Leider ist zu den Bildern kein Ton zu hören, was die Betrachter der Szene am elektronischen Schneidetisch auch gleich monieren. Wichtige Leute sind es, die hier zu den sogenannten ´Mustern` zusammen gekommen sind. Als erstes wäre der Produzent der Schmonzette, Wolf-Günther Gerok zu nennen, er ist für das Geld zuständig und dass die Mitarbeiter sich wohlfühlen bei den Dreharbeiten und deshalb bereitwillig so viel wie möglich und so lange wie möglich Tag und Nacht für das Projekt arbeiten, ohne allerdings mehr Gage zu bekommen als im Vertrag zugesichert.
Eine weitere wichtige Person vor dem Monitor ist der Drehbuchautor. Hilmar Neumacher achtet penibel darauf, dass jedes von ihm geschriebene Wort im Film auch gesprochen wird. Egal ob es sinnvoll, gut oder schlecht ist und im schlimmsten Fall gar nicht das ausdrückt was gesagt werden soll. Rausschneiden kann man am Ende immer, Hauptsache die Sache ist erst mal gedreht, oder wie der Fachmann sagt: im Kasten.
Die dritte in der Runde heißt Susanne Hofmann, ist von Beruf Cutterin. In dieser Phase der trockenen Musterschau hält sie sich noch zurück, nach ihrer unausgesprochenen Meinung ist der Film aber auch im Schnitt nicht zu retten. Das darf sie natürlich nicht laut sagen, denn eine Cutterin die sich wichtigmacht und deshalb anschließend nicht weiterbeschäftigt wird hat in diesem Beruf nichts zu suchen.
Aber ganz offensichtlich ist sie kein Fan von diesem Format, das die meisten Fernsehzuschauer als ´Scripted Reality` kennen, teilweise lieben und auf jeden Fall in Masse konsumieren.
Der Produzent, an eventuell neu anfallende Kosten denkend, meldet sich als erster zu Wort.
„Kein Ton? Wieso?“
„Wegen der Autobahn hinter dem Haus“, flüstert der Drehbuchautor.
Er flüstert um damit deutlich zu machen, wie sehr ihm die gezeigte Szene unter die Haut geht. Verständlich, er hat schließlich das Drehbuch geschrieben.
Auf dem Monitor ist jetzt zu sehen, dass sich die Kamera im davonfahrenden Fuhrwerk befindet. Weit hinten das Kind mit ausgestreckten Ärmchen. Trotzdem ist deutlich zu erkennen, dass es sich um eine längst dem Kindesalter entwachsene Schauspielerin handelt. Wolf-Günther Gerok ist stinksauer.
„Die soll zwölf sein?“ herrscht er den Buchautor an.
„Von hinten schon“, gibt der Achsel zuckend zur Antwort.
„Seid ihr bekloppt? Wer hat die engagiert?“ regt sich Gerok weiter auf, während Hilmar Neumacher nach einer Entschuldigung sucht, die beim Produzenten allerdings keine Gnade findet.
„Ich hab dem Melzer gleich gesagt, Wolf-Günther …“
„Der Melzer w a r mal der Regisseur, ist abgelöst, kannst du vergessen. Und die Szene wird nochmal gedreht, verdammt. Das muss doch ein richtiges Kind sein. Keine Schauspielerin!“
„Mittwoch sind wir noch mal am Motiv. Bis dahin ein echt begabtes Kind kriegen? Schwierig. Die Rolle ist ´ne Schlüsselfigur!“
„Weiß ich, hab zufällig dein Script gelesen: ein Mädchen, rührend, armselig, unschuldig!“ Er wendet sich an die Cutterin.
„Haben Sie nicht so was kleines langhaariges, Frau Mahnke?“
„Ja, heißt allerdings Manfred!“
Gerok ist genervt. Von seinen Mitarbeitern und wegen der Aussicht auf eventuelle Mehrkosten. Sowas geht auf die eigene Tasche. Nachschlag vom Sender gibt´s nicht. Im eigenen Interesse muss ein Produzent sowas in den Griff kriegen, will er die Hoffnung auf spätere, größere Aufträge nicht begraben. Das muss detailliert besprochen werden. Am besten gleich und am allerbesten in der Kantine.
„Abmarsch ins Casino!“ pfeift Gerok seinem Autor ins Ohr und schon ist er draußen. Neumacher folgt ihm achselzuckend und holt den dicklichen und daher etwas unbeweglichen Produktionschef nach wenigen Schritten ein.
