Für die beiden Mädchen war besonders langweilig, dass die Eltern keinen großen Wert auf Strandurlaub legten. Gisela und Herbert fuhren gern ins Landesinnere, schauten sich die Landschaft, die Dörfer und alte Paläste, Kirchen und Burganlagen an. Ein Horror für die Kinder.
Bei einer der Fahrten kam Familie Kesselmann in die Palmenstadt Elche im Hinterland von Alicante. Dort hörten sie, dass es in der Nähe von Murcia, der Provinzhauptstadt mit Bischofssitz, Thermalbäder geben sollte. Das interessierte Gisela und Herbert sehr. Und so kamen sie das erste Mal in das kleine Thermalbad Banos de Fortuna, welches ungefähr 5 km hinter dem Hauptort Fortuna am Rande einer Bergkette liegt.
Die Landschaft ist staubig, karg, wüstenähnlich, trockener Boden, auf dem Olivenplantagen angelegt wurden. Ansonsten keinerlei Liebreiz.
Fortuna selber bestach durch einfallslose zwei und dreigeschossige, schmutzige Häuser mit einer phantasielosen Architektur - es gab nichts, was einen Touristen reizen könnte. Außer, das Gaspedal durchzutreten und schnell weiterzufahren. Es fehlte jeglicher Charme, der andere spanische Städte mit ihren gut erhaltenen historischen Gebäuden ausmacht.
Im wenig entfernten Flecken “Banos de Fortuna“ mit vielleicht 500 Einwohnern, gab es für Gisela und Herbert aber drei interessante Punkte.
Erstens, ein gut geführter und gepflegter Campingplatz am Ortsrand. Zweitens, das Thermalbad - gut gegen Rheuma - in dessen 38° warmen Wasser schon die römischen Besatzer vor 2000 Jahren gebadet hatten. Und drittens einige alte, gut erhaltene Gebäude einschließlich eines historischen Hotels aus der Zeit um 1900, als das kleine Thermalbad noch viele spanische Kurgäste anlockte und eine kurze Blütezeit erlebte.
Hier fühlten sich Gisela und Herbert auf Anhieb sehr wohl. Die Kinder gaben deutlich zu verstehen, dass es nichts Langweiligeres als ein Thermalbad gibt. Kein Plantschen; Springen vom Beckenrand war verboten und es waren meist nur ältere Menschen im Bad. Das war garnichts für Andrea und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Claudia. Und so fuhren Herbert und Gisela, als die Kinder größer waren, einmal im Jahr allein in das kleine Thermalbad.
Sicherlich - alles war verblichener Glanz. Der Putz fiel teilweise von den stilvollen, historischen Gebäuden, überall blätterte Farbe ab, der Nachholbedarf in und an den Gebäuden und auch an den wenigen Straßen war deutlich erkennbar.
Was Giselas und Herberts Toleranz aber auf eine harte Probe stellte, war der Umstand, dass das Wasser im Becken nur einmal in der Woche umgewälzt und gereinigt wurde.
Wer also am Freitag in das Bad ging, schwamm zwischen Haarbüscheln, Pflastern, Hornhaut und abgeschnittenen Zehennägeln, sodass Kesselmanns nur Montag bis Mittwoch das Bad besuchten. Aber auch da sollte man beim Schwimmen den Mund besser geschlossen zu halten. Und das Wasser tat ihnen sehr gut. Außerdem lernten sie andere, Gleichgesinnte kennen, mit denen es sich wunderbar im Wasser stehen ließ, und mit denen man sich stundenlang unterhalten konnte. So wie die alten Römer es sicherlich auch gemacht hatten.
Denn es gab unterhalb des Bades eine kleine Siedlung von vielleicht zwölf Häusern, welche damals von deutschen Rentnern bewohnt wurden. Die überwinterten in dem trockenen, gesunden Klima und genossen es, auch im Januar im warmen Thermalwasser baden zu können.
Der Nachteil der deutschen Siedlung war allerdings die Tallage.
Nicht nur, dass die Häuser keinen Fernblick hatten. Bei starkem Regen konnte die Kanalisation die große Menge an Wasser nicht verkraften, so dass es zu einem starken Rückstau kam. Meist war ja nur das Grundstück überflutet.
Es hatte aber auch schon Fälle gegeben, wo die Bewohner morgens wach wurden, und neben ihrem Bett schwamm eine Handtasche. Oder das Telefonbuch. Die ganzen Häuser waren dann überschwemmt.
Dieses Risiko wollten Gisela und Herbert allerdings lieber nicht eingehen, sollten sie sich in Fortuna ein Haus kaufen.
Und so reifte bei Gisela und Herbert der Traum, sich in einer Höhenlage von Banos de Fortuna auch ein kleines Häuschen zuzulegen, um später als Rentner mit dem mittlerweile größer gewordenen Bekanntenkreis dem Winter in Deutschland zu entfliehen.
