1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Elfriede zeigte bei dieser Art von Reden keine Reaktion und keinerlei Entgegenkommen und ich merkte, dass ich auf eine andere Art versuchen müsste, ihr näher zu kommen. Hierbei kam mir zupass, dass Elfriede bei uns wohnte, weil sie aus dem Emsland kam, und dass meine Eltern nicht den ganzen Tag zu Hause waren. Meine Mutter arbeitete als Telefonistin in der Fabrik und mein Vater ging seinen Pflichten als Arbeitsdirektor nach.
Elfriede war eigentlich nach dem Mittagessen mit ihrer Hausarbeit fertig und machte am Nachmittag höchstens noch etwas Handarbeit. So konnte ich für jeden Nachmittag eine gemeinsame Sportstunde einführen. Die begann zunächst mit Kniebeugen und Liegestützen, die jeder für sich machte, führte aber bald zu Übungen mit dem gegenseitigen Wiegen oder dem gleichzeitigen Aufstehen vom Boden, wenn wir uns auf dem Boden gegenübersaßen und die Füße gegeneinander gestemmt hatten und uns mit den Händen festhielten.
Nach diesen sehr harmlosen Anfängen, bei denen ich Elfriedes Interesse für dieses gemeinsame Spiel weckte und ihr Vertrauen gewann, gelang es mir bald, Elfriede zu Ringkämpfen zu überreden. Elfriede, die sehr kräftig war, fasste die Sache sportlich auf und besiegte mich am Anfang mehrere Male, da ich mich passiv verhielt. Da sie mich aber so unbefangen angriff, wie es für eine erfolgreiche Kampfführung gerade nötig war, begann ich auch, überall an ihrem Körper hinzugreifen, wo es mir aus sexuellen und aus sportlichen Gründen gerade gewinnbringend erschien, was Elfriede auch anstandslos geschehen ließ.
Allerdings konnte ich mit den erstrebten Zonen noch nicht in direkten Kontakt kommen, weil zu viel Wäsche dazwischen war. Und so setzte ich durch, dass im Turnzeug Sport gemacht wurde. Jetzt rutschten mir die Hände allerdings sehr häufig aus und kamen mit den Brüsten und sogar mit der feuchten Stelle zwischen den Schenkeln in Berührung. Einmal rutschte mein Finger schließlich in diese feuchte Stelle hinein und blieb darin stecken. Und dann ergab sich alles andere ganz von selbst. Elfriede benahm sich so selbstverständlich, als wenn wir noch weiter den Ringkampf machten, und machte mich mit ihrer trägen schweren Sinnlichkeit unendlich glücklich.
Man hätte annehmen können, dass ich jetzt nach meinen Wünschen hätte weiter verfahren dürfen. Das war aber nicht der Fall; denn Elfriede nahm die Kontingentierung der Angelegenheit jetzt selbst in die Hand und sagte mir, dass sie in Zukunft nur damit einverstanden sei, wenn sie im Turnzeug zur Sportstunde käme. Das aber geschah nur noch einmal! Und als ich dann versuchte, die Kleiderfrage auf meine Weise zu lösen, indem ich ihr die Kleider auszuziehen versuchte, gab sie mir eine so gewaltige Ohrfeige, dass ich kampfunfähig war und von meinen Eigenmächtigkeiten für alle Zukunft geheilt war.
Elfriede verließ dann auch bald unser Haus, um im Emsland zu heiraten und viele kleine Wendenkinder zur Welt zu bringen. Ich aber hatte nach Anne meinen zweiten Verlust einer (wie sich jetzt herausstellte) geliebten Bezugsperson zu verschmerzen. Und ich suchte mir keinen Ersatz. Ich lebte die folgenden Jahre keusch bis zur Sexualneurose und vereinsamte mehr und mehr.
