Hans-Jürgen Kampe - Vatter - es passt schon

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Zwei Kulturen – zwei Geschichten
Am Schluss verbunden in Andalusien
Nabil und Laila, die beiden marokkanischen Romeo und Julia, entfliehen der Armut, Unterdrückung und Perspektivlosigkeit in Marrakesch und suchen ihr Glück in Spanien.
Und die deutsche Familie Thaler, die in Südspanien ein Ferienhaus besitzt, muss sich unfreiwillig mit den Problemen des hilflos gestrandeten jungen marokkanischen Paares auseinandersetzen.
In dem Buch werden zwei ort- und zeitversetzte Geschichten entwickelt, die sich unaufhaltsam aufeinander zubewegen und in einem scheinbar unlösbaren Konflikt enden.
Der Leser wird in ein berührendes, «marokkanisches Märchen» mitgenommen, welches in vielen komischen Situationen ein Spannungsfeld zweier sehr unterschiedlicher Kulturen aufzeigt.

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Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon

Ein marokkanisches Märchen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis Titel HansJürgen Kampe Vatter es passt schon Ein - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Hans-Jürgen Kampe Vatter - es passt schon Ein marokkanisches Märchen Dieses ebook wurde erstellt bei

Marokko – 3 Jahre zuvor

Marburg – in diesem Jahr

Marokko – einige Zeit zuvor

Besuch in Kassel

Marokko – ein Jahr zuvor

Semesterferien in Andalusien

Spanien – einige Monate zuvor

Herbsturlaub in La Herradura

Spanien – bis Jetzt

(Er)Lösung

Epilog

Impressum neobooks

Marokko – 3 Jahre zuvor

Zitat:

"Auch aus Steinen, die Dir in den Weg gelegt werden, kannst Du etwas Schönes bauen."

Erich Kästner

1

Wie so oft hatte Lailas Traum ein Ende genommen, das sie ängstlich aufschrecken ließ. Sie fühlte sich matt, dumpf und ohne jene Leichtigkeit, die jungen Mädchen sonst zu eigen ist.

Der Regen hatte mit langer Zunge den Staub der Straßen und Plätze weggeleckt und tiefe Pfützen hinterlassen. Bereits nachts hatten sich die schwarzen Wolken verzogen, und jetzt tanzten die ersten zaghaften Sonnenstrahlen über die Spitzen des Hohen Atlas. Noch wirkte das majestätische Gebirge wie ein schwarz-grauer Schatten vor dem blass blauen Himmel. Aber schon bald würden die Gipfel glühen und die rote Stadt würde zum Leben erwachen.

Nouria, ihre kleine Schwester, räkelte sich neben Laila, kuschelte sich, um Lailas Wärme aufzunehmen und dünstete den unschuldigen Hauch von schlafenden kleinen Kindern aus.

Laila war wie immer sehr früh wach und lauschte den Geräuschen des Morgens. Draußen fuhr der erste O-Bus quietschend seinen Stromabnehmer hoch. Zwei frisierte Mopeds knatterten röhrend Richtung Innenstadt und vor ihrem Haus zupften die drei Ziegen malmend das wenige verbliebene Gras, das sich dem nächtlichen Regen entgegengestreckt hatte. Fatima, Lailas Mutter, schichtete Reisig in den Lehmofen, das kurz darauf prasselnd ein Feuer nährte.

Mohamed, ihr Vater, wusch sich wie immer nur sehr oberflächlich und unzufrieden knurrend an der einzigen Wasserstelle im Haus, um dann seinen abgewetzten Kaftan überzustreifen, der wie ein Nachthemd fast bis zu den zertretenen Babouches, den hinten runtergedrückten, offenen Lederpantoffeln reichte. Fatima hatte ein Kaffee­gebräu aus Zichorie aufgesetzt und briet Fladen aus Maronenmehl. Beides, die Zichorie, und auch die Ess­kastanien, mussten Lailas Brüder regelmäßig sammeln, damit ihre Mutter, ohne Geld ausgeben zu müssen, die Familie bekochen konnte

Laila bewunderte ihre achtunddreißigjährige Mutter, die ein Wunder an Kreativität, Geduld und Demut war. Die vier Kinder liebten das Maronenbrot, die geschmorten Maronen mit Kürbis aus der braunen, angeschlagenen Ton Tajine und die morgendlichen Fladen mit Dattel- und Feigenmus.

Alle paar Wochen hatte Fatima die Zutaten für einen Maronenkuchen zusammengespart, der die Augen ihrer Kinder zum Leuchten brachte. Lailas Vater aber nahm das Organisationstalent seiner Frau nicht nur stillschweigend als Selbstverständlichkeit zur Kenntnis, sondern fand jeden Tag Gründe, um zu nörgeln, zu schimpfen oder um einen seiner gefürchteten Wutanfälle zu bekommen.

Vor Jahren, als die fast sechzehnjährige Laila noch klein war, herrschte noch eine andere Stimmung in der Familie. Mohamed war freundlicher, geduldiger, hatte Ideen und Tatkraft. Und ab und zu lachte er sogar mit den Kindern, die jedes lobende Wort ihres Vaters dankbar aufsogen.

