Heinrich von Kleist
Michael Kohlhaas
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Theodor Pelster
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik . Hrsg. von Ralf Kellermann und Eva-Maria Scholz. Stuttgart: Reclam, 2016. (Reclam XL. Text und Kontext, 19243.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 218.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15484
2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2019
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961422-9
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015484-7
www.reclam.de
Heinrich von Kleist – mit vollem Namen: Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist – wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder in eine preußische Offiziersfamilie mit großer Tradition geboren, zu der jedoch auch einige Dichter und Schriftsteller gehörten. Kleists Lebensweg schien vorgegeben: Im Juni 1792, also im Alter von fast 15 Jahren, wird er in das Garderegiment Potsdam als Gefreiter-Korporal aufgenommen.
Eine Erfüllung findet er im Soldatenberuf jedoch nicht. Im April 1799 nimmt er seinen Abschied aus dem Militärdienst. In dieser Zeit schreibt er zur eigenen Suche nach dem GlückLebensorientierung einen umfangreichen Aufsatz, in dem er Gedanken der Aufklärung verarbeitet. In einem 1784 erschienenen Essay hatte der Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) ermuntert, sich aus den Fesseln der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien und zu wagen, einen eigenen Weg zum Glück zu suchen.1 Der junge Kleist nimmt auf Kants Appell Bezug und gibt seinem Aufsatz den Titel: »Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens – ihn zu genießen!« Darin heißt es:
»Wenn ich Ihnen so das Glück als Belohnung der Tugend aufstelle, so erscheint zunächst freilich das erste als Zweck und das andere nur als Mittel. Dabei fühle ich, dass in diesem Sinne die Glück durch Tugend?Tugend auch nicht in ihrem höchsten und erhabensten Beruf erscheint, ohne darum angeben zu können, wie dieses Verhältnis zu ändern sei. Es ist möglich, dass es das Eigentum einiger wenigen schönern Seelen ist, die Tugend allein um der Tugend selbst willen zu lieben und zu üben. Aber mein Herz sagt mir, dass die Erwartung und Hoffnung auf ein menschliches Glück und die Aussicht auf tugendhafte, wenn freilich nicht mehr ganz so reine Freuden dennoch nicht strafbar und verbrecherisch sei.«2
Doch die Weltlage und die Schwierige LebensverhältnisseLebensverhältnisse des jungen Mannes machen es ungemein schwierig, diesen »Weg des Glücks« zu finden:
Der Staat Preußen war unter Friedrich II., der auch der Große genannt wurde, zur europäischen Großmacht geworden, dann aber von dem Welteroberer und Weltumgestalter Napoleon entscheidend besiegt worden und in eine schwere Krise geraten. Kleist, der das militärische Scheitern Preußens als Soldat miterlebt hatte, sah sich gezwungen, einen neuen Lebensplan zu entwerfen, der ihm die Möglichkeit gibt, sich auszuzeichnen und seinen Ehrgeiz zufriedenzustellen.
Nach gescheiterten Versuchen auf verschiedenen Gebieten sucht er Ruhm nach dem TodErfolg und öffentliche Anerkennung auf dem Feld der Literatur. Er traut sich durchaus zu, mit seinen berühmten Zeitgenossen Goethe und Schiller in einen Wettstreit zu treten. Doch bleibt ihm deren Anerkennung und auch die des Publikums und der Kritiker versagt. Sein Ruhm beginnt erst nach seinem Tod zu strahlen.
Mit Suche nach Recht und Gerechtigkeitzwei Werken, die nach 1807 entstehen, sichert er sich, ohne das erleben zu können, einen Spitzenplatz in der ewigen Bestenliste der deutschen Literaturgeschichte: mit dem Schauspiel Der zerbrochne Krug (Erstaufführung: 1808, Druckfassung: 1811) und mit der Erzählung Michael Kohlhaas (Teilveröffentlichung: 1808, Gesamtveröffentlichung: 1810). In beiden Werken fragt und diskutiert Kleist, wie es um Recht und Gerechtigkeit in dieser Welt bestellt ist. Im Mittelpunkt der Werke steht jeweils ein Rechtsprozess, der folglich auch die Struktur beider Werke bestimmt. Das Schauspiel Der zerbrochne Krug bringt einen ganzen Gerichtsprozess von der Vorbesprechung der agierenden Parteien bis zur Urteilssprechung auf die Bühne. Der Fall, in dem Michael Kohlhaas die Hauptfigur ist, wird dagegen episch ausgebreitet.
In beiden Fällen geht es, wie es vor Gericht üblich ist, um einen »der Vergangenheit angehörenden Prüfung von Tat und GesetzTatbestand im Sinne der Anklage (Klage) oder der Verteidigung«3. Beurteilt wird, wie die getane Handlung zum Gesetz steht. In Frage stehen die Handlungen einerseits und die Gesetze andererseits. In den genannten Werken – Der zerbrochne Krug und Michael Kohlhaas – werden einerseits die Handlungen der ›Täter‹ sowie alles, was damit unmittelbar zusammenhängt, untersucht; und andererseits wird die jeweilige gesetzliche Grundlage, ihre Gültigkeit und die für den Fall angemessene Zuordnung geprüft. Die Beurteilung von Tat und Gesetz macht schließlich den von Kleist beschriebenen Prozess aus.
Heinrich von Kleist hat ein wechselvolles, von vielen Enttäuschungen geprägtes Leben durchlaufen müssen. SuizidSelbstbestimmt beendet er im Alter von 34 Jahren dieses Leben und resümiert in einem Abschiedsbrief an seine Schwester: »[…] die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.«4
Kleists Nachruhm setzte später ein; seine Geburtsstadt Frankfurt an der Oder ehrte ihn mit einem diskurswürdigen Kleist-Denkmal und einem informativen und eindrucksvollen Kleist-Museum.
Der erklärende Hinweis im Untertitel, dass es sich bei der Bezug zur WirklichkeitGeschichte um eine Übernahme »Aus einer alten Chronik« handle – ein Hinweis, der allerdings erst der Buchausgabe beigegeben wurde –, bereitet den Leser darauf vor, dass ihm ein Ausschnitt aus der Welt der Wirklichkeit vermittelt wird. In diesem Fall handelt es sich um eine Geschichte, die sich »um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts« im Wesentlichen »[a]n den Ufern der Havel« (S. 3) abgespielt hat, also in Brandenburg.
Der Leser wird damit in eine Zeit versetzt, in der noch Zeit der HandlungKaiser an der Spitze des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« von Wien aus die Herrschaft behaupteten, in der aber die Territorialstaaten wirtschaftlich und politisch an Bedeutung gewannen. So auch die Kurfürstentümer Brandenburg und Sachsen. Diese Fürsten standen an der Spitze des Adels, der das Offizierskorps, d. h. alle Offiziere einer Streitkraft, und die höheren Beamten stellte. Die Tätigkeit der Bürger war im Wesentlichen auf Handel und Gewerbe beschränkt. Die rechtlosen Bauern hatten für preiswerte Lebensmittel zu sorgen. Der Beginn einer neuen Epoche religiösen, aber auch wirtschaftlichen und politischen Denkens wird zusammenfassend in dem Thesenanschlag Luthers an der Schlosskirche von Wittenberg 1517 gesehen.
Abb. 1: Karte der Schauplätze. Entnommen aus: Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Mit Anmerkungen von Bernd Hamacher. Stuttgart: Reclam, 2003. S. 110.
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