Kapitel 5: Von der Lust, Aphrodite zu töten
„Kannst Du Dich eigentlich noch an Dein erstes Mal erinnern?“
„Ja, aber die Kirche hat mir Geld gezahlt, damit ich nicht mehr darüber rede.“
(Jackys Stations)
„Wir kommen von den Zeugen Jehovas.“
„Ach nee, zum Zeugen bin ich zu alt.“
(Mein Opa)
Was macht man, wenn man ein hassender, ein bösartiger Gott ist, wenn man in seiner Schöpfung Wesen haben will, die man so richtig foltern möchte, die so richtig chancenlos sind, wenn man die Hölle schon vorgeheizt hat und Gesetzgeber, Ankläger, Richter und Henker in einem sein möchte?
Man stattet seine Schöpfung mit einem Sexualtrieb[141] aus.
Und dann verbietet man alles, was daran Spaß macht.
Ausgerechnet die Leute, die sich selbst als streng gläubige Christen oder Muslime bezeichnen, die die Evolution ablehnen und alles für eine Schöpfung halten, von der Darmzotte bis zur Gehirnzelle, ausgerechnet diese Leute sind es, die am entschiedensten gegen alles vorgehen, was mit Sexualität zu tun hat. Sei es der Aufklärungsunterricht an Schulen, die Gleichberechtigung von Homosexuellen oder die Gesetzeslage zur Abtreibung (schließlich sollen vor allem Frauen nur Sex haben, wenn es zu Nachwuchs führt[142]) – alles, was irgendwie klingt, als sei es etwas Anderes als Sex im Dunkeln unter der Bettdecke mit dem Ehepartner zum Zwecke der Fortpflanzung, alles, was darüber hinausgeht, wird abgelehnt. Begründbar mit Bibel, Koran und Tanach ist dies schnell, die Verse und Suren sind stets zur Hand – also wenn die Hand frei ist. Aber dass ausgerechnet jene Leute, die alles für eine intelligente Schöpfung halten an dieser Stelle nicht stutzen, wundert dann doch:
Hätte man das als intelligenter Designer nicht anders regeln können?
Man ist allmächtig. Man ist allwissend. Muss man seine Schöpfung so eindeutig chancenlos in eine Falle schicken – und dann mit ewiger Qual in der Hölle drohen, wenn jemand schwach wird? Wenn die Welt, wenn der Planet, wenn wir, die Menschen, wirklich bis ins Deteil[143] Geschaffene sind, dann ist unser Hormonhaushalt und das Lustzentrum im Hirn eine außergewöhnlich bösartige Angelegenheit.
Oder andersherum – wenn der Sexualtrieb, wenn die Hormone[144] gewollte und gute Aspekte der Schöpfung sind, dann sind die Texte in den Heiligen Büchern eine bodenlose Unverschämtheit. Ich werde hier nicht die vielen Textstellen heraussuchen, auf die sich die Religiösen mit Nachdruck beziehen – und das Wort „Nachdruck“ mag hier jeder lesen, wie er will – das kann der geneigte Gottesflüsterer selbst tun. Meiner Erfahrung nach ist das Lesen der Bibel und auch des Korans sowieso sehr empfehlenswert, nicht wenige Menschen fallen direkt vom Glauben ab, wenn sie zum ersten Mal sich wirklich mit ihrer Religion beschäftigen; und zwar selbst, nicht vorgekaut von den Leuten auf den Kanzeln. Die heiligen Bücher sind mit frauenverachtenden, lustverachtenden, unmenschlichen, barbarischen und rigorosen Vorstellungen ihrer Sexualmoral derart vollgestopft, und diese sind so eindeutig, dass hier die Interpretation , Gott habe das so nicht gemeint , wirklich schwerfällt. Die biblischen Auffassungen davon, was Sexualität ist und sein soll, sind ihrer Entstehungsgeschichte, der Steinzeit, vollkommen angemessen. Was erwartet man auch von einer Religion, deren Erfinder unaufgeklärte, verklemmte, alte Herren waren. Während Zeus noch der Lust frönte und sein göttliches Ding überall hineinsteckte, wo er konnte, während Aphrodite noch eine Göttin war, und als Venus erst, der römischen Ausgestaltung dieser Gottheit, die das Verlangen ihrer Gläubigen nicht nur akzeptierten, sondern die Lust an der Lust feierten[145], müssen die Texte, die durch Menschenhand geschrieben und inspiriert durch Jahwes Wort, als geradezu impotent gelten. Solche verklemmten Vorstellungen findet man sonst nur noch bei dem verbitterten alten Hausmeister, der heimlich lüstern aus dem Fenster schaut und wortreich über die Unmoral und den viel zu tiefen Ausschnitt der jungen Frau schimpft – verbittert vor allem deswegen, weil er weiß, dass er in seinem Leben einen solchen Ausschnitt nie wieder berühren wird. Viele Leute wären viel entspannter, wenn sie mehr Sex hätten. Vor allem Hausmeister.