Der alte Ziegenstall, den er von seinem Vater geerbt hatte, wurde in monatelanger Arbeit mit Lehmziegeln zu einem kleinen Wohnhaus ausgebaut. Primitiv - nur zwei Zimmer und eine Küche - aber am Rande der stark wachsenden Stadt war der kastenförmige Bau doch ein eigenes Nest für die Familie. Der Lehmbau wirkte wie ein gelb/roter Schuh­karton, mit vielen Löchern in den Außenwänden, damit das Mauerwerk Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben konnte. Für die vielen Schwalben in Marrakesch waren die faustgroßen Löcher im Mauerwerk ideal zum Nisten. Ab dem frühen Morgen herrschte ein geschäftiges Hin- und Herflattern der geschickten Mauersegler.

Auch der Fußboden bestand aus gestampftem Lehm, auf den der Vater später Stück für Stück alte, zerbrochene Fliesenreste legte, die er von Baustellen mitgehen ließ. Die bunten Brocken in Blau, Rot, Grün und Gelb mit Resten von Kalligraphien, geometrischen und floralen Mustern auf dem Boden waren für Laila noch das Schönste an ihrem Haus. Wasser konnten sie im Brunnen schöpfen, der auf ihrem Grundstück eine Wasserader anzapfte, die aus dem Atlasgebirge gespeist wurde.

Nur - ein Bad gab es nicht. Vor allem Fatima und ihre beiden Mädchen litten sehr darunter, dass sie im Haus nur über einen Wasseranschluss zur Brunnenpumpe verfügten und außen über ein schlichtes Plumpsklo, welches Mohamed neben dem ehemaligen Stall in einem Wellblech­verschlag untergebracht hatte. Auf eine flache Tonne mit Henkeln wurde ein rohes Brett mit einem Loch gelegt- fertig war der Abtritt. Und mehr brauchte man nicht, herrschte Mohamed seine Familie an.

Alle paar Wochen wurde der Eimer sehr früh morgens heimlich im Gulli der nahen Straße geleert, weil kein Kanal an die Hütte reichte.

Schlimmer als die primitive Toilette waren für Laila und Nouria allerdings die dicken schwarzen Spinnen im Haus. Wegen der Lehmbauweise sammelten sich immer mehr der ekligen Krabbler in den Ecken und an der Decke. Nachts wurde Laila regelmäßig wach durch ein „Plop“, wenn sich die Spinnen von der Zimmerdecke auf ihr Bett fallen ließen, weil sie die Körperwärme der schlafenden Mädchen suchten. Sie hätte schreien können vor Abscheu und Angst, wenn die haarigen, schwarzen Monster über ihre Hände, oder manchmal sogar über ihr Gesicht krabbelten. Es war ein Alptraum für die Mädchen, für den ihr Vater keinerlei Verständnis hatte.

Für den Strom hatte Mohamed eine für alle zufrieden­stellende Lösung gefunden. Weil die Familie im vorderen Haus an der stark befahrenen Ausfallstraße Richtung Agadir zwar Strom, aber kein Wasser hatte, durfte Ajwad, der Nachbar, Wasser aus Mohameds Brunnen entnehmen. Mit einer alten Pumpe, die immer wieder angegossen werden musste, was ein quakendes Krötenpaar zur Freude der Kinder nicht davon abhielt, sich im Brunnen ein Zuhause zu suchen. Und Jamal, Mohameds Vetter dritten Grades, führte als angelernter Elektriker eine nicht genehmigte Strom Außenleitung vom Dach des vorderen Hauses bis zur Wand von Mohameds Behausung, sodass beide Familien den unerhörten Luxus von Strom und Wasser hatten.

Laila musste mit Nouria ein Bett in einem der beiden kleinen Zimmer teilen. Im Nachbarraum genossen ihre beiden Brüder den Vorzug, dass jeder in einem eigenen Bett schlafen durfte.

Und die Eltern verbrachten die Nacht in der Küche. Laila war froh, wenn sie nachts durchschlafen konnte und nicht von dem brünftigen Gestöhne ihres ungepflegten Vaters wach wurde.

Schränke gab es in dem Behelfsheim nicht. Mohamed hatte alte, rostige Nägel, die er in den Gassen der Altstadt gefunden hatte, mit einem Holzscheit in die Wände geschlagen. Das sollte zum Aufhängen der wenigen Kleidung reichen.

Eigentlich hätte Mohamed zufrieden sein können und dankbar, dass die Familie gesund und fleißig war. Fatima hatte eine Putzstelle in einem Restaurant bekommen, wo sie morgens, wenn die Familie aus dem Haus war, drei Stunden die Gaststube, die Küche und die Toiletten reinigte. Immer in der Reihenfolge. Nicht nur, dass Fatima für die wenigen, für sie passenden Arbeitsstunden, fast neunhundert Dirham, ungefähr achtzig Euro, im Monat bar auf die Hand bekam. Vielmehr durfte sie auch ab und zu, wenn der Chef gute Laune hatte, abgelaufene Lebensmittel, fleckiges und eingedrücktes Obst und überreifes Gemüse, vertrocknetes Brot, angeschlagene Teller, Gläser sowie verbogenes Besteck und einmal sogar eine Ton Tajine mit einem Riss in der Glasur mit nach Hause nehmen.

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