Amelie ist kaum wiederzuerkennen.
Auf den platinblonden steifen Dauerwellen wippt ein kokett modisches In-Schleierhütchen, galaktisch, der letzte Schrei heute; Rüschen und Spitzen umfließen den mageren Kinderkörper, die Füße stecken in hochhackigen Lackstiefelchen, ebenfalls ausgesprochen funky! Den künstlichen ´Fuchs` muss Amelie alle paar Sekunden zurechtrücken, weil er auf den schmalen Schultern keinen Halt findet. Wow, echt schrill, genau wie die dürren Modelmädchen im Privat Fernsehen.
Vor Gerok und Neumacher bleibt die Kleine stehen und wirft einen langen Blick durch maximal getuschte Wimpern auf die beiden Herren, die hier das Sagen haben.
Produzent und Regisseur sind völlig überwältigt von Amelies Metamorphose. Gerok findet als erster die Sprache wieder. Er klatscht sich, beinahe grunzend vor Vergnügen, auf die Schenkel. Auch im Team erholen sie sich, der Bann ist gebrochen, sie kichern, pfeifen, applaudieren kräftig.
„Rührend, unschuldig, armselig!“ Der Produzent kann sich kaum halten vor Lachen. „Genau wie die Stories von unserem Neumacher!“
Amelie versteht gar nichts. Nur, dass etwas Furchtbares passiert sein muss fühlt sie unklar. Tonlos bewegt sie die knallrot lackierten Lippen. Neumacher ist zutiefst berührt, beschämt. Unendlich behutsam streicht er der Kleinen über die Wange.
Das Schleierhütchen auf Amelies blonden Dauerlocken beginnt leicht zu zittern.
Irgendwo kräht ein Hahn.
*
Jo tuckert mit seinem Uralt-Opel in eine Tankstelle, der Motor stirbt ab. Die letzten Meter zur Zapfsäule muss er das kleine Auto schieben. Der Tankwart denkt nicht daran ihm zu helfen, er fummelt an einem Motorrad herum, das leider nicht anspringen will. Jo sieht ihm zu, scheint darüber nachzudenken weshalb er hier eigentlich rumsteht. Im Radio in der Tankstelle singt Helene Fischer „Atemlos“. Das neue Motorrad des Tankwarts ist ähnlich wie seines war, brabbelt Jo plötzlich. Deshalb kann er dem Mann auch zeigen, warum es nicht anspringt. Die Diebstahlsicherung! Und tatsächlich, nach kurzer Zeit läuft die Maschine wieder. Trotz dieser Hilfe ist der Tankwart zunehmend genervt über Jos wirre Sprüche. Um ihn loszuwerden, fängt er an den Opel zu betanken. Jo rastet aus, so viel Sprit braucht er nicht, er wohnt ja gleich um die Ecke in der Körnerstraße. Wenn nur die Scheiß Kopfschmerzen nicht wären. Er fummelt in seinen Hosentaschen herum. Schlüssel, Feuerzeug und Zigaretten fallen auf den Boden. Ein paar Münzen. „Bin gleich zu Hause.“ „In der Körnerstraße“, sagt der Tankwart und verdreht seine Augen. Jo nickt, sieht sich um, in seinem Kopf hämmert es. „Hier is´ Potsdam, Meister, kannste mir ruhig glauben, Mann!“ „Verarschen kann ich mich selber“, knurrt Jo, steigt in den Opel und fährt ab ohne zu bezahlen. Der Tankwart sieht ihm fassungslos nach. Er betrachtet das von Jo reparierte Motorrad, zieht dann aber sein Handy heraus und tippt den Notruf, die 110 ein. Jo brettert über die Landstraße. Die Bäume rechts und links stehen wie eine Mauer. Aber dann bewegen sie sich plötzlich, wollen nach ihm greifen. Jo zwingt sich sehr viel genauer hinsehen. Das sind keine sich bewegenden Bäume. Es sind Bulldozer, Schaufelbagger mit grellgelb blinkenden Warnleuchten die ihn fassen wollen, riesige Ungeheuer mit monströsen Armen sind hinter ihm her mit schrill klingelnden Tönen.
*
In der Wohnung Körnerstraße, im Radio, singt Helene Fischer immer noch ´Atemlos`. Das Lied hat anscheinend kein Ende, weshalb von der Familie Walder auch keiner zuhört. Frühstück. Jens (6) und Alicia (10) unzufrieden, meckern geräuschvoll, sind lebhaft, nerven ihre Mutter. „Das schmeckt Scheiße!“ Jens spricht trotz seiner Jugend aus was er denkt. „Wegen der Rosinen“, ergänzt Alicia. „Ihr mögt doch sonst immer Rosinen.“ Mutter Angela will jeden Streit vermeiden. Sohn Jens, rücksichtlos, man könnte aber auch sagen ´Kindermund`, belehrt sie. „Mama, Rosinen sind nur gut im Kuchen.“ „Kuchen gibt´s nicht zum Frühstück.“ Die vernünftige Mutter wieder. „Doch“. Der unvernünftige Sohn. “Der Opa macht Rosinen in den Kuchen“, weiß Alicia. “Der Opa schläft noch. Und ihr seid jetzt leise.“ „Der Opa schläft nicht“. Jens nun wieder. “Der Opa arbeitet nachts, deshalb muss er am Tag schlafen.“ „Der Opa schläft nicht.“ „Der Opa ist gar nicht da! Also schläft er auch nicht, Mama.“ „Woher wollt ihr das wissen?“ „Weil das Bett leer ist!“ Die Kinder im Gleichklang. Beide springen wie von der Tarantel gestochen auf und rennen hinüber in Jos Zimmer. Angela hinterher. Das Zimmer ist leer, das Bett unbenutzt. „Und seine Tabletten hat er auch nicht genommen. Der Dummkopf wird nie erwachsen!“ Das Telefon klingelt schrill. Angela in der Wohnung nimmt ab und erstarrt förmlich. Die Polizei fragt nach einem Jonathan Walder. Mein Schwiegervater ist nicht von der Arbeit nach Hause gekommen, sagt sie, sehr ungewöhnlich. Was?! Das würde er niemals tun, tanken und nicht bezahlen. Wir sind anständige Leute, schreit Angela. Ja, okay, sie wird sich bei der Polizei melden, wenn er hier auftaucht. Keine Ahnung, wo er sich wieder mal rumtreibt!
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