Shigats Männer kämpften wacker gegen die Trolle. Erst bannten sie sie, dann stachen sie mit dem Schwert zu. Wie bei Mauro glückte der Immobilisierungszauber nicht immer auf Anhieb. Die Trolle schlugen mit aller Härte zurück. Mauro konnte einen der Männer mit einem Energiestoß aus der Angriffslinie retten. Wenige Schritte daneben wurde ein anderer vom Troll in Stücke gerissen.
In Begleitung der Trolle befanden sich einige Bären, die nach ihrem Winterschlaf nach Frischfleisch lechzten. Schon machten die ersten sich über die Körper der am Boden liegenden Männer her.
Jago verstand sich hervorragend darauf, Bären zu beschwören. Der junge Mann stimmte einen merkwürdigen Singsang an. Das Auf- und Abschwellen des Tones erregte die Aufmerksamkeit der Bären. Sie wandten ihre Köpfe dem Sänger zu. Auf dem Schlachtfeld befand sich ein gutes Dutzend der braunen Kolosse. Jagos Singsang schien ihnen zu gefallen. Sie wiegten sich, als tanzten sie zu einer feinen Melodie.
„Wir treiben sie gegen die Trolle“, gestikulierte Jago, während er seinen Singsang zu einem tiefen Brummen veränderte. Mauro nickte seine Zustimmung und blockierte einen der möglichen Fluchtwege. Die Bären gehorchten Jagos Befehl umgehend und wandten sich angriffslustig den Trollen zu.
Die Trolle reagierten erschrocken. Mit einem Male waren alle anderen Gegner bedeutungslos. Sie fürchteten die Tiere genug, um umgehend ihr Heil in der Flucht zu suchen. Die Bären liefen hinter ihnen her. Bald waren Bären wie Trolle verschwunden. Es war vorüber.
Der Angriff der Bergtrolle hatte bitteren Blutzoll unter den Biberjägern gefordert. Auch Shigat musste einen seiner Männer begraben. Während sie ihre Toten zusammentrugen, warf Morriell sich aufschluchzend über den übel zugerichteten Leichnam ihres Bräutigams. Die Gefährten versammelten sich, um Llewin die letzte Ehre zu erweisen. Morriell sah Mauro vorwurfsvoll an: „Warum hast Du das getan?“
„Warum habe ich was getan?“
„Du hattest die Wahl, entweder Jago oder Llewin zu retten. Du hast Dich für Jago entschieden und damit Llewin zum Tode verurteilt! Warum hast Du das getan?“
„Großer Gott, Morriell, ich habe mich nicht bewusst für den einen oder anderen entschieden. Vielleicht war ich an Jago näher dran, oder der Winkel für die Wurfscheibe war günstiger. Ich weiß es nicht mehr, alles ging sehr schnell. Mir Llewins Tod vorzuwerfen ist mehr als ungerecht. Ich habe getan, was ich konnte. Natürlich hätte ich lieber beide gerettet, doch besser einen als gar keinen. Jago konnte uns immerhin die Bären vom Hals schaffen, vergiss das nicht!“
„Du hast mich zur Witwe gemacht, noch ehe ich seine Frau geworden bin“, fuhr Morriell unbeeindruckt fort. „Du mochtest ihn nie, wolltest ihn gar zurückschicken. Jetzt bist Du ihn los.“
„Er hatte düstere Vorahnungen. Deshalb empfahl ich ihm, zurückzubleiben!“ protestierte Mauro ungehalten. Sie starrten einander für einige Momente feindselig an. Schließlich sagte er: „Komm erst einmal zu Dir, ehe wir weiterreden. Der Schmerz nimmt Dir den Verstand!“ Er wandte sich ab und half den Biberjägern, ihre Toten zu bestatten.
Shigat wollte für seinen Mann ein Feuerbegräbnis, wie es ihren Bräuchen entsprach. Er sah jedoch ein, dass ein weithin sichtbares Feuer ihrer Weiterreise nicht förderlich wäre. Der Steppenkrieger wurde mit den anderen an Ort und Stelle begraben.
Es kostete sie einige Überzeugungsarbeit, Morriell zur Herausgabe von Llewins Leichnam zu überreden. Schließlich wurde er mit den anderen zur letzten Ruhe gebettet. Wie zu jener Zeit bei den Stämmen üblich, bedeckten sie ihre Toten mit Erde und befestigten die Grabhügel mit schweren Steinen. Davon gab es dort oben genug, und auch genügend Zauberer, die sie bewegen konnten. Den Gefallenen wurde ein eindrucksvolles Grabmal errichtet.
