Die Pferde werden meistens im Schritt geritten, nur manchmal wird der Trab genutzt. Schon bald nach dem Eindringen in den Wald, halten sie erneut an, ohne ihre Formation zu ändern. Nach kurzer Untersuchung kommen die Anführer zu dem Schluss, dass hier ein erstes Gefecht stattgefunden haben muss. Feuergeschosse der Zauberer haben niedergebranntes Gebüsch und verkohlte Stellen an Bäumen hinterlassen. Ein leichter Geruch nach Verbranntem liegt noch in der Luft, auch wenn der Qualm längst verflogen ist. Neben dem Weg deuten aufgeschüttete Hügel auf hier rasch verscharrte Tote hin. Das erste Aufeinandertreffen hat demnach vielen Kämpfern der Dubharan das Leben gekostet. Robyn weiß, dass unter den Erdhaufen keine Elfen bestattet worden sind, weil sie in einer speziellen Zeremonie zu ihren Ahnen geschickt werden. Ob hier auch Elfen getötet wurden, ist also nicht zu ermitteln. Eine Bestattung sollte nach Elfenbrauch innerhalb von drei Tagen stattfinden, doch wie das gehandhabt wird, wenn eine kriegerische Auseinandersetzung dazu nicht genügend Zeit lässt, weiß sie nicht. Seltsamerweise sind ab hier auf dem Weg keine Wolfsspuren mehr zu erkennen. Sollten alle Wolfskrieger in dem ersten Gefecht getötet worden sein? Sie könnten aber ihre Gestalt als Krieger beibehalten haben, um bei einer neuen Auseinandersetzung sofort gegen die Elfen vorgehen zu können. Robyn schüttelt den Kopf, das ist nicht sehr wahrscheinlich.
Mittlerweile bricht die Dämmerung herein und es wird schwierig, dem Heer der Dubharan zu folgen. Notgedrungen schlagen sie etwas abseits des Weges ihr Lager auf. Es ist zwar nicht anzunehmen, aber die Dubharan könnten eine Nachhut hinter sich herziehen lassen, die den zurückgelegten Weg kontrolliert, um einen Angriff auf ihrer Rückseite frühzeitig zu erkennen. Aus diesem Grund zünden die Verfolger kein Feuer an. Deshalb gibt es für jeden nur trockenes Brot, ein Stück Käse und etwas Wasser. Den krönenden Abschluss bilden Äpfel. Um das Lager stellen sie vier Krieger auf. In Richtung des nun verlassenen Weges beobachten zwei von ihnen die Umgebung. Diese Wachen werden nach jeder Stunde abgelöst.
Robyn vermag lange Zeit nicht einzuschlafen. Kommt morgen der Tag, an dem sie zusammen mit Shane gegen die Feinde antreten wird, die ihr den Bruder und ihm den Vater genommen haben? Obwohl sie keine Angst um sich verspürt, zittert sie doch bei dem Gedanken, ihrem Neffen könnte ein Unheil widerfahren. Sollten die dunklen Magier erneut das geflügelte Untier, den feuerspeienden Drachen, an ihrer Seite haben, werden sie einen schweren Kampf auszufechten haben. Selbst wenn der Lindwurm nicht eingreifen wird, ist die ihnen gegenüberstehende Anzahl der Krieger so groß, dass sie nicht auf einen guten Ausgang des kommenden Tages hoffen können. Als sie endlich einschläft, jagen sich in ihrem Traum ein feuerspeiender Drache und ein Greif. Wer wird den Sieg davontragen?
Connor führt vor Beginn des Ansturms auf die Festungsanlage das Heer, das bis zum Erreichen des Moorgebietes zweigeteilt und getrennt marschiert war, wieder zusammen. Den Pfad durch den Morast findet er ohne Schwierigkeiten durch den ausgezeichneten Geruchssinn der Wölfe, die vorneweg laufen. Der sich oftmals windende Weg ist sehr schmal, darum können die Kämpfer nur hintereinander dieses Gebiet durchqueren. Der oberste Dubharan umgibt sich mit maximalem magischen Schutz, genauso wie Oskar, der bisherige Anführer der Truppe. Sie folgen den grauen Wölfen, die ihre Nasen dicht auf dem Boden halten. Am Ende des Sumpfes, der an großen Felsen endet, steigt eine sanfte, mit magerem Gras bewachsene Ebene zu einer beeindruckenden Burg hinauf. Den Zugang zu dieser Anlage bilden zwei riesige Felsplatten, die sich zueinander neigen und mit ihren oberen Enden berühren. Connor lässt die vierbeinigen Räuber ausschwärmen, die aber nicht zur Burg hinüberlaufen, sondern sich am Rand der Ebene verteilen. Felsen trennen dort das Moorgebiet und den festen Boden. Sollten sich hinter den riesigen Brocken Elfen verbergen, um in ihren Rücken zu gelangen? Connor überlegt nicht lange. Er deutet auf die Wölfe und murmelt einen Zauber. Die Tiere verwandeln sich sofort in die gefürchteten Wolfskrieger, die zwischen die Felsen stürmen wollen. Plötzlich fliegen ihnen Unmengen von Pfeilen entgegen. Der Anführer der Dubharan fordert die nachfolgenden Krieger auf, die versteckten Elfen anzugreifen und aus ihren Stellungen zu vertreiben. Die Aufsicht über diese Aufgabe übergibt er Oskar, dann wendet er sich gegen die Festung. Die nachrückenden Krieger überschwemmen die Ebene und drängen näher zur Burg. Mittlerweile fliegen von dort Pfeile und Steine auf die Angreifer herab. Connor ruft nach den anderen Zauberern und schleudert mit ihnen Feuerkugeln gegen die obere Brüstung. Trotzdem gelingt es nicht, den Beschuss durch die Verteidiger vollständig zu unterbinden. Immer wieder fallen Kämpfer der Dubharan, während ihre Bogenschützen keinen Schaden auf der Gegenseite anrichten.
