„Wir haben bis jetzt noch nicht sehr viele Anhaltspunkte“, sagte Monique und sah sich die Notizen an.
„Ich habe mir die Fundstelle genau angesehen“, meinte Anaïk, „der Leichnam lag in einer Tiefe von fast 80 Zentmetern. Mit einem Bagger hat man eine solche Tiefe schnell erreicht. Aber mit einer Schaufel dauert das bestimmt ein oder zwei Stunden.“
„Und auch dann nur, wenn der Boden nicht allzu hart ist und möglichst wenig Steine aus dem Weg zu räumen sind. Ansonsten gräbt man viel länger“, meinte Monique.
„Ich glaube, wir können eine Frau als Täterin ausschließen. Eine Frau schafft es nicht ein solches Grab auszuheben, wenigstens nicht in einer halben Nacht. Schließlich musste die Arbeit beendet gewesen sein, bevor die ersten Bewohner erwachen. Aus verschiedenen Häusern hat man durchaus einen Blick auf den Mauerabschnitt“, sagte Anaïk.
„Wir suchen also nach einem Mann, der die Tat vor über einem Jahr begangen hat. Die Suche wird sich nicht ganz einfach gestalten. Fingerabdrücke werden wir nach so langer Zeit nicht mehr finden.“
„Du meinst auf einer Schaufel oder einem Spaten, falls wir den bei einer verdächtigen Person finden sollten?“
„Ja, zum Beispiel, wir müssen dem Verdächtigen schließlich nachweisen, dass er das Grab ausgehoben hat.“
„Nun, das Holz am Stiel einer Schaufel ist poliert. Darauf sind Fingerabdrücke lange nachweisbar. Wenn der Mann auch noch Schweiß an den Fingern gehabt hat hält sich der Abruck noch länger. Beim Ausheben einer solchen Grube kommt man doch ins Schwitzen, ob sich die Abdrücke aber über ein Jahr lang halten? Es ist müßig darüber nachzudenken, wir haben noch nicht einmal einen Verdächtigen, geschweige denn die Schaufel. Wenn es soweit ist überlassen wir Dustin den Rest.“
„War ja auch nur eine Überlegung. Natürlich müssen wir zuerst einmal einen Verdächtigen finden.“
„Ich wäre froh, wenn wir wenigstens einen Anhaltspunkt hätten, in welche Richtung wir suchen müssen. Ich hoffe, dass Yannick uns weiterhelfen kann. Wenn er eine brauchbare DNA findet bekommen wir vielleicht raus wer der Tote ist.“
„Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dass der Mörder in der Ville Close wohnt, engt das den Kreis der möglichen Verdächtigen schon erheblich ein.“
„Aber nicht so, dass wir unseren Mörder nur noch herauspicken müssen. In der Ville Close leben bestimmt zwei- oder dreihundert Menschen. Außerdem, Monique, es ist nur eine Vermutung. Der Mörder kann auch außerhalb der Ville Close wohnen.“
„Ja Anaïk, wir dürfen unsere Suche nicht einengen. Warten wir ab was Yannick findet.“
Dustin lag auf dem Bauch in dem ausgehobenen Graben und bemühte sich die Erde unter dem Skelett, das vor wenigen Minuten sorgfältig herausgenommen worden war, zu untersuchen. Vorsichtig trug er Zentimeter für Zentimeter des Bodens mit einer kleinen Blumenschaufel ab, sah den Inhalt auf der Schaufel an, um nur nichts zu übersehen und warf das Erdreich danach weg. Seine Ausbeute war gering. Immerhin hatte er ein kleines Schnapsfläschchen und zahlreiche Knöpfe, die vermutlich von den Kleidern des Toten stammten, gefunden. Reste der Kleidung waren von einem Kollegen sichergestellt worden. Seine weitere Suche förderte noch einige Münzen und ein Portemonnaie zu Tage. Jetzt galt es kleinere oder kleinste Spuren zu sichern. Langsam arbeitete er sich vor. Dustin stach mit seiner kleinen Schaufel erneut ins Erdreich und hob einen weiteren Zentimeter Erde aus als er auf der Schaufel eine kleine dunkle dünne Scheibe entdeckte, deutlich vom langen Liegen angegriffen. Er nahm sie in die Hand und betrachtete sie sorgfältig. Vorsichtig rieb er die Erde ab. Er war überrascht, eine alte Münze in der Hand zu halten. Er tippte auf eine Kupfermünze, die aber bestimmt schon sehr lange hier lag. Auch wenn die Münze wahrscheinlich nichts mit dem Mord zu tun hatte, legte er den Fund in eine Plastiktüte. Nach zwei weiteren Stunden des Grabens hatte er einen Zigarettenstummel, ein kleines Stück Eisen, ein Stück Ölpapier und Reste einer Plastiktüte gefunden.
