Uhra hatte, da es immer noch sehr warm war, seine Robe ganz ausgezogen, genoss den Wind auf seiner Haut und sah in seinem Leinenhemd, das er jetzt trug, wie ein Händler oder Gelehrter aus. Nur ein kleiner Anhänger, ein Mond natürlich, musste sein.
Nyander musste seinen Zopf öffnen und die Haare über die Ohren kämmen. Man konnte sehen, dass ihm dies nicht gefiel, denn so sehr er unter seinem Erbe schon leiden musste, es zu verbergen, war trotzdem nicht seine Sache. Aber für seine Freunde und die gute Sache, an die er fest glaubte, würde er sogar durch die Hölle der tausend Klingen gehen. Hoffentlich würde es soweit nicht kommen.
Je näher sie der Stadt kamen, desto voller wurde die Straße. Nicht nur Händler, Karawanen und Bauern mit ihren Waren füllten den Weg, sondern auch viele Personen, zu Fuß, in Gruppen oder einzeln. Die Leute hatten gute Laune, waren laut, vereinzelt vernahmen sie Musik und Gesang.
»Was ist hier los?«, fragte Uhra freundlich.
»Ihr seid nicht von hier, oder?«
»Nein, wir sind Reisende aus Calaman.«
»Ach so, wir feiern heute das Fest der Seidenraupe!«, antwortete ein Reisender.
»Ja«, ergänzte ein anderer, »Heute ist die ganze Gegend auf den Beinen, wir feiern die ganze Nacht!«
Die drei Freunde sahen sich an, überlegten, ob diese Entwicklung gut für sie war oder nicht.
»Wenn viele Menschen da sind, fallen wir weniger auf.«
»Du hast recht, aber wir haben auch keine Chance selber zu sehen, ob uns jemand verfolgt.«
»Und wir werden die beiden«, Uhra deutete mit dem Daumen hinter sich, »wohl erst wieder außerhalb der Stadt sehen, ganz zu schweigen von der Chance, einen Platz für die Nacht zu bekommen!«
»Mist, so habe ich mir das nicht vorgestellt.« Nyander fluchte leise. »Wollen wir gleich außen herum reiten und dort unser Glück auf eine Unterkunft versuchen?«
Gwen antwortete: »Ich weiß nicht genau, aber ich denke wir sollten trotzdem in die Stadt reiten und wenigstens die Nahrung für die Pferde und uns kaufen. Zur Not schlafen wir außerhalb.«
»Wenn die da ein Fest feiern, werden wir vielleicht keinen Händler finden, der uns die Dinge verkauft, die wir benötigen.« »Stimmt, aber einen Tag verlieren, um unsere Vorräte aufzufüllen, können wir uns auch nicht leisten. Dann doch eher die Stadt ganz meiden und weiter reiten!«, meinte die Magierin. »Gut, lass uns auf Hagen und Adderlin warten, dann werden wir gemeinsam weiter ziehen.«
»Ich würde lieber doch in die Stadt, wir müssen nicht vor allem davon laufen. Außerdem haben wir immer noch keine richtige Ahnung, ob uns wirklich einer folgt. Ehe wir dort sind ist es sowieso schon nach der sechsten Stunde. Last uns die Vorräte und die anderen Sachen, die wir noch brauchen kaufen, dann haben wir in den nächsten Tagen erst mal keine Notwendigkeit irgendwo einzukehren oder einzukaufen. Vielleicht verliert sich dadurch unsere Spur besser, als wenn wir jetzt nichts kaufen und als Gruppe in den nächsten Tagen immer wieder auffallen.« »Hm, ist was dran, für mich in Ordnung, also machen wir es so, wie ursprünglich geplant.«
Alle nickten, so zogen sie mit dem Strom der Menschen, die das Fest erleben wollten, in Richtung Stadt. An einen schnellen Ritt war dabei nicht zu denken, etwa eine Stunde dauerte der Weg bis vor die Stadttore, und auch dort gab es tatsächlich einen Stau, so viele Menschen drängten in die Stadt.
»Passt auf eure Börsen auf.« Das war der gutgemeinte Rat des Halbelfen.
Jeder, der in die Stadt hinein wollte, wurde von der Stadtwache kontrolliert. Kritisch fiel der Blick auch auf die drei Reiter.
»He da! Gebt eure Waffen besser ab, heute wird hier gefeiert und wir wollen keinen Ärger.«
»Wir wollen auch keinen.« antwortete die Magierin freundlich, dabei bewegte sie ihre Hände in einer unauffälligen Geste, das dazugehörige Wort der Macht, welches die Illusion vervollständigte, hörte niemand.
»Wir sind harmlose Gäste, wir werden niemandem etwas zuleide tun. Nur feiern und etwas kaufen.«
Der Wachposten, der sie angesprochen hatte, blinzelte, fing dann an zu lächeln und sagte. »Na, dann ist es gut, ich wünsche euch viel Vergnügen.«
»Euch auch, wenn eure Schicht vorüber ist!«
Der Gardist wandte sich bereits anderen Reisenden zu, die drei Reiter waren schon vergessen.
Uhra musste lächeln, wusste er doch um die Wirksamkeit des Zaubers. Nicht viele konnten diesem einfachen, aber doch sehr wirksamen Zauber widerstehen, auch er hatte dies am eigenen Leib erfahren. Nicht Gwen war es gewesen, sondern ein anderer Magier in einer anderen Stadt, der ihm die Lehre erteilte. Er hatte sein ganzes Geld verloren und musste es als Glück ansehen, dass er noch am Leben war. Eine Bande von Halsabschneidern lockte ihn mit Hilfe des Magiers in eine Falle, und nur der pure Zufall schenkte ihm das Leben – Artemesea sei Dank!
Die Hand des Halbelfen löste sich vom Griff seines Dolches, kam unter seinem Hemd wieder hervor. Sie folgten der Hauptstraße wie viele andere, bis zu einem Platz, der üblicherweise für den Verkauf von Vieh diente. