Til Erwig
Der Linksabbieger
Quer Beet mit Til Erwig
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Inhaltsverzeichnis
Titel Til Erwig Der Linksabbieger Quer Beet mit Til Erwig Dieses ebook wurde erstellt bei
1.Der Linksabbieger
2. Das stille Leuchten
3. Die Schwierigkeit, ein perfekter Mörder zu sein
4. Familienanschluss
5. Der Lebenstraum
6. Wall Street – Ecke Leninplatz
7. Ab morgen wird´s anders
8. Der Linksabbieger
Impressum neobooks
Die im Bauhof abgestellten Lkw, Kräne, Bulldozer und Schaufelbagger wirken trotz der spärlichen Beleuchtung unheimlich gegen den hellen Nachthimmel, der einen baldigen Sonnenaufgang ankündigt. Unheimlich auch die Geräusche, die aus dem Pförtnerhaus heraus dringen. Ein Stöhnen, ein Keuchen, es könnte ein Zweikampf sein mit eventuell tödlichem Ausgang. Das Gegenteil ist der Fall. Jonathan „Jo“ Walder, seines Zeichens Nachtwächter (heute Security), treibt es mit einer außerordentlich hübschen Prostituierten, mit Lucie . Sein Vollbart, die ungepflegten, wildwachsenden Haare lassen Walder wie einen alten Mann aussehen. Ist er aber nicht, sowie er da liegt, unter Lucie, die sich an ihm abarbeitet. Manchmal verzieht er das Gesicht. Nicht aus Lust offensichtlich, er hat starke Kopfschmerzen. Sein Blick wandert über die Monitore der Überwachungsanlage. Der Druck im Kopf verändert seinen Blick: die statischen Bilder auf den Monitoren verfärben sich. Kräne und Bagger auf dem Gelände der Baufirma scheinen sich zu bewegen. Es sind plötzlich keine Maschinen mehr, in Jos Fantasie werden aus Schaufelbaggern mit grellgelb blinkenden Warnleuchten und unerträglich lauten Alarm Tönen riesige Ungeheuer mit gewaltigen monströsen (Bagger) Armen, die sich in den Sex einmischen, mitmischen wollen... Außenstehende, wenn sie es denn so sehen könnten, würden es vielleicht komisch oder zumindest gruselig finden. Dann aber, am Ende der Szene, auf ganz stille und liebevolle Weise der Orgasmus so stark, dass Lucie gar nicht weiß wie ihr geschieht. Nur eines wird dadurch klar, sie ist offensichtlich nicht das erste Mal mit Jo zusammen, man kennt sich schon länger. „ Für die Nummer müsste i c h eigentlich d i c h bezahlen“, seufzt Lucie rund rum zufrieden und räkelt sich im allzu engen Pförtnerhäuschen und greift nach ihrer Unterwäsche, die überall verstreut herumliegt. Jo lässt sich auf dem schmalen Notbett zurückfallen. Er ist Schweiß überströmt. Die monströsen Ungeheuer auf den Monitoren sind verschwunden. Regungslos stehen die Bagger und Bulldozer. „Das sagst du jedes Mal.“ Jo streckt sich, ist noch gar nicht richtig aus den gelebten Fantasien zurück. “Du hast es immer noch drauf.“ „Früher“, krächzt Jo und verstummt dann einfach. Lucie lacht, reibt Daumen und Zeigefinger, die Geste für Geld zählen. „Früher ... war alles anders, besser und billiger.“ „Ich bin pleite - im Augenblick.“ Lucie lacht. “Hahaha. Nulltarif is‘ nicht.“ „Hättest du vorher sagen müssen.“ „Was hätte ich vorher sagen müssen?“ “Dass du´s nur für Geld machst“, grinst Jo. Lucie lacht. Jo lacht. Jo steht auf, zieht sich die Hose über. Der elektrische Heizofen glüht. “Alter Witz“, sagt Lucie. „Kein Witz“, sagt Jo. „Wenn ich sage ich hab´s im Augenblick nicht, dann hab ich´s nicht. Nächstes Mal.“ „Du tickst wohl nicht richtig. Nächstes Mal wird´s nicht geben. Du zahlst jetzt, wie immer, oder...“ „Oder was?“ „Ich schrei die Nachbarschaft zusammen.“ „Die Baumaschinen werden sich freuen.“ “Arschloch! Du bist sooo ein Arschloch.“ „Ich weiß“, sagt Jo und meint es so. Er durchwühlt seine Taschen. Eine Zigarettenschachtel, Feuerzeug, Autoschlüssel, Geldbeutel mit Kleingeld, ein Lottoschein kommen zum Vorschein. „Sechs Richtige.“ „Arschloch mit Zusatzzahl. Das war´s dann.