Sie ist mit Wyatt, dem Sohn eines reichen Lakotas, befreundet, der uns vor Kurzem einen indianischen Geisterurspruch beschafft hat. Bei Vollmond soll es mit diesem möglich sein, sich magische Kräfte zu verschaffen. So wurden angeblich einst die Urvampire und Werwölfe von Indianerschamanen geschaffen. Wyatts Ururgroßvater konnte sich angeblich in einen Werwolf verwandeln. Vielleicht trage die Zwillinge das Gen noch immer in sich? Das wäre doch abgefahren. Eine alte Überlieferung spricht davon, dass es solche Dämonenwesen in den heiligen Bergen gegeben haben soll. Cassy möchte durch diesen Zauber zu einer unsterblichen Vampirin werden. Vielleicht gibt es dann hier bald eine besonders gefährliche Art, nämlich die Hybriden der Black Hills, wenn sich Cassy und Wyatt miteinander fortpflanzen.
Das wäre neben den Wapiti-Hirschen, die man wieder hier angesiedelt hat, und den Wölfen dann die neueste Attraktion. Das lockt doch Tagesbesucher und Abenteuer-Touristen an.
Ihr neuer Freund besucht zusammen mit seinem Zwillingsbruder seit einem Jahr unsere Klasse. Um Cassy zu beeindrucken, lackiert er sich die Nägel schwarz, lässt sich die Haare sogar wieder lang wachsen, trägt dunkle Klamotten, eine spiegelnde Sonnenbrille. Kürzlich kündigte er an, das Blut von Lex zu trinken, um seine Verwandlung zum Werwolf einzuleiten. Heutzutage findet man das durch die ganzen Fiulme auch noch cool. Wyatt ist verrückt und geradezu psychopathisch veranlagt. Er dürfte einige Jahre älter als wir sein, obwohl er die gleiche Klasse wie wir besucht. Sein Geburtsdatum stimmt irgendwie nicht. Sein Zwillingsbruder heißt Ian. Der ist auch nicht besser, nur stiller. Sie treten zumeist im Doppelpack auf.
Die anderen Jungen unserer Klasse haben Angst vor den beiden und tun gerade deswegen besonders cool. Jeder von ihnen will mit den Zwillingen „befreundet“ sein, denn das verspricht Sicherheit.
Lex, mein bester Kumpel, macht dieses Spiel nicht mit. Er wurde später eingeschult, weil er stotterte. Ich kenne ihn schon seit dem Kindergarten und weinte am ersten Tag dort etwas.
Da kam er zu mir, nahm meine Hand und sagte die schönsten Worte, die ich nach „Mama“ und „Papa“ je gehört hatte.
„KKKKKKeine AAAAngst, iiiiich ppppppasse aaaaaaauf dddddddich aaaaauf!“
Da wusste ich, wenn dieser stotternde Junge hier zurechtkam, dann konnte es nicht so schlimm sein. Er war zudem recht groß und sah vertrauenserweckend aus. Natürlich dachte ich, dass er mich beschützen könnte.
Leider verprügelten die anderen Jungen ihn regelmäßig, weil er sich nicht wehrte. Er war zu nett.
Letztlich war ich es, die ihm dann half, da ich zurückschlug. Ich bin shcließlich zur Hälfte Indianerin.
Dies gab vielleicht auch den Ausschlag, warum ich dann Kung-Fu lernen wollte. An Lex sah ich, dass andere es ausnutzen, wenn man sich nicht wehrt.
In der Schule wurde er noch einmal zurückgestuft, deswegen sind wir inzwischen in der gleichen Klasse.
Heute Morgen hatten die Jungen aus unserer Klasse Lex wieder gehänselt. Deswegen fragte ich ihn bewusst vor allen, ob wir heute zusammen nach der Schule zum Flüsschen gehen. Lex und ich hatten früher manchmal Steine an einer breiten Stelle über die Wasseroberfläche springen lassen. Es war nur ein kleiner Umweg auf dem Weg nach Hause.
„PPPoppp llieber mmmitt michch!“, musste Wyatt natürlich loslassen.
„Popp doch deinen Bruder!“, gab ich die Vorlage zurück.
Alle lachten bei dieser gruseligen Vorstellung.
Wyatt war natürlich sauer, ließ mich jedoch als beste Freundin von Cassy in Ruhe.
„Hexe!“, murmelte er nur auf Lakotisch, wohl wissend, dass ich das verstand.
