hatte sich auch in meinem Mund gesammelt, ich öffnete ihn und ließ es abfließen.
Mein eigenes Blut schmeckte scheußlich.
»Tascha.« Es war Justin, er kam auf uns zugelaufen. Abermals erfüllte Dennis seine Pflicht als Leibwächter und packte ihn, bevor er uns erreichte. Aber Justin war stärker, als ich, er wehrte sich, er windete sich in Dennis’ Umklammerung. Frank kam Dennis zu Hilfe, gemeinsam hielten sie ihn in Schach. Dennis beugte sich zu Justin und flüsterte leise in sein Ohr.
Ich war in meinem Entsetzen und in meinem Schmerz gefangen, viel zu sehr, als das ich etwas von Dennis’ Worten verstand. Ich sah nur, wie Justin sich langsam entspannte. Dennis führte ihn, immer noch am Arm haltend und unablässig auf ihn einredend, von der Lichtung fort.
Ich wollte ihnen hinterher rufen, aber meine Stimmbänder versagten mir noch ihren Dienst. So wurde daraus nur ein krächzender Laut, Justin drehte sich nicht mal um.
Frank hockte sich vor mich. »Wir nehmen ihn mit, dein Liebchen, er kann sich noch als nützlich erweisen.«
Abermals kam aus mir nur ein helles Krächzen. Ich konnte noch nichts machen, war nur ausgefüllt mit Schmerz.
In ein paar Minuten, sollte Frank dann immer noch vor mir hocken, wäre ich wieder soweit hergestellt, das ich ihn angreifen könnte. Aber jetzt war ich noch die Geisel meines Schmerzes.
Frank stand auf und lief Justin und Dennis nach.
Es würde noch ein wenig dauern, bis ich die Verfolgung wieder aufnehmen könnte.
Noch ein bisschen Zeit.
Ich mochte schlafen, ich war so müde, so tot. Der starke Blutverlust schwächte mich zusätzlich. Er machte mich nicht bewegungsunfähig, aber er ließ meine Kräfte schwinden. Ich musste ganz schnell etwas Blut trinken, sonst brauchte ich den Beiden gar nicht erst gegenüber zu treten.
Auf der Lichtung war es ruhig geworden, die Vögel schienen mich nicht als Bedrohung zu empfinden, sie zwitscherten weiter ihre fröhlichen Lieder.
Wie aus einem Disney Film entsprungen hoppelte plötzlich eine Hasenfamilie über die Lichtung. Sie schienen meine Anwesenheit nicht zu spüren. Gab’s denn so was? Frisches, warmes Blut hoppelte einfach so an meinen Reißzähnen vorbei. Ich war begeistert.
Jetzt nur keine falsche Bewegung, verfolgen könnte ich die Langohren nicht mehr, sie müssten schon zu mir kommen.
Ich beobachtete aus den Augenwinkeln die gesellige Bande. Sie mümmelten das Gras und den Klee, genossen ihr Abendessen und kamen weiter hoppelnd in meine Richtung.
Ich konnte es vor Gier kaum noch aushalten, aber ich musste regungslos verharren, ich durfte nicht riskieren, dass sie die Flucht ergriffen.
Ich schloss meine Augen und versuchte mein inneres Monster zu beruhigen. Tatsächlich wurde ich ruhiger, konnte wieder klar denken. Als ich die Augen öffnete, sah ich einen Prachtburschen von Hasen keine zwei Meter neben mir. Er drehte mir seinen Rücken zu und suchte mümmelnd im Gras. Ich spannte meinen Körper und schnellte vorwärts. Seine langen Ohren wurden ihm zum Verhängnis, ich packte ihn daran, er strampelte wie wild. Die anderen Hasen ergriffen die Flucht, wie schnell sie waren, ich hätte niemals einen von ihnen erwischen können. Nicht in meinem Zustand.
Ich ging mit meiner zappelnden Beute in Richtung Bäume. Dann packte ich den Hasen an seinen Hinterläufen und schlug ihn einmal kurz mit seinem Kopf gegen den Baum, das betäubte ihn.
Ich setzte mich mit meinem Mahl unter den Baum, eigentlich fiel ich mehr hin, soviel Kraft hatten mich der Fang und der Gang hierhin gekostet. Dann schlug ich dem Häschen meine Reißzähne in den Bauch und trank sein Blut.
