„Ich glaube kaum, dass ich ein guter Psychologe geworden wäre.“
„Ich weiß auch nicht ob ich ein guter bin, ich versuche mein Wissen so umzusetzen, wie ich es für die vernünftigste Art und Weise halte.“
Elouan griff zum Headset und ließ sich mit dem Geiselnehmer verbinden.
Denis Maubert nahm das Gespräch sofort an. Auf dem Bildschirm konnten sie sehen, dass er unmittelbar neben dem Telefon stand und auf die Antwort wartete. Er machte einen sehr gestressten Eindruck. Langsam schien die Zeit für die Polizei zu arbeiten. Noch hatten sie aber nicht das Gefühl, dass die Männer in der Bijouterie zur Aufgabe bereit waren.
„Ja!“, schrie er regelrecht in den Apparat.
Elouan blieb ruhig und versuchte einen freundlichen Tonfall hinzubekommen.
„Monsieur, ich habe mit meinem Chef verhandelt. Es war ganz schön schwierig, ihn zu einer Zustimmung zu bewegen. Er wollte sogar noch mehr Geiseln eingetauscht haben. Aber schließlich willigte er ein. Wir versuchen den Hubschrauber in der verbleibenden Zeit aufzutreiben.“
„Was heißt hier auftreiben? Der Hubschrauber muss hier erscheinen, ansonsten sind die Geiseln fällig. Ich knalle eine nach der anderen ab.“
„Aber Monsieur, seien Sie doch nicht so verärgert. Wir tun unser Bestes. Es gibt da nur ein Problem.“
„Was für ein Problem gibt es jetzt schon wieder?“
„Nun, der Hubschrauber wird nicht vor der Bijouterie landen können. Die Straße ist einfach zu eng. Sie müssen etwa zweihundert Meter bis zum Parkplatz am Ende der Straße zurücklegen. Dort können wir einen Landeplatz einrichten.“
„Damit ihr uns abknallen könnt! Kommt nicht in Frage.“
„Aber wo sollen wir den Hubschrauber dann hier landen lassen?“
Denis Maubert war erneut verunsichert. Die Beamten konnten auf dem Bildschirm deutlich sehen, dass er heftig nachzudenken schien. Seine Ablehnung, zum Parkplatz zu gehen, war vielleicht doch zu voreilig gewesen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass die Aussage seines Gesprächspartners stimmte. In der Straße war das Landen eines Hubschraubers unmöglich, das musste er einsehen, auch wenn es ihm nicht behagte. Ein Fahrzeug wäre günstiger gewesen. Aber er hatte seine Meinung geändert, mit einem Auto war es schwieriger von hier wegzukommen. Die Verfolger konnten das Fahrzeug auf zahlreiche Weise stoppen. Ein Hubschrauber war seine Wahl. Abgesehen davon, dass er dem Piloten jederzeit neue Anweisungen geben könnte, wäre jede Strecke deutlich schneller zurückzulegen.
„Gut“, sagte er schließlich nach einer längeren Pause.
„Wir gehen zum Parkplatz, aber die Geiseln gebe ich erst frei, wenn wir den Platz erreicht haben. Ihr lasst die Scharfschützen abziehen und zieht auch alle Polizeifahrzeuge zurück.“
„Ich will versuchen, ob mein Chef das hinnimmt“, meinte Elouan und sah Serge Quinnec an, der gerade den Überwachungswagen betreten hatte.
„Lassen Sie sich aber nicht zu lange Zeit, ihr könnt nicht mit mir spielen, hast du das verstanden?“
„Klar, Sie sind der Boss.“
Elouan nahm das Headset ab und sah zu Serge Quinnec.
„Geht das in Ordnung?“
„Ich habe mir das schon gedacht“, antwortete Serge Quinnec.
„Ich werde die Scharfschützen rund um den Parkplatz postieren, vielleicht gelingt uns ja dort ein Zugriff. In der Bijouterie ist es einfach zu gefährlich für die Geiseln. Ich habe mir bereits die Pläne des Gebäudes angesehen. Meine Kollegen haben sie mir vor wenigen Minuten gebracht. Es gibt nur die Möglichkeit durch die Eingangstür ins Gebäude zu kommen. Vom Hinterhof aus würde es zu lange dauern den Verkaufsraum zu erreichen. Wir müssten die Stahltür, mit der das Geschäft an der Rückseite gesichert ist, aufsprengen. Dadurch werden die Verbrecher gewarnt. Bis wir dann in den vorderen Teil des Ladens kämen, hätten sie Zeit genug, die Geiseln zu erschießen.“
„Ein Zugriff auf dem Parkplatz wäre einfacher, das ist bestimmt richtig. Aber wir müssen damit rechnen, dass es nicht klappt. Die Flugsicherung muss den Hubschrauber auf dem Radar verfolgen, damit wir sie nicht verlieren“, meinte Paul und sah Serge Quinnec an.
