Und weiter in nördlicher Richtung auf die Inseln von Spitzbergen zu. Von hier aus sind es lediglich 1.000 km bis zum Nordpol. Die letzten ständig besiedelten Flecken im Grönlandmeer. Kohle wird in Ny-Alesund gefördert, einem der beiden zu nennenden Orte. In der Königsbucht geht das Schiff vor Anker, und schaulustige Passagiere und Crewmitglieder betreten den lavaschwarzen Geröllstrand. Dies ist der Ausgangspunkt für zahlreiche Nordpol-Expeditionen. In den 1920ern soll endlich der Nordpol von Spitzbergen nach Alaska im Flug erobert werden. 1909, so behauptete Robert Peary, habe er den Nordpol erreicht, aber das glaubte fast keiner.

Ankunft in Spitzbergen

Jetzt versucht Roald Amundsen, der Bezwinger des Südpols, auch der Erste am Nordpol zu sein. Er scheitert aber mit seiner Dornier-Flugboot-Expedition 1925. Dann bittet er den Luftschiff-Pionier Umberto Nobile um Hilfe.

Fußspuren auf dem Gletscher sprechen eine deutliche Sprache: Schneematsch

Als ‚N 1-Norge‘ wird das halbstarre Luftschiff, in Italien erbaut, auf der Nordpol-Überquerung am 11./12. Mai 1926 eingesetzt. Gesteuert von einer 16köpfigen Besatzung, darunter Nobile und Amundsen sowie Lincoln Ellsworth, ein US-amerikanischer Millionär, der Hauptfinanzier der Expedition ist. Eine dramatische Fahrt, gebeutelt durch die Wetterkapriolen der Arktis. Sie waren die ersten, die zweifelsfrei den Nordpol erreichten. Ein historisches Datum in der Chronik der Entdeckungen (vgl. Wikipedia: ‚Norge‘, ‚Umberto Nobile‘).
Da sitzt Rudi zehn Jahre später vor den Überresten von Nobiles Luftschiffhalle. Die seitliche Holzbeplankung der nach oben offenen Konstruktion ist verschwunden, aber die halbrunden Metallbögen zu jeder Seite sind noch vorhanden.

Der Zweck dieses Hangars war es, das Luftschiff vor den zerstörerischen Stürmen der Polarregion zu schützen. Der Bug des fragilen Gefährts war an einem Ankermast vertäut. Die ganze Geschichte der ‚Norge‘ und auch die der ‚Italia‘ zwei Jahre später im Mai 1928 ist den Ingenieur-Assistenten wohl vertraut. Das Scheitern der zweiten Expedition und die anschließenden dramatischen Rettungsbemühungen, bei denen Amundsen unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, waren Titelstorys der Presse über Wochen. 1929 war gar ein Hörspiel im deutschen Rundfunk ‚SOS … rao rao … Foyn – „Krassin rettet Italia“ ausgestrahlt worden. Eine rege Buchproduktion hatte ebenfalls eingesetzt. Titel wie ‚Sieben Wochen auf der Eisscholle‘ oder ‚SOS in der Arktis – die Rettungsexpedition der ‚Krassin‘ legen Zeugnis davon ab (vgl. Wikipedia: ‚Nobile‘).
Weiter geht’s zur Magdalenenbucht, dem Highlight einer jeden Polarfahrt. Gletscher ragen von allen Seiten bis ins Meer. Wie die ‚3 von der Tankstelle‘ vor wenigen Monaten in Casablanca, stellen sich nun die ‚3 Polarforscher‘ in Pose. Sie kamen zwar erst um 18 Uhr dort an, aber das steht einem Landausflug nicht im Wege. Hell ist es auch noch um Mitternacht, als das Schiff wieder ablegt. Die Temperaturen sind Ende Juli/Anfang August recht angenehm über Null. Die Fußspuren auf dem Gletscher sprechen eine deutliche Sprache: Schneematsch.
Dann geht es nur noch nach Süden. In 1 ½ Tagen die 700 km bis zum Nordkap. Für die einen der letzte Außenposten Europas, für den von Norden Kommenden das Einfallstor zur Zivilisation. Wie die Postdampfer der legendären ‚Hurtigruten‘ fährt die ‚GENERAL VON STEUBEN‘ in einer achttägigen Fahrt alle Sehenswürdigkeiten der nord-norwegischen Küste an. Bis weit in den Süden, nach Bergen. Da sind sie schon im Machtbereich der mittelalterlichen Hanse. Da kann dann Bremen und Bremerhaven nicht mehr weit sein. Und schon winkt wieder das blaue Mittelmeer.

