Straßenszenen, die eigentlich wenig aussagekräftig sind. Aber einmal in Stockholm, das ist die Botschaft! Ich war hier und will mich zukünftig erinnern, das ist die Absicht!
Obwohl der Norddeutsche Lloyd die 16tägige Fahrt als ‚Ostsee-Fahrt‘ vermarktet, so schifft die ‚STEUBEN‘ dann doch zunächst von Bremerhaven in zwei Tagen nach Bergen/Norwegen am Atlantik, wo sie dann pünktlich am frühen Morgen um 6 Uhr eintrifft. Geschicktes Timing ist in der Kreuzschifffahrt das A und O, denn die Passagier-Touristen möchten den Tag in der alten Stadt mit der Hanse-Niederlassung verbringen. Gegen 20 Uhr verlässt das Schiff den Hafen, um wiederum am Morgen die malerische Landschaft des Eidfjords bei Tageslicht zu präsentieren. Nach einem Tag in Oslo geht es dann wirklich nach einem Aufenthalt in Kopenhagen in die Ostsee.
Sieben Tage hat das Schiff jetzt schon in Nordsee und Nordatlantik sozusagen verbummelt, wenn man die Ostsee sehen möchte. In 1½ Tagen pflügt der Dampfer dann nach Zoppot/Danzig, um pünktlich in der Frühe einzutreffen. Nachts wird gefahren, am Tag besichtigt. Der Ort gehört auf Grund der Bestimmungen des Versailler Vertrags seit 1920 zur ‚Freien Stadt Danzig‘. Das Gebiet wird vom Völkerbund verwaltet und gehört nicht zum Reich. Zwischen den Kriegen legen hier die Schiffe des Seedienstes an, die Ostpreußen über den ‚Polnischen Korridor‘ hinweg mit dem Deutschen Reich verbinden. Zoppot ist ein äußerst exklusives Seebad mit Kurhotels und kilometerlangem feinkörnigen Strand, Seebrücke, Pferderennbahn und was alles so zum Mondänen dazugehört.
Ein Spielcasino dazu ab 1919, um die Einnahmen des Freistaates sprudeln zu lassen. Casinotourismus heißt das Geschäft: „So ähnlich wie Bad Ems nur noch größer“, schreibt Rudi seiner Mutter, die selbst in Erholung weilt und der er 50 M per Postanweisung schickt. „Du wirst sie gut gebrauchen können.“ (Brief 13/36) Woher dieses generöse Geschenk? Hat Rudi das Geld etwa in der Spielbank von Zoppot gewonnen? Er gibt zwar zu, dort „70 Danziger Gulden“ in einer Stunde gewonnen, behauptet aber, diese sofort wieder verspielt zu haben. „…gewonnen und wieder verspielt. Also verloren habe ich nichts. Es hat nur allen viel Spaß gemacht.“
Überhaupt scheint vor und während seiner Ostsee-Fahrt Rudi in bester Sommerlaune zu sein. „Die ganze Zeit hatten wir das prachtvollste Wetter.“ (Brief 11/36) Er malt seine Zukunft in den prächtigsten Farben – geradezu märchenhaft: „Wenn ich mal Schiffsingenieur bin, dann werde ich sparen, dass Mutter mal mitfahren kann. Die Ostseereise dauert 16 Tage und kostet rund 400 M.“ (Brief 11/36) Nicht gerade wenig, insbesondere, wenn das für seine „beiden alten Herrschaften“ sich auf das Doppelte summieren würde. „Das wäre doch zu schön …“ Ein Sommermärchen fürwahr, als Passagiere auf dem Traumschiff. Nur dass der Spaß für die Eltern etwa vier Monatsgehälter eines Durchschnittsverdieners beträgt. Bei aller mittsommerlichen Euphorie – das gibt zu denken.
An Land ist Rudi doch notorisch klamm: „Das Allerschönste aber ist, dass ich jetzt völlig blank bin.“ (Brief 7/36). Bei seinen Abrechnungen bekommt er nichts mehr ausbezahlt, weil er Schulden beim Freilager hatte, – u. a. der Fotoapparat und natürlich Zigaretten – erhöhte Heimatzahlungen geleistet hatte und natürlich die ewigen gesetzlichen Abgaben: „Ich will Euch mal eine Lohntüte mitschicken, da könnt Ihr mal sehen, was ich für hohe Abzüge habe“ und beklagt sich dann im Folgenden bitterlich und irgendwie überrascht bei seinen Eltern: „Wenn ich den Friseur und den Wäscher und die Post bezahlt hatte, war das Geld alle.“ Dann fährt er fort, nachdem er so auf die Tränendrüsen gedrückt hatte, und kommt zur Sache: „Vielleicht könnt Ihr mir mit ein paar Mark aushelfen. Ich kann ja nicht mal am Sonntag essen gehen…“ (Brief 7/36) Na ja – die Mark, die R-Mark, entspräche nach heutiger Kaufkraft € 4,51 (Wikipedia: Reichsmark).
Aber wie gesagt: „Das Wetter ist einfach prachtvoll“ in jenem Olympia-Sommer 1936. Es geht bergauf. Die Aufrüstung fegt den Arbeitsmarkt leer. Gute Zeiten für Ingenieur-Assistenten. „Der Lloyd weiß gar nicht mehr, wo er seine Leute hernehmen soll. Das ist natürlich für uns sehr günstig. Vielleicht bekommen wir dadurch noch mal mehr Gehalt.“ (Brief 9/36)
Und zum Schluss das „Allerschönste“, eine Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal. 8 ½ Stunden braucht das Schiff von Kiel-Holtenau nach Brunsbüttel. Und wieder bewahrheitet sich für Rudi, dass es in Deutschland am schönsten sei: „Rechts und links des Kanals sind Felder und riesige Weiden mit den fetten holsteinischen Kühen. Es war einfach herrlich.“ (Brief 13/36)

