„Ihr folgt dieser Straße bis zum Markt. Von dort zweigen fünf Straßen ab. Ihr nehmt jene, die direkt am Rathaus nach rechts abbiegt. Sie steigt ein wenig an und endet dann in einer Stiege. Wenn ihr diese hinaufgestiegen seid, werdet ihr erneut auf einen Weg treffen. Geht hier nach links und ihr habt die Pension in wenigen Minuten erreicht.“ Der Tuchhändler blickte Michael offen und freundlich ins Gesicht. Man sah, dass es ihm nichts ausmachte, einem Fremden lediglich mit einer Auskunft und nicht mit Waren zu dienen. Michael fragte sich, ob der Händler wohl einen Vorteil von seiner Auskunft zu erwarten hatte. Aber offen fragen wollte er auch nicht.
„Ihr wisst gut Bescheid in der Stadt“, sagte der Gute Träumer und hoffte, den Händler so ein wenig aushorchen zu können.
„Ich muss bekennen, die Pension ‚Zur Quelle‘ gehört meinem Bruder. Ich bin selbst oft dort zu Gast. Aber glaubt mir, ihr könnt es kaum besser treffen als dort.“
„Das glaube ich gern“, antwortete Michael. Er wusste, dass ein halber Taler für eine Nacht und Frühstück wahrlich ein kaum zu unterbietender Preis war. Es tat ihm beinahe Leid, dass er am Ende nur mit einem Traum bezahlen würde. Dieser Tuchhändler sah zwar nicht gerade wie ein Menschenfreund aus, doch war er weitaus freundlicher als die meisten Kaufleute, die Michael kannte.
„Es kommen nur noch selten Fremde nach Asgood, seit der Traumlord das Reich beherrscht. Viele Gasthäuser und Pensionen in der Stadt haben nicht mehr geöffnet. Die Besitzer sind fortgezogen oder haben sich anderweitig verdingt. Ich weiß sogar, dass einer zur Dunklen Garde übergetreten ist.“
Der Tuchhändler schien lange darauf gewartet zu haben, wieder einmal mit einem Menschen zu sprechen, der nicht wie eine weidende Kuh vor sich hin starrte. „Der Traumlord hat mich verschont. Kaufleute verschont er fast immer, solange sie keine aufrührerischen Reden führen. Aber ich liebe den Traumlord nicht. Ich habe ein Geschäft, in dem man viele Träume finden kann. Aber wer will so was heute noch kaufen, frage ich euch?“
„Weshalb erzählt ihr mir das? Ich könnte einer von den Leuten des Traumlords sein.“ Michael versuchte listig dreinzuschauen.
„Nein, die erkennt jeder auf hundert Meter Entfernung. Ich weiß nicht, wer ihr seid, aber zum Traumlord gehört ihr mit Sicherheit nicht. Erzählt mir, was führt euch nach Asgood?“
Michael war sich nicht sicher, ob er diesem Händler trauen konnte. Gewiss, er hatte eine gewinnende Art, schien ehrlich zu sein, und was den Traumlord betraf, zumindest neutral, aber seine Mission war eine gefährliche. Es konnte den Tod bedeuten, wenn er zu schnell dem äußeren Anschein folgte. Andererseits war ein Mensch so gut wie der nächste, wenn er eine Spur des rätselhaften Sterns finden wollte. Michael entschloss sich, einen Zipfel der Wahrheit zu zeigen.
„Ich suche nach einem Gegenstand, den man den Stern von Asgood nennt“, sagte er gemessen. Er rechnete mit dem Schlimmsten und war zu sofortiger Flucht bereit.
Der Händler aber sah sein Gegenüber nur verständnislos an. Offenbar wusste er weder, wo man den Stern von Asgood fand, noch wozu er dienen mochte. Er zuckte hilflos die Schultern und sagte: „Ich habe noch nie von so einem Stern gehört. Wozu braucht ihr ihn?“
Das war eine verdammt gute Frage, fand Michael. Aber er war auch der Meinung, es würde auf alle Fälle besser sein, sie nicht zu beantworten. Natürlich musste er irgendetwas erwidern, sonst würde er diesen Mann vor den Kopf stoßen und sich selbst verdächtig machen.
Michaels Vorsicht mag ein wenig seltsam erscheinen, da die vorangegangenen Abenteuer deutlich zu zeigen schienen, dass der Traumlord sowieso über alle seine Schritte im Reich informiert war, aber die Sachlage war anders. Es war sicherlich wahr, keiner wusste über die Vorgänge im Reich so gut Bescheid wie der Traumlord, aber wie schon gesagt, er war böse doch nicht der Teufel persönlich oder ein düsterer Gott. Einen großen Teil seiner Informationen über die Geschehnisse im Reich erhielt der Traumlord von Spionen, die sich in seinen Dienst begeben hatten, weil er ihren Traum – Geld und Macht – erfüllen konnte. Der Rest seines Wissens fußte auf Deduktion und Intuition, zwei Fähigkeiten, die jedem mächtigen Mann gut zu Gesicht stehen, wenn er seine Macht festigen und erweitern will. Besonders seine Fähigkeit, die Züge des Gegners wie ein guter Schachspieler vorauszusehen, und daraus eine eigene Strategie abzuleiten, war bewundernswert.