„Ja, ich werde mich sofort mit der Flugsicherung kurzschließen.“
Die Zeit verlief zusehends, und die letzte Stunde war angebrochen. Ein Koffer mit dem präparierten Geld war inzwischen eingetroffen. Der Koffer war mit einem Funksignal ausgestattet worden, mit dem eine Verfolgung per Fahrzeug möglich war. Im Hubschrauber war eine Verfolgung nicht nur schwieriger, sondern beinahe aussichtslos, da das Funksignal nur über eine Reichweite von drei Kilometern zu empfangen war. Umso wichtiger war es, dass der Hubschrauber verfolgt werden konnte.
Elouan hatte es bis jetzt nicht geschafft, die Geiselnehmer von ihrem Plan, mit dem Hubschrauber zu entkommen, abzubringen. Er hatte noch mehrere Gespräche geführt, aber Denis Maubert ließ keine Anzeichen einer freiwilligen Aufgabe erkennen. Die Nervosität der Verbrecher war nicht nur durch das Mikrophon zu hören, sondern auch auf dem Bild deutlich zu erkennen. Sie liefen beständig hin und her und fanden kaum Ruhe. Jules Fucauld und Marc Gourand schienen ihre Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Sie bewegten sich beinahe wie Roboter. Ein deutliches Zeichen für Elouan, dass sie mit ihren Gedanken weit weg waren. Bestimmt würde er es schaffen, dass die beiden das Vorhaben aufgaben, aber der Einfluss von Denis war noch immer stärker. Er dominierte die Situation und schien von den beiden gefürchtet zu sein. Obwohl sie beide bewaffnet waren, trauten sie sich nicht gegen ihn zu opponieren. Für Elouan ein deutliches Zeichen, dass sie von der Schusswaffe eher keinen Gebrauch machen würden. Ganz im Gegensatz zu Denis. Elouan schloss daraus, dass Denis der Schütze gewesen sein musste, der auf den am Boden liegenden Mann geschossen hatte.
Denis Maubert war sich seiner Sache ziemlich sicher. Sie würden aus diesem Schlamassel herauskommen, danach würde er abrechnen, abrechnen mit dem Tippgeber für den Einbruch. Er fände ein Juweliergeschäft mit einem verängstigten Besitzer vor, hatte der Mann ihm gesagt. Der Besitzer habe erst vor einem dreiviertel Jahr einen Überfall überstanden und sei seither total verunsichert und ängstlich. Eine Alarmanlage gab es angeblich nicht. Das waren die Informationen, die er erhalten hatte. Die Bijouterie hätte edle Stücke in den Vitrinen, und ein Überfall brächte gute Beute.
Was war geblieben von den Aussagen? Der Mann hatte eine Alarmanlage und hatte sie benützt. Er war zwar ein ängstlicher Typ, aber doch so mutig, dass er den Alarmknopf betätigt hatte. Über die Schmuckstücke konnte Denis sich noch kein Bild machen. Die waren ihm aber jetzt erst einmal egal. Wenn die Bullen seine Forderungen erfüllen würden, dann bekämen sie einen Koffer voller Geld. 500.000 Euro und den Schmuck, das sollte fürs Erste reichen, um eine neue Existenz in Spanien aufzubauen. In den Knast wollte er auf keinen Fall zurück. Der letzte Aufenthalt sollte eindeutig sein letzter gewesen sein. Seit seinem 18. Geburtstag hatte er mehr Zeit in Gefängnissen verbracht als in Freiheit. Er war inzwischen 38 Jahre alt und wollte endlich eine Familie gründen. Eine Frau fürs Leben zu finden, erschien ihm mit Geld einfacher als ohne. Dieser Überfall sollte sein letzter sein, wenigstens sein letzter, solange das Geld reichte. Einen Beruf hatte er nie erlernt. In der Schule war er weniger durch seine Noten aufgefallen, vielmehr hatte er als Klassenclown Karriere gemacht.
Bei den Mädchen war er anfangs beliebt. Sie schätzten seinen Mut, sich mit den Lehrern anzulegen, und sein attraktives Aussehen ließ die schlechten Noten schnell in den Hintergrund treten. Aber mit der Zeit genügte das nicht mehr. Keine wollte sich später mit dem Dümmsten der Klasse abgeben, so dass er zusehends aggressiver wurde, je mehr die Mädchen ihn abwiesen. Er machte seine ersten Einbrüche, um sich etwas Geld zu beschaffen. Er erhoffte sich mit dem Geld, seine frühere Position zurückgewinnen zu können. Als einer der Ersten der Schule machte er den Führerschein, und durch seine kriminellen Aktivitäten besaß er schnell einen eigenen Wagen. Eine Zeitlang schienen seine Überlegungen aufzugehen. Die Mädchen fingen wieder an, Gefallen an ihm zu finden, fragten auch nicht woher er das Geld hatte, mit dem er beinahe schon herumwarf.
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