Nach ein paar Jahren hatten beide recht gut Spanisch gelernt und konnten sich auch mit den Einheimischen ganz passabel unterhalten.
Den ersten Kontakt hatten sie zu dem katholischen Pfarrer, einem gemütlichen, wohl beleibten älteren Herrn mit Halbglatze, den sie im Bad getroffen hatten. Über den Pfarrer lernten sie den Bürgermeister kennen, und der stellte ihnen Enrico, einen ortsansässigen Bauunternehmer, vor.
Enrico machte, wie viele Bauunternehmer damals, gerade eine Krise durch. Die Geschäfte liefen bis zur Jahresmitte sehr mäßig und ließen in der zweiten Jahreshälfte nochmal stark nach. Und viele Kunden konnten nicht zahlen.
So auch ein Kunde, der sich ein sehr kleines Ferienhaus am Ortsrand von Banos de Fortuna, etwas oberhalb des Ortes, bauen ließ und nicht bezahlte. Das Grundstück gehörte noch Enrico, sodass er jetzt versuchte, den Rohbau mit Grundstück zu verkaufen.
Für die Ortsansässigen war das Haus viel zu klein. Ein kleiner Flur, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit offener Kochnische auf ungefähr 40 Quadratmetern Fläche. Kein Keller. Auch als Ferienhaus nur mit Einschränkungen geeignet.
Herbert und Gisela verabredeten sich für den nächsten Tag mit Enrico am Rohbau.
Zuerst waren beide etwas enttäuscht. Das Haus war für sie auch viel zu klein, aber die Lage gefiel ihnen sehr gut. Der unverbaubare Blick über den Ort, das Thermalbad, die deutsche Siedlung, die Plantagen, die wüstenähnliche Landschaft und auf die umliegenden Berge bis zum Nachbarort Abanilla war wunderschön.
Und beide konnten sich vorstellen, den kleinen Rohbau in ein gemütliches, spanisches Haus zu verwandeln. Für die Gestaltung des grob planierten, nicht angelegten Grundstücks entwickelten beide sofort kreative Ideen.
Enrico war froh, endlich einen Käufer gefunden zu haben und versprach, mit seinen Handwerkern zum günstigen Preis die Restarbeiten und auch die Erweiterungen durchzuführen.
Der Termin beim Notar war für Herbert und Gisela eine Erfahrung eigener Art.
Ein Grundbuch und Katasterwesen wie in Deutschland, gab es nicht. Die Grundstücksgröße wurde nur als ca. Maß angegeben; das Grundstück war nicht vermessen, einen Lageplan gab es nicht, und es wurde im Kaufvertrag mit seiner Lage nur grob beschrieben. „Von den beiden oberen Olivenbäumen bis zu den östlich gelegenen Weinstöcken und von da bis zu dem angrenzenden Schotterweg“ – jeder Katasterbeamte hätte sich bei dieser Grenzziehung die Haare gerauft.
Gisela und Herbert mussten sich selbst bei der Gemeinde und beim Finanzamt erkundigen, ob noch Schulden auf dem Grundbesitz lagen, für die sie mithaften würden. Eine Auflassungsvormerkung oder ein Notaranderkonto waren vollkommen unbekannt und der Kaufpreis musste beim Notar dem Verkäufer in bar übergeben werden.
Letztlich klappte aber doch alles und sie bekamen die notwendige Escritura; die Eigentumsurkunde, mit der sie als Eigentümer bei Gericht eingetragen werden konnten.
Da Herbert ein Jahr später in Ruhestand gehen wollte, stellte der Ausbau des Hauses eine ideale Rentnerbeschäftigung dar. Bis zur Rente machten Gisela und Herbert einen genauen Plan, wie sie das kleine Haus erweitern und ausbauen wollten, und Gisela entwickelte genaue Vorstellungen über die Gestaltung des wilden Grundstücks.
Das Haus sollte um einen Wintergartenanbau und ein zweites Schlafzimmer erweitert werden, denn Gisela und Herbert hatten sehr unterschiedliche Schlafgewohnheiten.
Herbert stand nachts mehrmals auf, las gerne, ging mindestens dreimal auf die Toilette, schaute fern, beschäftigte sich irgendwie, aß etwas, bis der Schlaf ihn dann doch irgendwann übermannte. Augenzwinkernd hatte Herbert seine Schlafstörungen damit begründet, dass er wahrscheinlich doch von den Lemuren abstammen würde – sehr nachtaktiven Halbaffen. Gisela wollte ihrem Lieblingsgatten da nicht widersprechen. Im Gegensatz zu Herbert schlief sie wie ein Stein, stand dafür aber gern sehr früh auf, um im Haus rumzuwerkeln, schon zu waschen, zu putzen oder aber auch, um morgens bereits zu kochen oder einfach nur, um in Ruhe zu lesen. Was beide aber wieder einte war ihre gemeinsame Leidenschaft für ein ausgiebiges Mittagsschläfchen – in getrennten Zimmern, versteht sich.
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