Joseph von Eichendorff
Aus dem Leben eines Taugenichts
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Theodor Pelster
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts . Hrsg. von Max Kämper. Stuttgart: Reclam, 2015. (Reclam XL. Text und Kontext, 19238.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 2354.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15502
2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2019
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961451-9
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015502-8
www.reclam.de
In die Welt zu ziehen, um dort ›sein Glück zu machen‹, ist nicht nur ein Motiv von Märchenhelden, sondern ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen – vor allem des jungen Menschen. Die Frage aber ist: Was ist das ›Glück‹? Wo findet und wo erfährt man es? Was muss man tun, um es zu gewinnen, zu erarbeiten, zu erhalten?
Die Frage nach dem Glück scheint von so grundsätzlicher Bedeutung zu sein, dass sie immer wieder und in immer neuen Zusammenhängen gestellt wird – in Sprichwörtern und Weisheitssätzen, in Dichtungen und philosophischen Abhandlungen. Antworten liegen vor in lebenspraktischen Handreichungen, in religiösen, in philosophischen, in literarischen Texten. Endgültiges ist von keiner dieser Abhandlungen zu erwarten. Schon das Wort ›Glück‹, das sich verhältnismäßig spät in der deutschen Sprache entwickelt hat, entzieht sich einer genauen inhaltlichen Bestimmung. Ob es eine direkte Beziehung zwischen ›Glück haben‹ und ›glücklich sein‹ gibt, ist eine oft diskutierte Frage.
Hinter den verschiedenen Konzeptionen von Glück und SchicksalGlück steht die viel grundsätzlichere Frage, ob der Mensch Mächten ausgeliefert ist, auf die er keinen Einfluss hat, die vielmehr umgekehrt in sein Leben eingreifen. Er nennt sie abwechselnd Zufall, Schicksal, Fügung – oder auch Glück und Pech und sieht in diesen Erscheinungen Auswirkungen außerirdischer Instanzen, göttlicher, teuflischer oder gänzlich undurchschaubarer Kräfte.
Einige Pessimismus und OptimismusGrundeinstellungen hat man zu klassifizieren versucht. So nennt man jemanden, der der Ansicht ist, dass »Leben und Welt vom Schlechten und Bösen beherrscht werden«1, einen Pessimisten. Als Optimist gilt derjenige, der auch in widrigen Lagen zuversichtlich bleibt und alles, was geschieht, von der besten Seite sieht. Er ist wie der große Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) der Ansicht, dass die Welt, die uns gegeben ist, »die beste aller möglichen«2 sei und dass der Mensch in dieser Welt glücklich werden könne.
Ist das eine Ideologie, eine Utopie, eine Illusion? Eichendorffs Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts ist ein Gedankenentwurf. Das Glück als ModellModellartig wird vorgeführt, wie und wo ein junger Mensch das Glück sucht – und findet: Von seinem Vater als »Taugenichts« (S. 5) beschimpft, verlässt dieser junge Mann sein Zuhause und zieht los. Er akzeptiert die Benennung »Taugenichts« und gibt ihr eine neue, positive inhaltliche Füllung. Er erinnert sich: »[A]ls ich endlich ins freie Feld hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige vor, und spielte und sang, auf der Landstraße fortgehend« (S. 5).
Selbst wenn man die Darlegungen als unrealistisch, als typisch romantisch einstuft und wenn man das Ganze für eine Idylle hält, so lohnt die Auseinandersetzung. Sie hat unter anderem zum Ziel, die eigene Die eigene LebenseinstellungGrundeinstellung zu prüfen: Wie wird man zum Optimisten, wie zum Pessimisten? Welche Gründe gibt es für die eine Haltung, welche für die andere? Ist tatsächlich jeder, wie das Sprichwort zu denken nahelegt, selbst »seines Glückes Schmied«? Ist ›glücklich sein‹ ein möglicher, ein erstrebenswerter, ein erreichbarer Zustand? Oder ist die Geschichte vom Glück tatsächlich nur ein romantisches Märchen?
