Es ist deutliche Belustigung in Georges Worten zu vernehmen und ich hab grad das Gefühl kräftig auf die Schippe genommen, zu werden. Wider Erwarten finde ich in meiner gedrückten Stimmung einen Funken Humor und muss grinsen. „Vielen Dank, George für diesen konstruktiven Vorschlag. Vielleicht komme ich bei meiner Abreise darauf zurück, sollte die Herde dann wieder - oder noch - auf unserer Straße sein“, antworte ich würdevoll.
Mein Chauffeur schnaubt leise. „Ganz wie Sie wünschen, Sir. Möchten Sie, dass ich die Trennscheibe hochfahre, Sir?“ Und hier hinten unnütz grübeln, bis ich endlich im Hotel ankomme? Nein, danke! „Nein, vielen Dank. Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen. Außerdem fürchte ich, dass ich ohne Ablenkung wohl ein Nickerchen machen würde“, ich schaue seufzend aus dem Fenster. „Da spricht doch nichts dagegen, Sir. Und falls Sie eine Stärkung brauchen, in der Minibar stehen Ihnen Getränke und Snacks zur Verfügung.“
Ich werfe einen Blick auf besagte Bar und schüttel mich leicht. Mein Magen und ich haben gerade erst nach dem turbulenten Flug Berlin-London, auf dem er versuchte sich von innen nach außen zu stülpen, einen temporären Waffenstillstand geschlossen. Den riskiere ich lieber nicht. „Vielleicht später, George.“ „Natürlich, Sir.“
In der darauffolgenden Stunde unterhält mich mein Chauffeur mit geschichtlichen Fakten und Anekdoten der Bewohner aus dem Ort. Ich vermeide bewusst Fragen zum Hotel oder dem Besitzer, obwohl ich zugeben muss, sehr neugierig zu sein. Was ich im Netz über Alexander Roth gelesen hab, klingt nach einer interessanten Biografie und so ein Projekt auf die Beine zu stellen - dazu gehört schon was. Aber ich möchte nicht unbedingt erörtern, wieso ich auf diese Weise nach Ablenkung und möglicherweise einem neuen Partner suche. Selbst wenn mein Chauffeur bestimmt schon Hunderte Geschichten dieser Art zu hören bekommen hat.
Erschöpft lehne ich die Stirn an das kühle Glas des Fensters und starre in die heraufziehende Dämmerung. Der Platzregen vom Bahnhof hat sich in feine Bindfäden verwandelt. Das Wetter spiegelt perfekt meine Stimmung wieder, die bereits in trübe Gewässer zurückplumpst. Alte Unsicherheiten kriechen empor und ein kleines Teufelchen namens Zweifel flüstert mir ein, dass diese Aktion hier zum Scheitern verurteilt ist. Energisch schiebe ich dem einen Riegel vor. Ich benehme mich ja wie ein völlig unselbstständiges Kleinkind. Das ist nur ein Urlaub. Eine Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu schließen. Natürlich mit einigen Besonderheiten, aber gerade das hat mich doch gereizt, den Trip zu buchen. Also Schluss mit dem Negativdenken.
Das Auto folgt weiterhin im Schritttempo den trippelnden Schafen und die Abenddämmerung ist bereits vollständig hereingebrochen, als der Wagen vor einem schmiedeeisernen Tor hält.
Neugierig schaue ich hinaus, erkenne den bronzenen Schlüssel, das Markenzeichen des Hotels, ehe das Tor aufschwingt und die Limousine die Auffahrt hinaufrollt. Ich recke den Kopf, doch enttäuscht lehne ich mich wieder zurück. Es ist zu dunkel, um einen Blick auf die Parkanlagen im vorderen Teil des Grundstücks zu erhaschen. Das Schloss ist gar nicht zu sehen.
George bringt den Wagen vor einem kleinen verwunschenen Häuschen zum Stehen, in dem ich das ehemalige Pförtnerhäuschen vermute. Mein Chauffeur öffnet mir die Tür und ich steige aus. Aus dem Eingang eilt mir eine zierliche Blondine entgegen, ein strahlendes Lächeln auf den feinen Zügen.
„Mr. Krämer. Herzlich willkommen in ‚The key‘. Ich bin Heather, wir haben miteinander telefoniert. Die Unannehmlichkeiten tun mir unendlich leid. Ich hoffe, Sie nehmen meine aufrichtige Entschuldigung an.“ Das ist also Heather. Irgendwie hatte ich sie mir ganz anders vorgestellt, aber sie wirkt, als sei sie gerade erst den Kinderschuhen entwachsen. Doch erste Eindrücke können täuschen.
