Die Soldaten, die in der Nähe des Mannes saßen, erhoben sich und zogen sich unauffällig zurück.
„In der Schlacht am weißen Fluss. Die Blutschwertmänner haben auf der Gegenseite gekämpft und viele von uns getötet. Meine Narbe habe ich bekommen, als ich den Mann, der in meinem Dorf neben mir wohnt, aus dem Getümmel gezogen habe und mit ihm weggelaufen bin.”
Iri betrachtete den Mann aufmerksam. Er war massig und untersetzt, ein kräftiger Bauer, der in einer Schlacht furchteinflößend wirken mochte. „Eine Narbe aus einem Kampf ist mehr als die meisten hier haben. Wie heißt du?”
„Farli Frekissohn.”
„Wir kämpfen nicht in Schlachten, Farli Frekissohn.”
„Damals schon. Ihr habt auch Eure eigenen Leute getötet.”
Iri lachte. „Das hätten die Fürsten wissen müssen.”
Farli zuckte mit den Achseln. „Sie haben es gewusst. Es war ihnen egal.”
„Wer hat gewonnen?”
„Unsere Seite. Die Blutschwertmänner haben mehr von den eigenen getötet als von uns.”
Iri lachte lauthals. „Du gefällst mir, Farli Frekissohn. Es stimmt, manchmal befehlen die Fürsten uns, in ihren Schlachten zu kämpfen. Es ist ein Glücksspiel.”
„Die Spielschulden müssen die Soldaten bezahlen”, brummte Farli. „Für uns gibt es im Krieg kein Glück.”
Iri sah ihn nachdenklich an. „Was hältst du von diesem Krieg, in den wir ziehen?”
Farli winkte ab. „Ich glaube nicht an einen Angriff der Aelfen. Die Fürsten wollen einfach mehr Land. Mehr Land, das wir für sie bestellen können, damit sie mehr Abgaben eintreiben können. Damit sie mehr Macht bekommen. Wir sollten die Aelfen in Ruhe lassen. Es ist gut, dass sie ihr eigenes Land haben.”
„Die Aelfen sind eine Gefahr”, sagte Iri kühl. „Es hat Überfälle gegeben.”
Farli lachte. „Glaubt Ihr das wirklich? Niemand hier hat je Aelfen gesehen.”
„Ich habe sie gesehen.” Iris Stimme war dumpf. „Und ich kann dir versichern, es sind Kreaturen, die dem Menschen feind sind. Wir können nicht nebeneinander leben.”
„Sie leben nicht da, wo ich zu Hause bin”, sagte Farli störrisch. „Warum müssen wir so weit nach Norden ziehen, um gegen sie zu kämpfen? Wo sind ihre Heere? Warum stoßen wir nicht auf sie, wenn sie dabei sind, unser Land zu erobern?”
„Du bist scharfsinniger als gut für dich ist, Bauer.”
„Mag sein. Ich bin nicht so scharfsinnig wie Ihr denkt, aber ich bin nicht dumm. Es gibt da oben im Norden viele Wälder, die gerodet werden können. Viel Platz für Felder und um Vieh zu weiden. Ihr habt mich gefragt, was ich von dem Krieg halte. Ich glaube, es geht nur um die Gier der Fürsten.”
„Hast du keine Angst, so mit mir zu reden?”, fragte Iri eisig. „Mit einem Blutschwertmann?”
Farli zuckte die Achseln. „Ihr habt mich gefragt. Was hättet Ihr davon, wenn ich mich dumm stellte?”
Iri lächelte grimmig. „Du hast Recht. Auch mit dem Krieg, aber das spielt keine Rolle.”
„Für mich schon”, sagte Farli. „Ich sollte zu Hause sein, meine Felder bestellen, mein Vieh versorgen. Alles liegt nun in der Hand meines Sohnes. Er hat erst fünfzehn Sommer gesehen. Wie wird es dort aussehen, wenn ich zurückkomme? Dem Fürsten ist es egal; er verlangt trotzdem seine Abgaben. Wenn er Krieg führen will, soll er es mit seinen Soldaten tun. Und mit Leuten wie Euch. Das Kämpfen ist Euer Geschäft. Ich will nur ein Bauer sein.”
Iri schwieg. Der Mann war tatsächlich nicht dumm. Wahrscheinlich dachten viele wie er, waren aber zu feige, es auszusprechen. Er stimmte ihm zu, was den Grund für den Krieg anging. Die Fürsten wollten ihren Machtbereich vergrößern, wollten mehr Einnahmen. Aelfenland war reiches Land. Es hieß, es gebe Silber in den Bergen. Er selbst hatte es den Fürsten eingeflüstert.
Iri stand auf und klopfte sich ein paar Erdbrocken von der Hose, heftiger und länger als es vonnöten gewesen wäre.