»Wo befindet sich der Zugang in die Festung?« Connor ist wütend. Auf der Ebene drängen sich seine Krieger mittlerweile dicht an dicht, so dass die Verteidiger mit jedem Schuss oder Steinwurf ein Ziel treffen. »Ich muss den Eingang finden und stürmen lassen!« Mit diesen Gedanken schiebt er sich parallel zur Festung vorwärts, wobei er das Geschrei der Kämpfer nicht beachtet, die von seiner Schutzglocke weggedrückt werden. Während sich Connor unaufhaltsam wie ein Maulwurf durch das Gedränge schiebt, hat Oskar die Elfen aus ihren Stellungen hinter den Felsen vertrieben. Die Verluste auf beiden Seiten sind groß. Keiner der Wolfskrieger hat überlebt und fast ebenso viele der menschlichen Kämpfer liegen neben oder über deren Kadavern, die mit dem Tod wieder zu Wölfen verwandelt wurden. Die Elfen hatten mehr Glück und bahnen sich den Weg zwischen Morast und Felsgestein, um hinter die Burg zu gelangen. Aber auf dem Weg dorthin versinken einige im Sumpf und viele werden verwundet oder doch noch getötet. Als sie endlich die Rückseite der Festung erreichen, drängen sie die wenigen Krieger der Dubharan zurück. Doch als sie zum Tor wollen, werden sie von hinten von Oskar und seinen Kämpfern attackiert, während Connor von der anderen Seite herankommt. Feuerkugeln fliegen auf die Elfen zu. Seltsamerweise halten diese Schilde vor sich, die die magischen Geschosse zurückschleudern. Der Oberste der dunklen Magier staunt. Dass die Elfen Langschilde nutzen, ist schon ungewöhnlich, deren magische Fähigkeit aber noch viel mehr!
»Das gibt es doch nicht!« Connor verpasst dadurch die Gelegenheit, das geöffnete Tor zu stürmen. Er hätte, anstatt verblüfft stillzustehen, den magischen Sprung nutzen und die Verteidiger hinter dem Durchgang erledigen können. Wütend schleudert er einen riesigen Feuerball dem letzten Elf hinterher, der jedoch wirkungslos am schnell geschlossenen Tor abprallt. Das Eichenholz muss über einen Schutzzauber verfügen, sonst wäre es jetzt in Flammen aufgegangen.
Connor tobt und schickt mehrere Feuerkugeln wild in seine Umgebung. Als sich Oskar in seine Nähe wagt, und ihn darauf hinweist, dass er das gesamte Unternehmen gefährdet, will der oberste Dubharan auf ihn losgehen. Sein Gesicht ist wutverzerrt und die Augen schleudern Blitze.
»Du wagst es, mich zurechtzuweisen? Was meinst du, wer du bist? Ich werde dich …« Hier stockt der wutschnaubende Zauberer, blickt kurz auf die Kämpfer, die er mit dem Feuer getötet oder verletzt hat und lässt die erhobene Hand sinken. »Da war ein Feind … der hatte sich …«, beginnt Connor eine Entschuldigung zu stammeln. »Er scheint mittlerweile verschwunden zu sein … vertrieben durch meine …« Ohne eine weitere Erläuterung ruft er alle verfügbaren Magier zu sich. Zwei sind bei den Kämpfen mit den Elfen getötet worden, trotzdem reichen die verbliebenen, die Absicht Connors zu verwirklichen. Sie schicken Feuerbälle zu den Zinnen hinauf und halten sie nun unter Dauerbeschuss. In ihrem Schutz werden Sturmleitern an die hohen Mauern gelehnt, über die hinaufsteigende Kämpfer die Anlage erobern sollen. Der dunkle Magier grinst zuversichtlich. Auch wenn es auf ihrer Seite viele Tote gegeben hat, stehen noch mehr als genug Kämpfer bereit, die Verteidiger zu überwinden. Bei denen scheint es keine, oder jedenfalls keine mächtigen Zauberer zu geben. Sie haben sich lediglich mit Pfeilen und geschleuderten Steinen verteidigt. Vier der Sturmleitern stehen sicher an den Wänden. Der Feuerbeschuss der Magier bewahrt sie davor, von den Verteidigern umgestoßen zu werden. Bis zur halben Höhe sind Connors Krieger bereits auf den Sprossen der Holzstämme gelangt. Er überlegt, ob er zusammen mit den Magiern mittels magischem Sprung auf die Zinnen wechseln soll, um die Kämpfer zu unterstützen, sobald sie oben angelangt sind. Er grübelt, ob das nicht ein zu großes Risiko ist.
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