Dustin stieg zufrieden aus dem Graben. Erst jetzt merkte er, dass ihn sein Brustraum schmerzte. Das lange Liegen auf dem Bauch war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Nach einigen Minuten beruhigte sich der Druckschmerz wieder und Dustin widmete sich seiner Ausbeute. Die Reste der Kleidung des Toten würde er sich genauer ansehen müssen. Vielleicht wären sie zur Identifizierung des Mannes hilfreich. Vorsichtig öffnete er das Portemonnaie, dessen Leder zwar angegriffen aber nicht zerstört war. In der Münztasche lagen drei Euro in kleinen Einheiten von 50, 20 und 10 Cent Münzen. Die Scheinfächer waren leer. Dustin legte das Portemonnaie wieder in die Plastiktüte und betrachtete die anderen Fundstücke. Sein Interesse galt vor allem dem kleinen Stück Ölpapier. Was war in diesem Papier eingewickelt gewesen? Er betrachtete das Stück genauer. Es war etwas Herausgerissenes, wie ein Fetzen eines aufgerissenen Pakets. Er legte es wieder zurück in die Tüte. Dann machte er sich mit seinen Kollegen an die Arbeit, den Grasboden rund um den Graben abzusuchen. Die Arbeit erschien ihm eigentlich sinnlos, denn im Laufe der letzten Monate hatten sich bestimmt hunderte von Menschen hier aufgehalten.
Der kleine Bagger, mit dem der Graben ausgehoben worden war, hatte tiefe Spuren in dem Grasboden hinterlassen, so dass es nicht viel Sinn machte hier weiter zu suchen. Dustin ordnete an, die weitere Suche einzustellen. Die Männer packten ihre Utensilien zusammen und machten sich zurück auf den Weg ins Kommissariat. Die Ausbeute ihrer akribischen Arbeit war zufriedenstellend. Seine wichtigste Arbeit begann, sobald er die einzelnen Fundstücke einer genauen Prüfung in seinem Labor unterzog. Manchmal genügte schon ein Blick durchs Binokular auf den Gegenstand um wichtige Hinweise zu finden.
Dustin begann mit seiner Arbeit, die er am liebsten alleine und in völlig ungestörter Umgebung absolvierte. Jedes Geräusch störte ihn, er konnte weder Musik noch das Klingeln eines Telefons gebrauchen. Aber genau in diesem Moment klingelte das Telefon und störte ihn in seiner minutiösen Arbeit.
„Goarant“, meldete er sich mürrisch, ohne auf die Nummer von Anaïk zu achten, die das Display signalisierte.
„Dustin, Anaïk hier, ich möchte wissen, ob du etwas Brauchbares gefunden hast?“
„Hallo Anaïk, ich habe gerade erst mit der Untersuchung der Fundstücke begonnen. Wir haben eine ganze Reihe von Gegenständen gefunden. Wenn ich von den Kleiderresten absehe haben wir noch ein Portemonnaie, ein kleines Schnapsfläschchen, zahlreiche Knöpfe, einen Zigarettenstummel, eine recht alte Kupfermünze, ein kleines Stück Metall, vermutlich Eisen, ein Stück Ölpapier und Reste einer Plastiktüte gefunden. Aber ich muss mir alles genauer ansehen, bevor ich eine Aussage machen kann.“
„Dustin, ich will dich nicht drängen, aber wir haben bisher so wenige Anhaltspunkte, dass wir uns an jedem Strohhalm festhalten.“
„Anaïk, gib mir noch einige Stunden Zeit, dann kann ich dir vielleicht etwas mehr sagen. Hast du schon mit Yannick gesprochen? Ich könnte mir vorstellen, dass er mit seinen Untersuchungen etwas schneller ist.“
„Nein, habe ich noch nicht. Dustin, ich gehe davon aus, dass der Mediziner länger braucht als du.“
„Alte Schmeichlerin, aber danke, tut gut.“
„Dustin, ich warte geduldig ab und versuche in der Zwischenzeit bei Yannick mein Glück.“
Anaïk legte auf. Dustin fuhr in seiner Arbeit fort. Das Ölpapier hatte es ihm angetan. Was war in diesem Papier einmal eingewickelt gewesen? Warum hatte das Papier in einem Grab gelegen? War es Zufall oder gehörte es zu dem Toten? Auch unter dem Binokular gab das Papier keine Antwort auf seine Fragen. Er konnte an einer Seite erkennen, dass es dem Erdreich ausgesetzt gewesen war. Der kleine Fetzen stammte jedenfalls nicht aus dem Innern eines Pakets, soviel konnte er sagen. Was wickelt man in Ölpapier wenn man es vergraben will? Ein wertvolles Bild? Heroin, wie bei einem der letzten Fälle auf Ouessant? Eine Waffe? Geldscheine? Es gab bestimmt hunderte von Gegenständen, die man so verpackt um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Was war in dem Ölpapier eingewickelt gewesen? Sollte dieser Fetzen durch Zufall ins Grab gelangt sein als der Tote eingebuddelt worden war?
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