„Du irrst dich, Farli Frekissohn. Mein Geschäft ist nicht das Kämpfen, mein Geschäft ist das Töten. Aber in einem anderen Punkt hast du Recht. Es wird Land gebraucht, denn es gibt immer mehr Menschen und sie brauchen immer mehr Land. Willst du deinen Platz in deinem Dorf räumen, damit jemand anderes an deine Stelle tritt?” Seine Stimme wurde hart. „Die Aelfen müssen verschwinden. Dafür ziehen wir in den Krieg.”
Farli sah ihn nachdenklich an, dann senkte er den Blick. Iri hatte wie ein Blutschwertmann gesprochen. Niemand widersprach einem Blutschwertmann.
Sie marschierten über Weideflächen, deren Ränder durch Wälle vom Wald getrennt wurden, Mauern, zusammengefügt aus unförmigen, von Moos überzogenen Felsbrocken. Gras wuchs zwischen den Fugen und zitterte im Wind. Es waren Mauern gegen die Angst. Nicht hoch. Nicht hoch genug für die Angst vor dem Wald. Dünne Fichtenstämme zogen sich Erdhügel hinauf; einige waren weiß und tot. Dahinter lagen tiefe Schatten.
„Diese Mauer ist ein jämmerlicher Schutz gegen Schatten”, dachte Iri.
Sie lagerten diesseits der Mauer bei einem verlassenen Hof. Dessen Bewohner waren nach Süden geflohen; die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Ein Wagen mit zerbrochenen Radspeichen steckte in einer Schlammkuhle. Katzen strichen zwischen den Häusern herum, jammerten kläglich und fragend. Es war menschenleeres Land, den Geistern jenseits der Mauer überlassen.
Als es Nacht wurde, wälzten sich die Schatten wie eine Flut aus dem Wald heran und brandeten gegen den Wall.
Tag für Tag stand Folke am Tor der Schmiede, verweilte, wenn er Holz abgeliefert hatte, und starrte auf das wild flackernde Feuer. Das Blitzen des glänzenden Stahls verfolgte ihn bis in seine Träume. Die klirrenden Schläge der schweren Hämmer hatten sich in seinem Kopf festgesetzt, spukten dort herum in einem Rhythmus, der ihn nicht mehr loslassen wollte. Auch die Warnung der anderen Jungen hatte nichts daran ändern können. Er wich ihnen aus und blieb für sich.
Brokk zog ihn immer wieder damit auf, dass er ein Krieger sei und dem Kampf nicht fernbleiben dürfe.
„Unsere Heere brauchen jeden Mann, Bursche”, sagte er eines Abends, als die anderen Schmiede schon zur Ruhe gegangen waren. „Verkriech dich nicht unter dem Rock deiner Mutter!”
Folke wand sich vor Verlegenheit. Er hatte diese Reden oft gehört und hasste sie, wegen der heißen Scham, die ihn dabei jedes Mal überkam.
„Ich seh´s dir an, du bist kein Feigling”, sagte Brokk ernsthaft. „Wenn du willst, schmiede ich dir ein Schwert, das dich unbesiegbar machen wird.”
Folke zögerte. Er war nicht sicher, ob Brokk ihn aufziehen wollte. Zwei scharfe Falten, die Folke noch nie gesehen hatte, standen steil über der Nase des Schmieds. Sie verliehen dem Gesicht des Mannes etwas Eidechsenhaftes.
Brokk zeigte ihm einen Eisenklumpen. „Sieh her, Junge, das ist gutes Eisen! Gib mir ein bisschen von deinem Blut, und ich werde es in den Stahl hineinschmieden und ein Schwert daraus machen wie es kein zweites gibt.” Er lächelte verheißungsvoll und seine weißen Zähne blitzten zwischen den schwarzen Strähnen seines Bartes. „Nur ein bisschen Blut ...”
Folke starrte verwirrt auf das Eisen. „Blut? Wozu soll das gut sein?”
Brokk lachte hell. „Es macht das Schwert unbesiegbar. Niemand wird gegen es bestehen können.” Er warf etwas Pulverartiges ins Feuer des Ofens. Rauch stieg auf, der seltsam süßlich roch, widerlich und erstickend.
„Komm, gib mir ein bisschen Blut”, sagte Brokk schmeichelnd.
Folke schüttelte den Kopf. Er wollte ein Schwert. Seit die anderen Jungen ihn verprügelt hatten, sehnte er sich nach einer Waffe. Aber es war Zauberei in Brokks Worten. Er hatte immer aufgepasst und nie etwas bemerkt, aber jetzt spürte er Zauberei in den Worten. In dem Wort Blut . Ein Geheimnis. Er dachte an Atlis Erzählungen und einen Augenblick lang wusste er, was die anderen Jungen mit Unheil gemeint hatten.
Читать дальше