Dahinter steht Dantons und auch Büchners Verständnis des griechischen Philosophen EpikurEpikur (um 300 v. Chr.). Dieser sah in der Unerschütterlichkeit der Seele das höchste Ziel menschlicher Existenz; Furcht vor den Göttern oder gar vor dem Tode seien zu verachten. Auf dem Weg zu diesem Ziel seien Selbstbeherrschung und Mäßigung wichtige Hilfen. Heute versteht man unter einem Epikuräer jedoch stark verkürzend einen reinen Genussmenschen. Für Griechen und Römer, für sinnenfreudige Sensualisten wie für strenge, auf Moral bedachte Idealisten gilt in Dantons Augen dasselbe: »Die einen waren so gut Epikureer wie die andern« (IV,5; S. 79). Ganz am Ende steht die radikal absurde Feststellung: »Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott …« (IV,5; S. 80).
Ruhe findet Danton in Ansätzen allenfalls in der innersten Privatsphäre, unter Danton und die FrauenFrauen. Noch auf die Körperlichkeit reduziert gegenüber Marion: »Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen« (I,5; S. 21). Und schließlich in Gedanken an Julie: »O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste – ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben« (III,7; S. 67).
Der engere Kreis der Dantonisten um die Hauptfigur besteht aus Camille, Hérault, Lacroix und Philippeau. Sie werden vom Gegner St. Just in einem Atemzug genannt (I,6; S. 28 f.) und sehen sich selbst als Gruppe, wie Lacroix Danton gegenüber klarmacht: »Dein Name! du bist ein Gemäßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, Hérault« (I,5; S. 23). Im vierten Akt müssen sie gemeinsam auf ihre Hinrichtung warten. So erscheinen sie durchaus als eine einheitliche Gruppe, auch wenn im Einzelnen differenziert werden kann.
CamilleBegeisterung für die griechische AntikeDesmoulins, der jüngste der genannten fünf, stammt wie Danton aus recht bescheidenen Verhältnissen. Wie kein Zweiter der Gruppe ist er fasziniert von den Idealen der griechischen Antike – ein scharfer Gegensatz zu Robespierre. Schönheit und Freiheit sind für ihn die Werte, für die es zu kämpfen lohnt. Anders als Danton sagt Camille Ja zum Leben. Das transparente Kleid einer attraktiven Frau wird zur Metapher für die politische Verfassung: »Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. […] Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen« (I,1; S. 7). Mit Blick auf die Kunst fordert er konsequenten Realismus: »Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: ach, die erbärmliche Wirklichkeit!« (II,3; S. 38). Noch im Angesicht der Guillotine drückt er dem Kutscher eine Münze in die Hand und zitiert damit die Mythologie der Alten: »Da alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentierteller« (IV,7; S. 81). Die private Szene II,3 bei ihm zu Hause zeigt sowohl die enge Freundschaft zu Danton als auch die zärtliche Liebe zu Lucile.
Hérault(Ehemaliger) Aristokratkommt aus dem Adel und galt als ausnehmend schön. Nach Danton wird er als Erster im Drama gezeigt, beim müßigen Kartenspiel; er wird noch vor den anderen Dantonisten verhaftet. Trotz dieser Merkmale, die ihn anscheinend von den übrigen Dantonisten distanzieren, ist er der Gruppe doch auch emotional eng verbunden, wenn er etwa im Gefängnis Camilles Arm nimmt (IV,5; S. 80). Er ist es auch, der Danton kurz vor der Enthauptung umarmen will: »Ach Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus« (IV,7; S. 82).
LacroixLebemslustiger Analytikerist scharfer Analyst. Kühl, realistisch und weitsichtig, vermag er schon zu Beginn der Dramenhandlung die politischen und sozialen Umstände einzuschätzen: »Die Sache ist einfach man hat die Atheisten und Ultrarevolutionärs aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen es läuft noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schule machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen, noch einige Grade und der Wohlfahrtsausschuss kann sich sein Bett auf dem Revolutionsplatz suchen« (I,4; S. 18). Kurz nach der Verhaftung wirft er Danton berechtigt seine Untätigkeit vor: »Und du hast nichts gesagt?« (III,1; S. 53). Lacroix steht besonders für den ausschweifenden Lebensstil, den Robespierre geißelt. Im ersten Akt etwa sucht er, begleitet von zwei Prostituierten, Danton auf und beschreibt diese ironisch: »Zwei barmherzige Schwestern, jede dient in einem Spital d. h. in ihrem eignen Körper« (I,5; S. 22).
PhilippeauGlaube an Gottist der Einzige der Dantonisten, der sich ausgesprochen religiös äußert. Von der Ruhe, die Danton so stark ersehnt und die er im Nichts sucht, sagt Philippeau: »Die ist in Gott« (III,7; S. 67). Sein ernsthafter Glaube an die Transzendenz wird im Gefängnis deutlich: »[…] man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches, das Ineinanderschreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind« (IV,5; S. 79). Auch Philippeau ist also durchaus deutlich von den anderen Dantonisten unterschieden – gleichwohl bilden sie während der ganzen Dramenhandlung eine geschlossene Gruppe. Ein konkretes politisches Programm allerdings sucht man vergeblich.
Zwei der Deputierten gehören nur im weiteren Sinne zu dieser von Büchner so fest gefügten Gruppe: Legendrefällt im Jakobinerklub (I,3) als etwasUngeschickter Taktiker ungeschickter Taktiker auf, was ihm anschließend von Lacroix auch deutlich gemacht wird: »Was hast du gemacht Legendre, weißt du auch, wem du mit deinen Büsten den Kopf herunterwirfst?« (I,4; S. 18). Sein Antrag im Nationalkonvent, der Danton retten sollte, scheitert ebenfalls (II,7). Legendre entging der Hinrichtung, was das Drama aber nicht ausdrücklich zeigt, im Unterschied zu Fabre, der tatsächlich mit den Dantonisten guillotiniert wurde, was das Drama wiederum verschweigt. Pariszeigt ebenso wie der namenlose Gefangene in IV,5 Dantons Talent zur Freundschaft.
Der englische Payne und MercierRepublikaner Payneund der aufklärerische, den Girondisten nahestehende Chaumette – Atheist im ZweifelSchriftsteller Merciertreten nur im Gefängnis auf, wo sie sich stark an dem mit der eigentlichen Dramenhandlung allenfalls lose verbundenen Gespräch über den Atheismus beteiligen. Payne will den Hébertisten Chaumette, der sich programmatisch nach dem griechischen Vorsokratiker Anaxagoras nennt und in der Vergangenheit wie fast kein Zweiter für den Kult der Vernunft stand, dem es vor dem Tod aber doch mulmig wird, »katechisieren« und die Nichtexistenz Gottes logisch erweisen. Der philosophisch unmögliche Versuch wirkt ironisch. »Es gibt keinen Gott […]. Quod erat demonstrandum« (III,1; S. 50).
Der heruntergekommene englische Dillon und LaflotteGeneral Dillonwill sich mit seinen chancenlosen Umsturzplänen vor allem selbst retten: »Hätt ich nur den Fuß auf der Gasse. Ich werde mich nicht so schlachten lassen« (III,5; S. 60). Darauf beschleunigt allerdings der Verrat Laflottesim Namen der Tugend die Handlung dramatisch. »Der Schmerz ist die einzige Sünde und das Leiden ist das einzige Laster, ich werde tugendhaft bleiben. […] Du kannst auf mich zählen General, wir werden aus dem Loch kommen, ( für sich im Hinausgehn ) um in ein anderes zu gehen, ich in das weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab« (III,5; S. 61).
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