Ich möchte die Geschichte meiner erotischen Begegnungen nunmehr fortsetzen. Du erinnerst dich, dass meine letzte Liebesaffäre kein gutes Ende genommen hatte und ich deswegen eine Zeit lang keine Freundin hatte. Dennoch kam einige Jahre später der Zeitpunkt, dass ich von einer neuen Liebe überwältigt wurde. Das war zur Zeit meiner beruflichen Ausbildung. Ich hatte trotz meiner „frühkindlichen“ Abneigung gegen die Schule auf Druck meiner Eltern das Abitur sehr früh geschafft und danach wegen der guten Verdienstmöglichkeiten auf ihren Wunsch Zahnmedizin studiert. Nachdem ich in kürzester Zeit das Studium der Zahnmedizin erfolgreich beendet hatte, besuchte ich eine Fachschule für Schreiner. Als Zahnarzt wollte ich nicht arbeiten, weil mir meine Scharte den unmittelbaren Umgang mit vielen fremden Menschen zu einer qualvollen Anstrengung gemacht hätte. Mit Holz zu arbeiten machte mir dagegen Vergnügen, und der persönliche Umgang mit Kunden ist ja bei weitem nicht so nah und so häufig wie bei einer Zahnbehandlung. Gesellige Zusammenkünfte mit vielen – selbst bekannten – Menschen sind mir immer unbehaglich gewesen. Bei jeder Begegnung mit anderen Menschen hatte ich Angst, dass sie von meinem Aussehen abgestoßen werden oder darüber irgendwelche unpassenden Bemerkungen machen könnten. Daher war ich immer froh, wenn ich unumgängliche Zusammenkünfte so früh wie möglich wieder verlassen konnte.
Ich hatte den Ausbildungsort nicht gewechselt und so besuchte ich nach den Unterrichtsstunden in der Fachschule aus meiner alten Neigung zur Literatur als Gasthörer noch einige Vorlesungen an der Universität. Meine Ängste vor anderen Menschen spielten hier keine so große Rolle, da mich niemand kannte und ich mich im Schutz meiner Anonymität unabhängig und sicher fühlen konnte.
Da diese Vorlesungen nicht zu meiner Berufsausbildung gehörten, folgte ich den Ausführungen der Dozenten sehr entspannt und konzentrierte mich in meiner unbewussten Sehnsucht nach Partnerschaft mit einer Frau mehr auf die Beobachtung der Studentinnen als auf die Ausführungen der Professoren zu Eichendorff, Rilke, Brecht und Karl Marx. Bald schon fiel mir eine gut aussehende Studentin mit einer sehr innigen Aura auf und ich beachtete sie mehr als die interessantesten Mitteilungen über romantische Chiffren, symbolistische Dingmagie, episches Theater und den dialektischen Materialismus.
Das Mädchen war blond, blauäugig, groß gewachsen und von einer in sich versammelten Lieblichkeit. Es beseligte mich, wenn die junge Frau in meiner Nähe saß, und ich war betrübt, wenn sie nicht in die Vorlesung kam. Schließlich war mir klar, nur dieses Mädchen konnte meine Frau werden. Ich war ihm mit meiner ganzen Existenz verfallen. Aber wie sollte ich seine Bekanntschaft machen, wie es für mich gewinnen? Ich war Einzelkind, in einer Jungenschule mit viel Ausbildungsprogramm, aber ohne gesellschaftliche Kontakte aufgewachsen und hatte mit Mädchen trotz meiner zwei sexuellen Abenteuer keine Erfahrung. Ich war in dieser Hinsicht auch – wie gesagt – durch meine Behinderung blockiert.
Es wurde für mich zu einem großen Problem, mit einem solcherart eingeschränkten Repertoire meine Leidenschaft an den Mann oder – genauer gesagt – an die Frau zu bringen. Zu meinem großen Unglück musste ich zudem Zeuge davon werden, wie die Angebetete bald einen Freund hatte, mit dem zusammen sie nicht nur die Vorlesungen besuchte, sondern auch auf der Straße und in den Lokalen der romantischen Universitätsstadt anzutreffen war. Diese Wahrnehmung hatte eine durchschlagende Wirkung auf meine seelische und körperliche Verfassung. Ich wurde maßlos eifersüchtig auf den unbekannten Rivalen. Ich konnte nicht mehr essen und schlafen. Ich magerte ab, ernährte mich nur noch von Haferschleim und Knäckebrot und gewöhnte mich daran, dem Tod täglich unerschrocken mein junges Leben als leichte Beute anzubieten. Dieser aber rührte die ihm wahrscheinlich allzu magere Beute nicht an.
Schließlich explodierten meine Leidenschaft und Eifersucht in einem Schwall von Worten, die ich in einem langen Brief aneinander reihte. Der Brief umfasste eine Suada von Vorwürfen gegenüber der jungen Frau, die mich ja gar nicht kannte, wegen ihrer häufigen männlichen Begleitung, einen Bericht über meine Vergangenheit und einen Science-Fiction-Teil über meine mutmaßliche Zukunft als Schreinermeister. An den Schluss setzte ich ein Gedicht von Hans Carossa, das ich damals als Schlafmittel brauchte, weil es einen wunderbar beruhigenden und tröstenden Inhalt und Rhythmus hat.
Der alte Brunnen
Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
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