Er weiß es tatsächlich. Es ist keine Kunst zu wissen, er tat es alles selbst[169]. Wobei er natürlich nicht tatsächlich „alles selbst“ tat – er ist älter und reicher als die meisten pubertierenden Gören und konnte sich Prostituierte leisten. Im Gegensatz vielleicht zu Tante Greta.
Die Heimlichkeiten sind nicht nur schwer zu ertragen, sondern auch Teil des Designs. Sie betreffen nicht nur junge Menschen, sondern auch alle, die nach außen hin ein gesittetes und züchtiges Leben leben wollen – oder müssen, weil die Gemeinde es so verlangt oder die Familie es so erwartet. Das schlechte Gewissen[170] ist systemimmanent. Diese Sonderausstattung haben wir gratis. Ab Werk. Danke, Arschloch.
Generationen von Moralisten waren und sind gezwungen, ihre heimlichen Bedürfnisse zu verabscheuen, die ihnen vom Herrn gleichsam in den Kopf designt und verboten wurden – und natürlich nicht nur Pastoren, Prediger oder andere heilige Leute, sondern viele ganz normale Gemeindemitglieder, sittsame Familienoberhäupter oder Teilnehmer an religiösen Jugendveranstaltungen. Viele von ihnen halten die eigene Zerrissenheit nicht aus und kümmern sich daher mit Inbrunst um die Moral anderer Leute - lieber als um die eigene. Oder sie lassen es gleich selbst richtig krachen:
Das ständige schlechte Gewissen und die Zerrissenheit zwischen Erwartung und Bedürfnis war stets nur eine Ausprägung des Umgangs mit dem sadistischen Design der Lust. In anderen Fällen, bei anderen Leuten, stand das rücksichtslose Frönen dieser Lust im Vordergrund, ganz ohne schlechtes Gewissen.
Die niederen Triebe der höheren Töchter wurden nicht nur ausgelebt, sondern gefeiert. Wohl gemerkt – nur jene der höheren. Ganze Zeitepochen hindurch wurde dem Volk Verzicht und Sitte gepredigt, die Scheidung verboten, der Ehebruch mit dem Tode bestraft und Liebe verpönt, während sich gleichzeitig Hofstaaten Orgien hingaben und ganze Klöster zu Lustschlössern wurden. Nicht nur zur Befriedigung wurde hier Sex benutzt und eingesetzt, wie man in dem hervorragend recherchierten und grandios geschriebenen Werk [171] des Kirchenhistorikers Hubert Wolf nachlesen kann. Wenn hier die Novizin Maria Luisa der nackt auf einem Bett liegenden Äbtissin vorgeführt und zum Cunnilingus gezwungen wird – nicht ohne sich hinterher mit den feuchten Fingern bekreuzigen zu müssen – wähnt man sich zwischenzeitlich in einem schlechten Pornofilm, bis man realisiert, dass die Darstellungen aus historischen Prozessakten stammen. Einem Prozess indes, der nicht den Missbrauch der damals 13jährigen Novizin untersuchte, sondern bei dem Maria Luisa selbst auf der Anklagebank saß, weil sie später, inzwischen ihrerseits Äbtissin, gemeinsam mit dem Seelsorger und Papstvertrauten Joseph Kleutgen ein derart ausschweifendes System aus Sex, Gewalt, Verführung, Abhängigkeit, Gehorsam, Tyrannei und Giftmorden etabliert hatte, dass es auffallen musste. Aufgefallen sind zwar auch andere Ausschweifungen in anderen Klöstern – aber der Grund für die Anklage gegen Maria Luisa lag in einer gewissen politischen Motivation. Kleutgen war nicht nur Marie Luisas Liebhaber und frönte einem Leben als Lustmörder und Sadist, sondern eben auch namhafter Theologe, Vater der Neuscholastik und Papstberater, aus dessen Feder hauptverantwortlich das Unfehlbarkeitsdogma stammte[172]. Wenn heutzutage Kirchenvertreter den Grund für das Unheil der Welt in dem Verfall von Sitte und Moral („seit den Zeiten der 68er-Bewegung“) erkannt haben wollen, nur weil heutzutage auch Teile des gemeinen Volkes auf Festivals, bei Partys, in Swingerklubs und Diskotheken ihre Sexualität nicht mehr als Sünde betrachten, sondern sie ausleben – und zwar ohne Missbrauch, Giftmord und Kerkerverließ, dafür aber safe, sane, consensual: sicherheitsbewusst, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich – dann möge man diese Kirchenvertreter mit Nachdruck auf diejenigen historischen Kirchenakten hinweisen, die man heute einsehen kann und die, im Gegensatz zu den meisten, nicht mehr verschlossen und versteckt sind.
Das alles wäre, wie gesagt, bei einer vernünftig organisierten Schöpfung zu verhindern gewesen und niemand würde sich heute über Sex unterhalten, wenn die Fortpflanzung selbst über einen unspektakulären Mechanismus gesichert wäre, der nicht gleichsam einen so verdammten Spaß machen oder Machtbestrebungen, Abhängigkeiten und Unterdrückung Tür und Tor öffnen würde.
Ja, mit Sex hat uns der Herr ein ganz schönes Ei[173] ins Nest gelegt. Womit wir endlich bei der Anatomie im Design der Sexualität angelangt sind. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf.