Zum Schluss brannte Morriell mit ihrem Zauberstab eine Inschrift ein, die von Tapferkeit und Treue ihres Liebsten zeugte. Daneben hinterließ Shigat einige Hexenzeichen, die Störenfriede abhalten sollten. Hätte Schlobart diese Zeichen gesehen, wäre er erschaudert ob der Dämonen, die hier zu Wächtern kethischer Gräber berufen wurden.
Schweren Herzens verabschiedeten sie sich von den Biberjägern, die mit trauriger Kunde zu ihrem Stamm zurückkehrten. Morriell, Mauro, Rüdiger, Hamon, Jago, Shigat und seine Männer setzten ihren Weg fort. Bald schon entzog sie der düstere Wald den Blicken der heimkehrenden Biberjäger.
„Wollt Ihr mit ihnen zurückkehren?“ fragte Shigat ein letztes Mal. „Noch ist es Zeit. Ihr wisst genau, dass Ihr gegen den greisen Zauberkönig keine echte Chance habt. Keiner hier nimmt Euch übel, wenn Ihr darauf verzichtet, sinnlos Euer Leben aufs Spiel zu setzen.“
Morriell schüttelte nur stumm den Kopf.
Die Pferde am Zügel schritten sie tiefer und tiefer in den Wald hinein. Die Düsternis ihrer Umgebung passte bestens zu ihrer Stimmung. Schweigend marschierten sie hintereinander einher. Plötzlich hob Shigat etwas auf und rief: „Hier waren wir schon einmal! Wir sind im Kreis gegangen! Kann es sein, dass wir längst den Weg verloren haben?“
Sie versuchten, ihrer alten Spur zurück zu folgen, doch schon nach wenigen Schritten stellten sie fest, dass der Waldboden ihre Fußabdrücke verschlungen hatte. Sie wussten weder, welche Tageszeit war noch in welche Richtung sie gingen.
Shigat hatte die Führung übernommen: „Haltet an. Lasst uns nachdenken, statt einfach weiterzurennen. Der Zauberwald führt uns gewiss an einen Ort, wo wir nicht hinwollen.“
„Ja, lasst uns ein wenig rasten“, stöhnte Hamon, dem Fußmärsche ein Gräuel waren. Er ließ sich ins weiche Moos fallen. Die anderen folgten Hamons Beispiel und suchten sich einen Rastplatz.
Shigat war sauer: „Sind wir nicht Vollidioten? Keiner von uns Zauberern dachte an die magische Leine. Zuvor hatten wir doch auch eine gelegt!“
Auch Hamon war besorgt: „Vielleicht finden wir niemals den Weg...“
„Lasst uns bloß mit Eurer Schwarzseherei in Ruhe“, wies ihn Shigat zurecht. „Wer aufgibt, hat schon verloren.“
„Klugscheißer“, murrte Hamon.
„Was sagten die Biberjäger? Es wäre ein Spaziergang, vom Pass aus in drei Tagen nach Knyssar zu marschieren“, ereiferte sich Rüdiger. „In Wirklichkeit war keiner von denen je da. Hätten wir uns bloß nicht darauf verlassen! Wahrscheinlich kommen wir zu spät zum Wettkampf.“
„Wir haben doch einen ortskundigen Führer“, ätzte Hamon. „Nur leider kennt Jago gerade diesen Weg nicht!“
Jago wurde purpurrot und schwieg.
„Jago ist nutzlos. Um hier zu verrecken, hätte Mauro sein Leben nicht retten müssen. Meinen Bräutigam hingegen ließ er einfach sterben!“ Morriell heulte theatralisch auf.
„Hört endlich auf, auf Mauro herumzuhacken. Er hatte gar keine andere Wahl. Ich habe es gesehen!“ knurrte Rüdiger sie an.
„Doch, die hatte er. Ihr seht wohl auch nur, was Ihr sehen wollt!“ schimpfte Morriell zurück.
„Keiner verliert gerne einen Freund.“ Shigat übte sich in Mäßigung. „Mauro fragt sich bestimmt, wie er Llewins Tod hätte vermeiden können.“
„Ich fühle mich nicht gut dabei, dass ich lebe, während Llewin unter der Erde liegt“, warf Jago leise ein.
„Sentimentales Gewäsch“, erwiderte Rüdiger gereizt. „Llewins Zeit war gekommen. Er selbst hat es gewusst. Mauro hätte ihn nicht retten können, selbst wenn er in der Lage wäre, Wunder zu vollbringen. Keiner von uns kann seinem Schicksal entrinnen. Der Schutz des mächtigsten Zauberers erreicht nur die, die die Option haben, weiterzuleben. Deinen Namen hatte die Todesbotin nicht aufgerufen.“
„Mauro hat das mit Absicht gemacht, um mich zu treffen“, behauptete Morriell. „Von wegen Freund! Er konnte Llewin nicht ausstehen!“.
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