„War halb so schlimm, Heather. Glauben Sie mir, der Flug hat mir mehr zugesetzt“, winke ich ab. „Oh je, sagen Sie nicht, dass Sie unter Flugangst leiden.“ Voll Mitgefühl mustert sie mich und umfasst meinen Arm, um mich ins Warme zu ziehen. „Nein. Es war eher die Aufregung, die mir auf den Magen geschlagen ist“, antworte ich höflich.
Ich werde in einen gemütlichen Salon geführt, wo sie mich auffordert, Platz zu nehmen. „Darf ich Ihnen einen Tee oder Kaffee anbieten, während wir die Formalitäten erledigen?“ „Nein, vielen Dank, Heather. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich erschöpft und möchte mich gerne noch etwas ausruhen, ehe ich ...“ Unsicher breche ich ab. Die Nervosität hat mich erneut fest in ihren Klauen. Jetzt wird es ernst.
„Aber selbstverständlich, Mr. Krämer. Das hier nimmt auch nur wenige Minuten in Anspruch. Einen Augenblick, bitte.“ Sie eilt hinaus und ich sinke tiefer in den gemütlichen Ohrensessel. Hm, bequem. Meine Lider klappen zu. Nur ein bisschen dösen, dann ... Absätze klacken. Mühsam öffne ich die Augen wieder.
Heather setzt sich mir gegenüber, eine Schatulle in ihren Händen. „Okay, Mr. Krämer, darf ich Sie John nennen? Dann gewöhnen Sie sich gleich an den Namen, den sie für die Woche benutzen.“ „Selbstverständlich.“ Nervös schaue ich auf das Kästchen, das sie hält.
„Wie ich Ihnen ja bereits am Telefon nahelegte und wie es in unserer Hausordnung festgelegt ist, legen wir großen Wert auf Diskretion und darauf, dass die Anonymität unserer Gäste gewahrt wird.“ Ich nicke zustimmend, schlucke ein paar Mal und sie hebt den Deckel des Etuis.
Es liegen zwei Gegenstände auf dem roten Samt, den einen habe ich erwartet. Einen altmodischen Schlüssel, der vermutlich zu dem Separee gehören wird, in dem ich den mir zugewiesenen Partner treffe. Aber der andere? Leicht konsterniert schaue ich auf das Objekt. Heather bemerkt natürlich sofort, dass ich nicht unbedingt begeistert bin.
„John ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Ich starre noch immer und löse mühsam meinen Blick. Mann, ich benehme mich lächerlich. „Selbstverständlich, Heather. Verzeihen Sie bitte, ich war nur etwas verwirrt. Schreiben Sie es meiner Müdigkeit zu.“
„Nun, John, ich möchte Sie auch gar nicht weiter aufhalten. Also, dies ...“ Sie hebt den Schlüssel hoch, „ist der Zugang zu dem Separee, das sie mit Ihrem Partner teilen. Er hat ebenfalls einen erhalten. Nun zu dem hier“, sie nimmt die schmale schwarze Augenmaske aus der Schatulle und reicht sie mir.
Neugierig streiche ich über das weiche glatte Material, das sich wie Seide anfühlt, aber keine zu sein scheint. „Sie sind verpflichtet, die Maske in allen öffentlichen Bereichen zu tragen. Ausgenommen sind natürlich Ihre Räumlichkeiten und das Separee, wenn Ihr Partner ebenfalls einverstanden ist, sie abzulegen. Der Stoff ist ein Polymergemisch, hautverträglich und Sie können damit sogar schwimmen und tauchen. Darf ich sie Ihnen anlegen oder möchten Sie das selbst tun?“ „Danke, ich mache das.“
Ein bisschen komisch fühle ich mich schon, als ich die Maske überstreife. Hinten sind Druckknöpfe angebracht, die man individuell verschieben kann, bis sie perfekt sitzt und nicht mehr verrutscht. An der mir gegenüberliegenden Wand hängt ein großer Spiegel, ich stehe auf und gehe hinüber.
Zunächst sehe ich einen Fremden, der mir entgegenstarrt, es ist ungewohnt, irgendwie exotisch und ja auch ein bisschen verrucht. Zudem ist es erstaunlich, welche Veränderung so ein Stück Stoff auslöst. Unvermittelt spüre ich ein neues Gefühl von Selbstsicherheit. Niemand hier kennt mich, ich kann völlig unbelastet diesen Urlaub genießen, meine alte Haut für eine Woche abstreifen. Die Vorstellung ist verlockend und mit einem Lächeln drehe ich mich zu Heather um, die mich abwartend ansieht.
„Trés chic, John. Wie ein echter Kavalier in historischen Mantel- und Degenfilmen.“ Amüsement blubbert in mir hoch. „Na ja, ich bezweifle, dass ich in diese Zeit gepasst hätte. Ich bin eher ein Hasenfuß.“
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