„Ich hab´ mir nämlich was beim Schreiben gedacht, Wolf-Günther.“ Neumacher passt sich dem Gewatschl Geroks an.
„Für so ein Script brauchst du ja nicht gerade außerirdische Qualitäten, mein Allesdichter!“ Gerok hat Hunger und legt an Tempo zu.
„Formate wie ´Bauer, Liebe und das Vieh` sind ja auch irgendwie außerirdisch, oder?“
„Verehrter, wir sind absolut zeitgemäß, das beweist allein schon die Quote“.
„Die Quote beweist alles, echt wahr.“ Neumacher stimmt dem Boss zu. So richtig überzeugt klingt es allerdings nicht.
Die Kantine ist deshalb wichtig für Film- und Fernsehmacher, weil man nirgendwo besser sieht oder gesehen wird, nirgendwo besser neue Kontakte knüpfen kann, nirgendwo besser intrigieren, charmieren, lästern oder lügen kann als an diesem für jedermann und jede Frau zugänglichen Ort.
Gelegentlich gibt es auch was zu essen, in jedem Fall aber reichlich zu trinken, wovon viele der Medienschaffenden oft und reichlich Gebrauch machen. Manche bis zum Abwinken. Vereinzelt sickert dann schon mal durch, dass in der Kantine künftig tagsüber kein Alkohol ausgeschenkt werden darf und die Besucher sich nach spätesten zwei Stunden Mittagspause wieder an ihrem Arbeitsplatz zurückmelden müssen damit freie Mitarbeiter, die dringend einen Gesprächspartner suchen, nicht stundenlang am Telefon sitzen ohne dass eine Verbindung zustande kommt.
Die Gespräche um die es geht sind inhaltlich meist belanglos, drehen sich aber immer um den Nabel der Welt: das Programm, das Format, das Fernsehen und die Medien insgesamt und überhaupt.
Die Diskussion verläuft fast immer in großer intellektueller Anspannung, selten konfrontativ, dafür aber lautstark, so auch dieses Mal, wo Autor Neumacher dem Produzenten ein für alle Mal klarmachen will, an was für einem qualitativ hochwertigen Format hier derzeit gearbeitet wird.
„Ich hab mir nämlich beim Schreiben was gedacht, Chef!“
„Davon geh ich aus!“
Gerok bleibt cool, alles andere könnte vielleicht Geld kosten.
„Dieses Kind hat doch keine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen“,
setzt Neumacher neu an und genau so was muss das Mädchen ausstrahlen. Eine echte Profischauspielerin bringt das nicht, das kann man nicht erspielen. Nur der Melzer glaubt an diese Märchen. Der hat aber keine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen …“
„Sollte er aber, als Regisseur, weshalb glaubst du, ist er gefeuert!“, wirft der Produzent ein; aber der von sich äußerst überzeugte und daher verzweifelt um Qualität kämpfende Autor ist nicht zu bremsen.
„Hier geht’s um die Reinheit. Die klare saubere Reinheit eines relativ jungen unverdorbenen Kindes. Reinheit gibt’s nämlich auch noch in diesem unserem Lande. Nicht überall, stimmt, aber es gibt noch schöne saubere nicht versaute Ecken und Enden. Natürlich weiß ich, dass bei Scripted erst mal der Müll, also vor allem der seelische, erst mal gezeigt werden muss, bevor er anschließend entsorgt wird. Aber genau das ist das Besondere an dieser Folge: Der ständige, unausgesprochene Vorwurf an das Gewissen der Mutter, die ja die wirklichen Zusammenhänge nicht kennt …“
„Genau wie der Melzer“, schiebt der Produzent seufzend dazwischen und Neumacher fährt ohne Luft zu holen fort,
„Weshalb gerade in der Szene mit dem Fuhrwerk, in der die Frau Kind, Mann und Hof verlässt, die wirklichen Zusammenhänge zum ersten Mal deutlich werden …“
„So ist es!“
„ …weil dieses kleine reine Wesen der entschwindenden, also der davon fahrenden Mutter tränenlos nach sieht, die mageren Ärmchen sehnsüchtig ausgestreckt …“
Neumacher ist jetzt stehen geblieben und greift zum letzten Mittel, um den auf seinem Geldsack sitzende Produzenten von der Dringlichkeit des aufwändigen Nachdrehens, koste es was es wolle, zu überzeugen. Unsäglich leidend streckt er seine dicken Arme nach dem weitergehenden Gerok aus.
„Die schmächtige Gestalt wie von Licht umflossen muss absolut echt sein, dieses Rührende, Armselige, Unschuldige.“
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