Die Frage aber bleibt: Warum, wenn Gott seine Texte so meint, wie er sie schreiben ließ, hat er diesen Trieb zuvor erst in dieser Form geschaffen?
Gott hat ja nicht grundsätzlich etwas gegen Sex. Daheim, verheiratet und mit dem Ziel, dass dabei etwas rauskommen soll – ganz wörtlich – ist Sex ja erlaubt. Und wie mir einige Katholiken versicherten, muss er dann auch nicht jedes Mal der Fortpflanzung dienen. Geachtet werden müsse nur darauf, dass es sich um etwas Heiliges handele, etwas Besonderes, das geehrt werden muss und – wohl nicht nur bei Katholiken – man möchte sagen: hochgehalten.
Andere Formen der Lust, besonders solche, die Spaß machen, sind hingegen tabu. Auch wenn ich den rheinischen Katholiken im Karneval nicht immer abnehme, dass sie sich stets strikt nach den Vorschriften des Papstes richten, und auch den vielen tausend Jugendlichen beim Kirchentag nicht unbedingt glaube, dass dort an den Abenden alle Hände stets über der Bettdecke geblieben sind – die Zahl derer, die jegliche Form der außerehelichen Lust strikt ablehnen, steigt[146]. Sex wird zu etwas Unnahbarem, etwas Göttlichem verklärt, und während in Berlin, Hamburg, München, Köln und – nicht zuletzt, wie ich versichern kann - auch in Hannover junge Menschen ein entspanntes, lüsternes und vor allem dabei glückliches Leben leben, Fetische und Spielzeuge testen und einfach gerne Menschen berühren – berühren! und zwar auch seelisch, denn voreheliche Erotik ist nicht gleichzusetzen mit liebloser Massenabfertigung – während all dies passiert und niemandem schadet, wächst die Zahl derer, die dies für Sodom und Gomorra halten. Die alten Texte aus der Steinzeit brauchen Sadomasochismus, Analsex, Oralsex, Dirty Talk, Swingerklubs und Fußleckereien nicht namentlich zu nennen; die Schriften sind in anderer Form deutlich genug, als dass die Gläubigen genau genug wissen, dass solche Praktiken auf jeden Fall igittigitt sind. Die eigene Prüderie und Minderwertigkeitskomplexe können leicht als eine moralische Stärke dargestellt werden, wenn man sie als gottbefohlen beschreibt, und „gottbefohlen“ ist stets, wie in allen Bereichen, nicht sehr leicht zu begründen, wie man an den öffentlichen Interviews führender VertreterInnen, etwa der Initiative Pontifex[147] bewundern kann. Selbst das Onanieren gilt als verwerflich, obgleich kein Mensch auf der Welt dies verhindern kann. Ähnlich wie bei Electroswing-Musik. Niemand mag es öffentlich so richtig zugeben, aber keiner kann sich davor schützen und irgendwann schnippst die Hand halt doch ganz von selbst im Takt.
Nun ist Abstinenz und ein Sich-Vorhalten bis zur Ehe zum einen etwas sehr Privates und zum anderen nichts Schlimmes; es schadet keinem Dritten, jeder hat das Recht und sollte das Recht haben, dies für sich zu entscheiden. Wer gerne Sex hat, sollte daher auch niemanden, der abstinent leben möchte, verurteilen oder gar zum Sex zu überreden suchen. Dies geschieht aber auch sehr selten. Andersherum allerdings gehört das Missionieren durchaus zu den Kernelementen der Wahre Liebe wartet- Bewegung, wie Katharina Liebsch[148] sehr richtig aufzeigt. Die Überhöhung und Glorifizierung des einzig echten, des innerehelichen Aktes mit der einen wahren Liebe , hat enorme Folgen für das Seelenheil bei den Betroffenen[149]. Liebe wird zum Besitztum erklärt, Loyalität mit körperlicher Treue verwechselt. Sex wird nicht mehr als Normalität erlebt und schlimmer noch: auch niemandem anderen gegönnt.
Während andere natürliche Bedürfnisse wie Hunger und Durst problemlos auch mit Genuss befriedigt werden können und niemand auf dem Standpunkt steht, Hunger sei etwas Heiliges und dürfe ausschließlich durch feierliche 5-Sterne-Menüs gestillt werden oder gar, dass der gelegentliche Verzehr von Fast Food oder eine gelegentliche Diät die Heiligkeit und wahre Erfüllung von 5-Sterne-Menüs kaputtmache – niemand kann noch das Festmahl eines Sternekochs genießen, wenn er in seinem Leben vorher bereits einmal einen Hot Dog aß! – so ist eine solche Argumentation im religiösen Fundamentalismus bezüglich der Sexualität weit verbreitet. Sex kann nur mit der einzig wahren Liebe gut und sinnvoll sein, Sex mit jemandem, den man nicht liebt, sondern nur mag, sei verwerflich. Und dies – so kann man in den heiligen Schriften lesen – sei Gottes Wille. Das Arschloch mag keinen Sex.
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