Der Ich-Erzähler, der als junger Mann eines Morgens von seinem Vater, einem Müller, als »Taugenichts« (S. 5) ausgeschimpft und fortgeschickt wurde und daraufhin beschloss, »in die Welt [zu] gehen« (S. 5), berichtet im Rückblick, wie es ihm dort ergangen ist.
Kaum hat der Taugenichts das Dorf und seines Vaters Mühle Der Aufbruchverlassen, da hält ein vornehmer Reisewagen neben ihm und zwei schöne Damen bieten dem singenden und Geige spielenden Wandersmann an, ihn eine Strecke mitzunehmen. Er springt hinten auf den Wagen, betrachtet eine Zeit lang die Landschaft, schläft ein und befindet sich, als er wach wird, in der Einfahrt eines schönen Schlosses in der Nähe von Wien.
Eine Kammerjungfer lässt im Auftrag der gnädigen »Herrschaft« (S. 8) fragen, ob der eben Angekommene im Schloss als Gärtnerbursche dienen wolle. Ohne lange zu überlegen, nimmt dieser die Stelle an und resümiert aus dem Abstand des Erzählers: »Überhaupt weiß ich eigentlich gar nicht recht, wie doch alles so gekommen war, ich sagte nur immerfort zu allem: Ja« (S. 8).
Zu der Zeit, da die Handlung spielt, kann er noch nicht ahnen, dass die zufällige Bekanntschaft mit den beiden Damen im Reisewagen über seinen ganzen weiteren Lebensweg entscheidet. Spontan hat er sich nämlich in die eine der beiden Damen, die »besonders schön und jünger als die andere« (S. 6) ist, verliebt. Er hält sie jedoch für adlig und unerreichbar. Er wird ihr singen und sie verehren und erst am Schluss erfahren, dass sie keineswegs eine abstandgebietende adlige Herrschaft ist, sondern die verwaiste Nichte des Portiers, die im Schloss erzogen wurde und dem »Taugenichts« von Anfang an zugeneigt ist, so dass nach vielen Verwirrungen nichts gegen eine Trauung und ein glückliches Ende spricht. Die ältere der beiden Damen ist dagegen tatsächlich die Gräfin des Schlosses, die sowohl die Schloss- wie auch die Familienangelegenheiten zu lenken hat. Diese Haus-, Hof- und Familiengeschichten, die der Taugenichts gar nicht und der Leser nur schwer durchschaut, bilden den Hintergrund der erzählten Geschichte.
Aus der Ferne also verehrt der Taugenichts als Gärtnerbursche »die Die »liebe schöne Frau«liebe schöne Frau« (S. 11). Statt zu arbeiten, singt er Lieder und hofft, sie ab und zu am Fenster zu sehen. Als die Hofgesellschaft an einem Sonntag einen Spaziergang durch den Schlossgarten macht und sich vom Gärtnerburschen über den Teich rudern lässt, ist »die schöne Frau« (S. 12) dabei, hält »die Augen niedergeschlagen […] und sagte gar nichts« (S. 14). Sie reagiert auch nicht, als der Taugenichts ein Lied über die sehnsüchtige Liebe zu einer unerreichbaren Frau hohen Standes singt. Er deutet das Verhalten der schönen Frau fälschlicherweise als gewollte Distanzierung und empfindet tiefen Liebesschmerz.
Offensichtlich hat der Der Taugenichts als SpießerTaugenichts die Gunst der Herrschaft erworben; denn als der Zolleinnehmer des Landguts stirbt, wird er dessen Nachfolger. Von diesem übernimmt er auch den »roten Schlafrock« (S. 16), die Pantoffeln, die Schlafmütze und die Pfeifen. Tagsüber sitzt der Taugenichts in dieser Aufmachung vor dem Zollhaus und beobachtet die Leute. Da er das »vornehmere Leben« gemütlich findet, überlegt er, das Reisen aufzugeben. So entwickelt sich der Taugenichts zu einem ›Philister‹, einem Spießer (siehe für eine Begriffserklärung Kap. 5 »Quellen und Kontexte«
).
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