Innerhalb von 14 Tagen wird Rudi in der Altstadt von Casablanca (25.08.) und Algier (28.08.) stehen. Er schaut den verhüllten Einheimischen beim Einkaufen im Basar mit der Kamera über die Schulter. Im Oktober, auf seiner abschließenden Sommer/Herbstreise ins Mittelmeer, finden sich Spuren von Rudi dann wieder auf einem Ausflug nach Tétouan (Marokko), vor der Sommerresidenz des Königs in den Bergen.


Casablanca Markt
Die gemischte Passagier/Crew-Ausflugsgruppe steht vor dem Haupttor in Busstärke. Einheimische Guides begleiten die in Anzüge gewandeten Deutschen. Zum Teil tragen sie Dreiteiler mit Weste. Hat nicht einer von ihnen sogar das Eiserne Kreuz am schwarzen Rock?
Rudi jedenfalls, der Weitgefahrene, außen links, an Körpergröße und Brille zu identifizieren, trägt lässig den hellen Trenchcoat über die rechte Schulter geschlagen. Wohlan – ein Mann von Welt.

Ausflug nach Tétouan (Marokko)

Sonderfahrt Spanien in der Nachsaison
Einmal ist auch die längste Saison eines Kreuzfahrers zu Ende. Dann, wenn es beginnt zu regnen am Mittelmeer. Insgesamt zwölf Fahrten hat Rudi in diesem Jahr gemacht; angefangen bei der Stippvisite in London, den fünf Mittelmeer-Fahrten im Frühling und Frühsommer, über Ostsee- und Polarfahrt bis hin zu den vier sogenannten Sommerfahrten, die erst im Spätherbst endeten. Ende Oktober liegt das Schiff über Winter in Bremerhaven – es ‚liegt auf‘ bis zur nächsten Saison 1937.
1936 war für Rudi persönlich ein spannendes und erlebnisreiches Jahr. Aber lebte Rudi auf einer Insel, pardon, einem Schiff, der ewig Seligen? In den zahlreichen Briefen an seine Eltern spiegelt nichts die Dramatik der politischen Ereignisse wider. Gewiss, es gibt weniger Arbeitslose in Deutschland und mehr Arbeitsplätze an Land, das nimmt Rudi mit Genugtuung zur Kenntnis: „Die meisten Leute laufen weg und arbeiten an Land. Als die ‚COLUMBUS’ (ein Schnelldampfer im Liniendienst nach New York) gestern hier ankam, gingen von der Maschine allein 49 Mann weg. Der Lloyd weiß gar nicht mehr, wo er seine Leute hernehmen soll.“ (Brief 9/36) Er freut sich über seine persönlichen Karriereaussichten. Jedoch kein Wort, keine Erwähnung zu dem Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland. Am 7. März 1936, am Samstag vor dem ‚Heldengedenktag‘, treffen in Köln Deutz die ersten Einheiten der Wehrmacht ein. Die Flak mit Geschützen und Fahrzeugen. Die Kölner sind begeistert und drängen sich auf der Hohenzollernbrücke, jubeln den Marschierenden zu und werfen den Soldaten Blumen und kleine Geschenke in die Fahrzeuge (vgl. Adolf Klein, Köln im Dritten Reich, S. 213-217).
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