Nach der Schule gingen wir wie in alten Zeiten tatsächlich zum Fluss. Alex fand dort ein äußerst mystisches Ding. Ich war daran vorbeigegangen, ohne es zu bemerken, obwohl es sehr auffällig war. Es wirkte wie ein übernatürlicher Wirbel, wie etwas aus dem Weltall oder aus den Tiefen der Hölle, jedenfalls kaum zu beschreiben. Lex ließ sich nicht davon abhalten, das Ding auszugraben. Als er es herausziehen wollte und anfasste, passierte etwas. Es sah aus, als klettere eine Luftspiegelung in ihn hinein. Lex zitterte, fiel um und regte sich einfach nicht mehr. Er war tot und hatte mit Sicherheit keinen Puls mehr. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Etwa zwanzig Minuten mussten vergangen sein. Plötzlich nahm ich eine Bewegung bei ihm wahr. Er kehrte buchstäblich aus der Welt der Toten zurück! Keiner kann so lange ohne Herzschlag überleben.
Zuerst freute ich mich riesig. Nun ging es aber los.
Er bezeichnete sich selbst zuerst als Percy. Den krächzte er zudem mit einem ganz komischen alten Akzent. Später, als er meine Zweifel bemerkte, bezeichnete er sich dann aber als Alexander, obwohl alle ihn nur Lex nennen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, er würde mich überhaupt nicht kennen. Wer war das? Als er merkte, dass ich misstrauisch blieb, erzählte er mir jedoch etwas, das nur Lex wirklich wissen konnte. Das verwirrte mich noch mehr.
Als wir dann losgingen, bewegte er die Beine wie jemand, der gerade laufen lernt. Um ihn nicht zu verunsichern, sagte ich nichts dazu und überredete ihn zum Doktor zu gehen. Ich wollte erfahren, was und wer er war. Vielleicht gab es wirklich Untote?
Der Arzt stellte jedoch nichts fest. Mich hielt er dagegen für verrückt, weil ich an seiner Diagnose zweifelte. Da stimmt etwas nicht.
Mama, Schwesterchen und Onkel Schlachter
Mama führte mich in das Innere des neuen Zuhause. Es war ein Haus.
„Ich hoffe, dir geht es inzwischen besser, denn ich bekomme heute Abend noch Besuch“, stellte sie fest und ging vor. Die Behausung hatte mehrere Räume und viele Einrichtungsgegenstände. Einige davon kamen meinem Unterbewusstsein vertraut vor, andere vollkommen fremdartig. Schweiß lief mir vor Aufregung von der Stirn. Hoffentlich bemerkte sie nicht sofort, dass ich ein vollkommen anderer war. So viele Eindrücke prasselten auf mich ein. Wer war ich nur wirklich? Alex auf keinen Fall, obwohl ich mit etwas Mühe auf dessen Erinnerungen zugreifen konnte.
Ein unbekanntes Etwas sprang unter meinen Füßen weg. Es war ein wolliges, haariges Ding und gab knurrende Laute von sich. Die hörten sich zwar bedrohlich an, aber wurden durch die geringe Größe des flauschigen Lebewesen widerum entschärft. Unwillkürlich stieß mein Mund erschreckt Geräusche aus. Es war ein Hund, unser Haustier.
Aus einer Ecke starrte mich zudem ein kleines süßes Menschenwesen an. Das Mädchen war meine Schwester Fiona. Ja, sie wirkte sehr sympathisch.
„Warum krächzt Lex so komisch?“, fragte das kleine Ding erstaunt meine Mutter.
Der Hund sprang inzwischen aufgeregt um uns herum und schaute mich misstrauisch knurrend aus sicherem Abstand an. Er erkannte anscheinend als einziger, dass ich trotz des gleichen Körpers ein anderer war.
„Was ist denn nur mit dir?“ Mama blickte das Tier an.
Ich sagte lieber nichts. Man konnte damit viel falsch machen, das war mir inzwischen klar.
Mama studierte nun doch etwas neugieriger in mein Gesicht und bemühte sich um eine Erklärung: „Bella hat gerade Lex nach Hause gebracht. Er soll so etwas wie einen Hitzschlag haben. Es geht ihm offenbar nicht so gut.“
Etwas irritiert musterte sie mich nochmals von oben bis unten. Sie konnte aber nichts Auffälliges finden. „Lex, geh am besten auf dein Zimmer und erhol dich erst einmal“, schloss sie die Prüfung schuterzuckend ab.
Blair hieß der Hund also.
„Ist Bella jetzt wieder seine Freundin?“ Fiona lächelte seltsam.
Diese Frage löste verborgene Regungen aus. Verschiedenste Gefühle begannen unkontrolliert emporzusteigen. Mein Geist war noch nicht vollkommen Herr über alles Körperliche.
„Das weiß nur Lex“, entgegnete meine Mutter und lachte schelmisch. „Schlecht sieht sie ja nicht aus.“
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