“ Sie nimmt ihm den Schein aus der Hand, knüllt ihn zusammen und wirft ihn weg. Er fällt auf den Heizofen, beginnt zu qualmen. “Das war´s dann.“ Jo hebt den Schein wieder auf, pustet, steckt ihn in ihre Handtasche, umarmt sie, hält sie einen Augenblick fest, sieht ihr in die Augen. “Arschloch“, sagt Lucie. “Man sieht sich“, sagt Jo. Lucie dreht sich abrupt um, verlässt die Pförtner Loge. Jo bleibt zurück. Er hat kein schlechtes Gewissen, wäscht sich dennoch wie Pilatus gründlich die Hände. Die Uhr zeigt 5 Uhr 30. Feierabend. In der Stadt schläfrige Stille. Trotz der frühen Stunde ist es erdrückend schwül. Geisterhaft lautlos regeln die Ampeln einen nicht vorhandenen Verkehr. Jo sammelt seine Klamotten ein. Schaltet den glühenden Heizofen aus. Draußen im Hof versammeln sich Arbeiter. Die schweren Baumaschinen werden angelassen. Ein heller Streifen am Horizont. Es wird Tag. Jo faltet seine Zeitung ordentlich und penibel zusammen, verstaut sie zusammen mit einer leeren Thermosflasche in einem abgewetzten Schulranzen für Kinder. Nach der Kraftanstrengung mit Lucie hat er Hunger, aber die Plastiktüte einer Fast-Food-Kette ist leer. Jo ärgert sich. Um den Magen zu betäuben, trinkt er lauwarmes Wasser aus der Leitung, steckt den Kopf drunter. Es bringt keine Erleichterung. Am Stadtrand entladen Arbeiter Baufahrzeuge und errichten eine Absperrung. Gitter und Warnblinkleuchten werden aufgestellt. Jo klettert in seinen Uralt-Opel mit jugendlichem Tuning. Die Karre will nicht anspringen. Die morgendliche Schwüle nervt. Jo ist gereizt, müde, hungrig. Er flucht leise vor sich hin. Er massiert sich den Nacken. Mit schweren Presslufthämmern stemmen Arbeiter der Baukolonne an der Kreuzung den Asphalt auf. Die Verkehrsampel ist abgeschaltet. Jo Walder lenkt sein Auto auf die Hauptstraße und fährt stadtauswärts. Kein anderes Fahrzeug ist zu sehen. Noch liegt die Stadt in bleiernem Schlaf. Walders Opel nähert sich der Kreuzung. Ein Schaufelbagger lädt den aufgebrochenen Straßenbelag auf den Lkw. Presslufthämmer dröhnen. Einer der Bauarbeiter verweigert Jo die Durchfahrt. Er brüllt ihn an wegen des Baulärms. „ Links ab und gleich wieder rechts...!“ Jo brüllt zurück, regt sich auf, schließlich wohnt er nur ein paar hundert Meter weiter, in Tiergarten-Mitte, in der Körnerstraße – und jetzt so ein Umweg! Bedrohlich fährt der Schaufelbagger auf den Opel zu. Die Arbeiter lachen. Jo gibt nach, reißt wütend das Steuer herum und biegt mit quietschenden Reifen links ab in die Querstraße. Sein Auto streift einen dort haltenden Sprinter, dessen Fahrer vor Schreck ein paar Kisten fallen lässt – wie Jo im Rückspiegel beobachtet. „Links ab und gleich wieder rechts“, äfft Jo den Bauarbeiter nach und fährt im gleichen Augenblick falsch in eine Einbahnstraße. Der Fahrer des Sprinters notiert sich fluchend die Nummer vom Opel. Jo fährt die Einbahnstraße in verkehrter Richtung. Eine Veränderung geht in ihm vor. Seine Nervosität ist verschwunden, er wirkt ruhig und gelassen. Fast heiter schaltet er das Radio ein – Helene Fischer singt ´Atemlos`, das freut ihn, gleich wird er zu Hause sein. Seine Kopfschmerzen sind weg. Leise pfeift er die bekannte Melodie mit. Ein Verkehrsschild weist den Weg nach Potsdam.
Immer die gleichen Bilder sind auf den Monitoren im Schneideraum des Fernsehstudios zu sehen: Vor einem alten Bauernhof mit üppiger Geranienbestückung auf drei Holzbalkonen steht ein kleines, überaus schmächtiges Mädchen mit dem Rücken zur Filmkamera. Der Wind spielt mit ihren langen glatten Haarsträhnen. Das Kind blickt einem davonfahrenden Pferdefuhrwerk nach. Langsam, sehnsüchtig, hebt die Kleine die mageren Arme. Ein tränenloser, rührender Abschied. Echt zum Heulen.
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