Drei Polarforscher in Spitzbergen
Ein Kollege hatte Anfang des Jahres mächtig geflucht, als ihm mitgeteilt wurde, dass er als Ingenieur-Assistent dem Flaggschiff des Lloyd, der ‚BREMEN‘, zugeteilt worden war. Warum das? „…auf den Schnelldampfern fährt niemand gern. Es ist immer dasselbe, Bremen – New York und zurück.“ (Brief 3/36) Immer nur den Nordatlantik, wie öd! Und die Liegezeiten in New York sind kurz genug. Mit der ‚GENERAL VON STEUBEN‘, da hat Rudi schon einen Trumpf gezogen: ein Kreuzfahrer. Besichtigung der schönsten Orte rund um das Mittelmeer mit den klangvollen Namen.
Im Hochsommer in die entgegengesetzte Richtung, nach Norden. Höhepunkt der Kreuzfahrtsaison die sündhaft teure ‚Polarfahrt‘ des Lloyd. Etwas für Leute mit reichlich Einkommen. Da wird dem Normalverdiener ganz schwindlig. Die rund 350 Mann der Besatzung sind sozusagen unerlässliche Zaungäste, notwendig zur Bedienung des Schiffs und für den übrigen Service. So ganz nebenbei eine exklusive Reise bis fast zum Nordpol und die Heuer obendrauf. Gewiss, Maschinenwache gehen auf See ist angesagt, aber das ist ja das reinste Vergnügen gegenüber den Mittelmeerfahrten vor Afrika im Sommer. „In der Maschine hatten wir nur 50 Grad“, und ein flotter Spruch gegenüber seinem ‚kleinen‘ Bruder Karlheinz, den er liebevoll als ‚Heinzelmännchen‘ anredet, folgt auf dem Fuß: „Da war man noch zu faul umzufallen, sonst wären wir alle eingeschlafen.“ (Brief 10/36)

Auf der Polar-Kreuzfahrt im Juli/August des Sommers 1936 hingegen herrschen wohltemperierte Verhältnisse. Es ist schnuckelig warm im Maschinenraum, im Gegensatz zur windigen Nordsee vor Edinburgh.

Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth
Passagiere und Besatzung bestaunen die bizarr geformte Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth und fotografieren auch eifrig. Weiter geht es auf den Nordatlantik hinaus nach Kirkwall auf den Orkneys und Thorshaven auf den Färöer, winzige Flecken im kühlen Nordmeer auf dem halben Weg nach Island. Der Archipel der Westmänner-Inseln taucht etwa 30 km vorher auf, ein seltsamer Name, der daran erinnert, dass ihre frühen norwegischen Besiedler Sklavenjäger waren und ihre Opfer auf den britischen Inseln einfingen. Eben die Westmänner im Gegensatz zu den Nordmännern.
Eine Gegend, bestaunt, bewundert und auch zuweilen gefürchtet wegen ihrer aktiven Lava speienden Vulkane. Nach Reykjavik, dem letzten städtischen Zivilisationsposten auf Island, den ganzen Weg an der ca. 650 km nordöstlich gelegenen Insel Jan Mayen vorbei. Gletscher und Vulkane in trauter Eintracht, Feuer und Eis, die gesamte Region ein Hotspot des Vulkanismus. Hier herrscht im mildesten Monat August eine Mitteltemperatur von 5° Celsius.
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