
Drei Ingenieur-Assistenten der ‚STEUBEN’
Wird denn Rudi als Binnenländer überhaupt nicht seekrank, das erste Mal so auf hoher See? Kein Wort darüber, man wird‘s oder auch nicht! In Lissabon ist Karneval, so wie in Köln, und das Wetter ist noch prächtig (Brief 4/36). Ganz im Gegensatz zu dem „schrecklichen Sturm“ (Brief 6/36) vor Gibraltar. Bei diesem Orkan in den Hafen zu kommen ist unmöglich. Nur ein Boot muss unbedingt zu Wasser gelassen werden, um die Post zu holen. Nicht umsonst betitelt sich die ‚STEUBEN‘ auf der Rückseite ihrer Bordkarte als „Doppelschrauben-Postdampfer“. Außer der Bootsbesatzung muss auch immer einer von der Maschine mitfahren, um den Motor zu bedienen. Warum sich gerade Rudi freiwillig meldet, ist unerfindlich. Von oben sehen die Wellen eben viel niedriger und beinahe harmlos aus. Er berichtet seinen Eltern: „Ich habe mich gemeldet. Aber das Boot war noch nicht unten, da hat es mich schon gereut, so was habe ich noch nicht erlebt. Haushohe Wellen warfen das Boot durcheinander…“ (Brief 6/36).
Die Passagiere und auch die Besatzung wohnen diesem Spektakel bei. Neugierig-mitleidig, aber auch sensationslüstern, schauen sie von der sicheren Reling aus. Jetzt hat Rudi eine ‚große Nummer‘ beim Ersten Offizier, der ihm 10 Zigarren als Anerkennung spendiert. Als Belohnung für „sein tapferes Verhalten vor dem Feinde“ – sprich der stürmischen See – darf er dann von Palermo aus an einem Auto-Ausflug der Passagiere nach Segesta teilnehmen und die antiken Tempel Siziliens bewundern. Wohl dem, der ‚Seebeine‘ hat!
Über Neapel geht es nach Genua, wo die erste Reise dann endet und die Passagiere das Schiff verlassen und mit dem Zug ins kalte Deutschland zurückfahren.

Viele Stationen und Landgänge – Lissabon, Madeira, Casablanca, Malaga, Sizilien, Neapel hat er gesehen und mitgemacht. Die Liegezeiten auf einem Kreuzfahrer sind eben ausführlich. Das alles das erste Mal – die weite Welt.

Will er die Eltern, den jüngeren Bruder lediglich trösten, wenn er immer ein Haar in der Suppe finden will? „Heiß ist es hier durchaus nicht. Es ist noch richtig Winter.“ (Brief 6/36) Die Fotos zeigen „zwei kölsche Seemänner“ und ihre aufgekrempelten Hemdärmel in Casablanca. Die heimwehgetränkte Perspektive verengt sich in der Ferne: „Rosenmontag waren wir in Madeira, dort war der Karneval ganz groß“ (Brief 6/36).

Dann kommt er zu einem krassen Urteil: „Um landschaftliche Schönheit braucht Ihr mich gar nicht zu beneiden, denn schön ist es hier gar nicht.“ (Brief 6/36) Das Heimweh überkommt ihn wieder, und der 22jährige möchte wieder das „Rudimännchen“ seines Vaters sein, der stets auf ihn aufgepasst hat (Brief 5/36). „Am schönsten ist es doch in Deutschland“ (Brief 6/36). Dieses wird er aber so schnell nicht wiedersehen, denn die zweite Reise geht ins östliche Mittelmeer, ebenso wie die dritte.
Abreise-, Ankunfthafen ist stets Genua oder auf der anderen Seite Venedig, wo die Passagiere mit Sonderzügen aus Deutschland eintreffen oder dorthin fahren. Ab RM 250, das absolute Sonderangebot – so werden die Lloyd-Reisen nach dem Süden auf Plakaten beworben (Dirk J. Peters, S. 52). Weit über dem durchschnittlichen Monatslohn. Eine märchenhafte Sonne beleuchtet die Karte des gesamten Mittelmeers. Eine Gruppe von romantisch gewandeten Arabern verleiht dem Ensemble die exotische Würze.
Insgesamt fünf dreiwöchige Mittelmeer-Fahrten wird Rudi in diesem Frühjahr 1936 absolvieren, bis er Anfang Juni nach Bremerhaven zurückkehren darf. Ausgereist war er am 18. Februar. Seekrankheit war nie ein Thema, aber ein „kleines Heimweh“ (Brief 5/36) hatte ihn nie verlassen während dieser vier Monate.
Literatur: Dirk J. Peters, Der Norddeutsche Lloyd, Von Bremen in die Welt“, „Global Player der Schifffahrtsgeschichte, Bremen 2007

Schulden beim Freilager – der Fotoapparat
„Wenn es geht, werde ich mir auf See, wenn alles zollfrei ist einen Fotoapparat kaufen“ (Brief 2/36). Das schreibt er an seine Eltern schon im Januar, bevor die erste Reise angetreten ist. Es wird schon etwas ganz Besonderes werden, das Jahr 1936 auf dem Kreuzfahrer. Nicht nur ins Mittelmeer im Frühjahr und im Herbst wird es gehen, sondern auch nach Skandinavien, durch die Ostsee und als Höhepunkt jeder Kreuzfahrt-Saison die traditionsreiche Lloyd-Veranstaltung: die Polarfahrt.
Das muss unbedingt auf den üblichen 6 x 8 Rollfilm gebannt werden – ein Herzenswunsch. Immerhin drei dieser Filme mit jeweils acht Aufnahmen wird Rudi von Februar bis zum Abschluss der Polarfahrt verknipsen. „Auf See Fotoapparat gekauft“ vermerkt er an einem Donnerstag, dem 20. Februar, in seinem Taschenkalender, als er durch die Biskaya kommend auf die portugiesische Küste nach Lissabon einschwenkt. Wie das, mitten auf See? „Hier“ – in Bremerhaven – „gibt es nämlich Freilager wo man alles billig ohne Zoll bekommt.“ (Brief 2/36)

Da erhält man bei Vorlage des Seefahrtsbuchs die Zigaretten etwa für die Hälfte. Aber unter anderem auch einen Fotoapparat, eine Billy Record. Die Standard-Kamera mit ausziehbarem Balg. 34 RM kostet dieser ab 1934 von Agfa herausgebrachte Apparat. Etwa die Hälfte seiner monatlichen Bezüge. Ein wenig billiger geht es denn doch! „Ich kann die Sachen vorher an Land bestellen, sie werden unter Verschluss an Bord gebracht, und auf hoher See bekomme ich sie ausgehändigt.“ (Brief 2/36) So auch den nagelneuen Fotoapparat und einige der roten 6x8 Rollfilme.
In Casablanca posieren er und seine Kollegen vor Palmen. „Zwei kölsche Seemänner“, so die launige Bildbeschriftung, oder als „3 von der Tankstelle“. Der populäre Film mit Heinz Rühmann war 1930 in den Kinos uraufgeführt worden. „Ein Freund, ein guter Freund…“ möchte man sofort losschmettern. Anschließend dann einen halben Film (vier Bilder) allein in Stockholm rund um den schwedischen Reichstag.

Stockholm – schwedischer Reichstag

Prachtvolles Gebäude in Bergen / Norwegen
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