Es schmeckte gar nicht mal so schlecht, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Leider war er ziemlich schnell leer, aber es war doch ausreichend. Genug um meine Wunde schneller verheilen zu lassen, genug, damit ich auf die Jagd gehen konnte, nach Frank, Dennis … und Justin.
Ich stand auf und ging in die Richtung, in der die Vampire die Lichtung verlassen hatten.
Langsam ging ich durch den Wald, zuerst waren meine Schritte schleppend, dann kam ich aber immer besser vorwärts. Ich wollte es nicht riskieren, schnell zu laufen, das wär Energieverschwendung.
Krampfhaft versuchte ich mich zu orientieren, versuchte mich zu erinnern, wohin der Weg führte. Ich wusste noch, dass weiter vorne ein alter Friedhof lag. Nicht sehr weit davon entfernt fingen die ersten Häuser wieder an.
Langsam dämmerte es, die Strahlen der Sonne trafen schon sehr schräg auf die Erde.
Immer wieder versuchte ich eine Geruchsspur von den Flüchtenden aufzunehmen. Es war aber sehr schwierig für mich, da ich noch nicht vollständig wieder hergestellt war.
Meine Gedanken kreisten, summten und brummten in meinem Kopf. Immer wieder hörte ich den Satz, dein Blut ist schlecht, du bist schlecht.
Als Frank mir damals den letzten Rest Blut nahm, als meine Verwandlung vollständig war, gab er mir ein bisschen Blut von sich zu trinken. Nicht viel, das war auch nicht nötig.
Es war wichtig, um die Verwandlung zu vollenden, um den Blutdurst anzuregen und um das Monster zu wecken. Erst dann erwachte der Vampir, alle wichtigen Sinne waren vollständig vorhanden, einschließlich der Gier und dem Verlangen nach Blut.
Ein bisschen stimmte mich das traurig, du bist schlecht, es war doch nicht meine Schuld, ich hatte ihm vertraut. Wenn er mich mit schlechtem Blut erweckte, konnte ich nichts dafür.
Wenn aber mein Blut nun wirklich schlecht war, mal angenommen, Frank hatte recht, was bedeutete das denn für mich.
Hieß das, auch wenn ich mich noch so sehr anstrengte, würde ich nie den Kodex befolgen und immer die Regeln brechen? Würde immer wieder Unschuldige töten müssen und mich nie beherrschen können?
Was bedeutete das Ganze für Justin? War das der Grund, warum er solche Aussetzer hatte? Immerhin hatte ich ihn verwandelt, er hatte mein Blut getrunken, mein schlechtes Blut, mein verunreinigtes, böses Blut.
War es so, dass Justin niemals eine Chance hatte gut zu werden? Das auch sein Blut jetzt kein gutes Blut mehr war, dass es sich mit meinem schlechten vermischte und er jetzt … böse, ein Monster würde, werden musste?
Auch wenn Vampire Gefühle haben, fehlen uns doch die Eigenschaften um Mitleid, tiefe Trauer, Taktgefühl, Dankbarkeit oder Schuldgefühle zu empfinden.
Die Gefühle, die wir entwickelten, standen meist in direktem Zusammenhang mit Blut und Tod. Manchmal auch mit Liebe und Vertrauen, aber sehr selten.
Es gibt kein egoistischeres Wesen als einen Vampir.
Trotzdem empfand ich so etwas wie Schuldgefühle, ich war schuld , das Justin keine Zukunft hatte, auch keine Zukunft mehr mit mir.
Tief in mir drin spürte ich einen scharfen Stich bei dem Gedanken. Wie ein dünnes Messer, das mir in den kalten Körper gestoßen wurde, ungefähr an der Stelle, wo früher mein Herz schlug.
Ich durfte mich von diesen Gefühlen und Gedanken nicht irritieren lassen, ich musste einen klaren Kopf bewahren. Plötzlich fiel mir Dennis ein. Er hatte eine Menge von Franks Blut für seine Verwandlung getrunken. Wenn ich schon über ein unkontrolliertes Verhalten verfügte, wie mochte dann erst Dennis’ Reaktion auf das schlechte Blut sein?
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