Georg Büchner
Dantons Tod
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Uwe Jansen
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Georg Büchner: Dantons Tod. Ein Drama . Hrsg. von Ralf Kellermann. Stuttgart: Reclam, 2018 [u. ö.]. (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19037.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 6060.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15494
2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2018
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961390-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015494-6
www.reclam.de
Autor |
Georg Büchner, 17. Oktober 1813 (Goddelau, Hessen-Darmstadt) – 19. Februar 1837 (Zürich) |
Erstdruck |
1835 (redaktionell stark bearbeitet), Frankfurt a. M. |
Uraufführung |
1902 Berlin, Freie Volksbühne im Belle Alliance Theater |
Ort und Zeit der Dramenhandlung |
Paris, Frühjahr 1794 |
Handlungsbestimmender Konflikt |
Phase der Terreur (Schreckensherrschaft) innerhalb der Französischen Revolution |
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Gruppe um Danton: Mäßigung |
Gruppe um Robespierre: Radikalisierung |
»Der Dichter ist kein Lehrer der Moral«1, erklärte der 21-jährige Medizinstudent und steckbrieflich gesuchte Revolutionär kurz nach der Veröffentlichung von Dantons Tod am 28. Juli in einem Brief an seine Familie. Tatsächlich dürfen Leserinnen und Leser dieses Dramas keine vorgefertigten Keine vorgegebene LesartLehrsätze erwarten. Und das ist wohl auch gut so. Zu verschieden ist unsere Zeit von derjenigen Büchners und erst recht im Vergleich zur Französischen Revolution, zu unterschiedlich sind alle Individuen, die sich auf den komplexen Text einlassen, und zu stark sind wir vom grundsätzlichen Wert eines Pluralismus der politischen Meinungen, der Weltanschauungen, der religiösen Vorstellungen u. Ä. überzeugt. Zahlreiche konkurrierende Deutungen des Dramas (Kap. 6), die sich mitunter sogar widersprechen, belegen diese Vielfalt.
Warum Dantons Tod lesen?Warum dann Dantons Tod lesen? Büchner fährt in seinem Brief an die Familie fort: »[Der Dichter] erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht.«2 Nimmt man diese Selbstäußerung ernst, so handelt es sich bei dem Stück um eine Art Dramatische VersuchsanordnungVersuchsanordnung des jungen, politisch bewegten Naturwissenschaftlers, die gerade wegen der Vielfalt der Ergebnisse, die sie hervorzubringen vermag, zeitlos ist.
Stoff ist also die Große Revolution in Frankreich (1789–99) – Büchner wählt aber gerade nicht den triumphalen, bis heute gefeierten Beginn am 14. Juli, auch nicht die (gerade im deutschsprachigen Raum stark und kontrovers wahrgenommene) Verhaftung und Hinrichtung König Ludwigs XVI., schon gar nicht die Verfassungsgeschichte und auch nicht das (scheinbare?) Ende der Revolution mit Napoleon. Er greift vielmehr wenige Tage innerhalb der sogenannten Stoff: Zeit der SchreckensherrschaftSchreckensherrschaft heraus. Nach Ausschaltung der ultraradikalen Hébertisten am 24. März 1794, worauf zu Beginn des Dramas (I,2) Bezug genommen wird, stehen einander im Wesentlichen zwei Gruppierungen gegenüber: Die Jakobiner um Robespierre und St. Just wollen den revolutionären Prozess mit dem Ziel eines vollständigen, auch sozialen Umsturzes weiter radikalisieren. Danton und seine Mitstreiter, ursprünglich gemeinsam mit Robespierre am zentralen Wohlfahrtsausschuss beteiligt, wollen die Revolution beenden und treten für Mäßigung ein. Das Stück führt die letzten Tage dieser Auseinandersetzung bis zur Hinrichtung der Dantonisten am 5. April 1794 vor.
Es geht um Politik, um blutige Gewalt und Willkür, aber auch um Sexualität und innige Liebe bis in den Tod und nicht zuletzt um philosophische und existentielle Letzte FragenFragen nach dem Dasein Gottes und der Zerbrechlichkeit des Menschen. Büchner legte die Fragen, die ihn zeit seines kurzen Lebens unaufhörlich beschäftigten und die wohl niemandem unbekannt sind, seiner Titelfigur in den Mund: »Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?« (S. 43), Fragen, die er fast wörtlich auch bereits seiner Braut in einem Brief um die Entstehungszeit des Textes im Frühjahr 1834 stellte.3
In ihrer literarischen, aber auch politischen Radikalität BüchnersRadikalität waren die Schriften Büchners ihrer Zeit weit voraus – erst im 20. Jahrhundert begann sich die immense WirkungWirkung richtig zu entfalten. Nach der Uraufführung des Stückes im Berliner Belle Alliance Theater durch die der Arbeiterbewegung nahestehenden Freien Volksbühne im Jahr 1902 folgten in den wenigen Jahren der Weimarer Republik an die 100 verschiedene Inszenierungen auf deutschsprachigen Bühnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Werk Büchners in beiden deutschen Staaten und darüber hinaus – wenn auch z. T. aus unterschiedlichen Gründen – hoch angesehen, es entstanden erstmals wissenschaftlich belastbare Textausgaben. Georg Büchner heuteHeute ist Büchner aus der Literatur- und Theaterwissenschaft, von den Bühnen unterschiedlichster Couleur und auch aus den Klassenzimmern nicht mehr wegzudenken – ein sichtbares Indiz hierfür ist die in der Öffentlichkeit stark beachtete jährliche Vergabe des Georg-Büchner-Preises für deutschsprachige Literatur der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der als bedeutendster Literaturpreis des Landes gilt.
Trotz aller Modernität wahrt Dantons Tod im Prinzip die drei klassischen, auf Aristoteles zurückgehenden Einheiten des Dramas: Raum, Zeit, Handlung.
I Exposition des Konflikts
I,1 Vorstellung der Dantonisten in einem Spielsalon
Danton und seine Freunde befinden sich in einem Dantonisten beim SpielSpielsalon, wohl innerhalb des Vergnügungslokals ›Palais Royal‹. Danton beobachtet im Gespräch mit seiner Gattin Julie, wie sich Hérault-Séchelles mit »einigen Damen« beim Kartenspiel vergnügt. Wenig später stoßen Camille Desmoulins und Philippeau hinzu. Sie berichten über die Hinrichtung der ultraradikalen Hébertisten an diesem Tag und diskutieren die Folgen dieses Ereignisses. Hérault-Séchelles formuliert das Politisches ProgrammProgramm der Dantonisten: »Die Revolution muss aufhören und die Republik muss anfangen« (S. 7). Diese Republik will er auf den Grundlagen des bürgerlichen Liberalismus errichten. Camille ergänzt diese Ziele um die Sinnenfreude der griechischen Antike (Epikur) im Gegensatz zu Robespierres römisch inspirierten Tugendheroismus.
Auf diese Aufforderung zum politischen Handeln reagiert Danton ausgesprochen Skepsis Dantonsskeptisch. Die Ideen seiner Freunde findet er weder sinnvoll noch realistisch, seine düstere Prophezeiung im Hinausgehen nimmt das Ende der Dantonisten bereits vorweg: »die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen« (S. 8).
I,2 Vorstellung Robespierres in Kontakt mit dem einfachen Volk
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