Als der Traumlord erfahren hatte, dass sich wieder einmal einer aufgemacht hatte, ihn zu besiegen, war ihm auch sofort klar, dass dieser sich nach Toulux wenden würde, um den Weisen Stephen um Rat zu befragen. Es gab nur wenige Menschen im Land, die um die Möglichkeit ihn, den Traumlord, zu besiegen, wussten. Er selbst kannte nur den Weisen Stephan. Auch der weitere Weg des Guten Träumers war damit vorgezeichnet. Fallen hatte der Traumlord immer dort aufgestellt, wo eine Verteidigung schwierig zu bewerkstelligen war. Den Wald der ewigen Finsternis hätte der Gute Träumer möglicherweise noch umgehen können, aber es hätte ihn zwei Tagesreisen gekostet. Die Brücke über den Askar war die einzige Möglichkeit über den Fluss zu kommen, wenn man nicht schwimmen wollte. Dieses Vorhaben war zur gegebenen Jahreszeit aber kaum zu empfehlen.
Der Gute Träumer wusste, dass der Traumlord ein gut Teil seines Weges verfolgt hatte. Er ahnte, dass es Späher gab, die seiner Fährte wie Hunde folgten. Aber hinter der Brücke mochten sie ihn verloren haben. Der Traumlord wusste, dass da einer unterwegs war, ihn zu vernichten und Michael wusste, dass der Traumlord dies wusste. Aber es gab keinen Grund es jedem zu erzählen, der ihn nach seinen Zielen fragte. Der Traumlord hatte, wie jeder grausame Herrscher, nicht nur Feinde.
„Ein Zauber geht von diesem Stern aus. Er soll heilen können, welche Krankheit man auch immer hat.“ Michael fand, dies war eine gute Begründung.
„Wer hat dir gesagt, dass man in Asgood so etwas findet?“, forschte der Händler weiter. „Ich glaube fast, man hat einen bösen Scherz mit dir getrieben.“
„Ein weiser, alter Mann hat mir von diesem Gegenstand erzählt. Er nannte ihn den Stern von Asgood, und also folgerte ich, dass ich ihn hier finden würde. Morgen werde ich mit der Suche beginnen, aber nun will ich erst zu jener Pension gehen, die ihr mit empfohlen habt. Außerdem habe ich seit mehr als einem Tag nichts mehr gegessen außer Beeren, die ich im Wald fand.“ Michael versuchte den Rückzug anzutreten. Es lag ihm nicht allzu viel daran, noch mehr über sich und seine Ziele zu berichten.
Der Händler bemerkte das. Er war kein Spion des Traumlords. Die Besorgnis des Guten Träumers war unbegründet. Hätte dieser gewusst, dass auch die Frau des Tuchhändlers ihrer Träume beraubt war, und wie sehr der Mann darunter, besondere in den Nächten, litt, er hätte diesem gewiss mehr von seinem Vorhaben erzählt.
Der Händler wollte seinen Kunden, der eigentlich gar keiner war, noch nicht so schnell fortlassen. Seit der Zeit, da der Traumlord die Macht im Reich übernommen hatte, war es öde geworden in seinem Laden. Nur selten verirrte sich jemand herein, und unterhalten konnte man sich mit keinem mehr richtig. Seine Frau saß gewöhnlich apathisch in ihrem Schaukelstuhl und strickte. Sie strikte Schals, die so lang waren, dass kein normaler Mensch sie mehr um den Hals wickeln konnte, denn sie bemerkte nie, wenn es Zeit gewesen wäre, die Arbeit an einem zu beenden und den nächsten zu beginnen. Es war auch unwichtig, denn es gab niemanden, dem sie einen Schal hätte schenken wollen. Sie vergrub sich einfach nur in diese monotone Handarbeit, die Ersatz wurde für ihre geraubten Träume.
„Eine letzte Frage noch“, wandte sich der Händler also an Michael. „Seid ihr wirklich sicher, dass sich dieser Stern von Asgood noch in der Stadt befindet? Dass der weise Mann den Gegenstand so nannte, beweist noch lange nicht, dass er sich auch hier findet. Vielleicht ist er nur hier erschaffen worden und nun in einem fernen, unzugänglichen Winkel des Reiches verborgen.“
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