Ich meine –
Intelligent Design?
Echt jetzt?
Ich meine -
Ich meine - haben Sie einmal Ihrer Freundin, Ihrem Freund beim Orgasmus ins Gesicht geguckt? Oder auch nur ihren Nachbarn zugehört? Und Sie halten unsere Fortpflanzungstechnik wirklich für das Ergebnis eines Designs? Eines – äh – intelligenten Designs?
Auch, wenn viele Männer auf ihren Penis stolz sind, ihn sogar als Gemächt[174] bezeichnen, ihn Johannis[175], Hammer[176] oder Gurke[177] nennen, im Grunde bleibt er doch ein Dödel[178]. Selbst der schönste und mächtigste Schwanz ist am Ende des Tages, wenn man es objektiv betrachtet, doch eher eine alberne Angelegenheit. Bei allem nötigen Respekt vor der Männlichkeit, aber hält man diese Wurst[179] wirklich für intelligentes Design? Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit versteift sich der Penis unangenehm, ohne, dass man etwas dagegen machen könnte, und selbst wenn er schlapp ist, macht er Probleme. Wenn man mal nackt durch die Wohnung läuft, schlackert er unangenehm an die Knie. Der gemeine Penis kommt auch nicht beschnitten auf die Welt, obgleich es in zwei der drei monotheistischen Religionen sowie in der dritten, dem Christentum, noch in einigen Kirchen wie der die Koptisch-Orthodoxen Kirche gefordert wird. Aber der Designer zog es vor, den Penis unbeschnitten zu designen und es den Menschen zu überlassen, so gefährlich[180] und unhygienisch[181] es oftmals auch sein mag und im Laufe der Menschheitsgeschichte immer war[182]. Doch unbeschnitten zu sein ist nicht das einzige Merkmal des Designs.
Zu kurz ausgefallene Exemplare führen bei dem einen oder anderen Herren zu Komplexen und Befangenheiten, die dann mühselig durch Porschefahren, Ehefrauschlagen oder Waffenkaufen[183] ausgeglichen werden müssen. Und auch das Design der Hoden möchte man nicht zu ausgiebig breittreten.
Der Schmerz, der entsteht, wenn diese zwei empfindlichen Kügelchen einen Schlag abbekommen, weil man über einen Zaun geklettert ist, einen Fußball nicht mehr abwehren konnte oder im heroischen Kampf um die holde Maid getreten worden ist, ist kaum zu beschreiben. Warum zum Henker designt der Designer die empfindlichste Stelle der Welt einfach so frei baumelnd zwischen den Beinen?
Auch das Geschlechtsorgan der Frauen macht bei näherer Betrachtung[184] keinen besonders gut organisierten Eindruck. Wobei es bei diesem „Eindruck“ bereits anfängt. Was, genau, soll man denn da am besten eindrücken, wenn man mit einer Frau Sex haben will? Die sind da alle anders, das ist sehr verwirrend.
Was eingedrückt werden muss bei einer frischen und ungeöffneten Frau, ist das Jungfernhäutchen. Ähnlich wie bei Deckeln von Colaflaschen, die beim ersten Aufdrehen einreißen, kann hier bei jeder Frau nachgeprüft werden, ob sie bereits einmal Sex hatte oder nicht[185]. Und dieser Frischesiegel nun ist alles andere als eine fesche Designidee. Nicht nur, dass es dem einen oder anderen Mädchen durchaus Schmerzen bereitet, zum ersten Mal Sex zu haben. Vielen Mädchen in jungen Jahren ist es eine gerade furchterregende Horrorvorstellung, wenn sie hören, dass dieses Häutchen, wenn sie irgendwann eine Frau sind, durchstoßen werden muss. Und nicht nur, dass es blutet und schmerzt – auch gesellschaftlich hat dieses Häutchen in der Menschheitsgeschichte zu einigen Traditionen geführt, die mit bestialisch sehr wohlwollend umschrieben wären. In manchen Gegenden der Welt ist es üblich, das Bettlaken mit deutlich sichtbaren Blutflecken[186] nach der Hochzeitsnacht öffentlich aufzuhängen – und die älteren Frauen im Dorf achten genau darauf, dass das junge Paar nicht geschummelt hat und etwa mit einem kleinen Schnitt in den Finger die Jungfräulichkeit nur vortäuschte. Bei Männern gibt es einen solchen Beweis für die Jungfräulichkeit nicht, und es wird auch nicht erwartet, dass ein Mann noch niemals Sex hatte – bei Frauen hingegen ist der Sicherheitsverschluss systemimmanent gleich mit eingebaut. Dies Häutchen ist im Laufe der Geschichte nicht zu selten als Druckmittel und zur Unterdrückung der Frau benutzt worden – und wird es zum Teil noch heute. Tatsächlich führt es sogar dazu, dass hier und da aus verschiedenen Gründen der Versuch unternommen wird, das Hymen wieder zusammenzunähen . Ein Googeln[187] nach „Jungfernhäutchen zusammennähen“ erbrachte über 1000 Treffer[188]. Frauen, so scheint es, lassen vieles mit sich machen, wenn der Designer es vorschreibt.
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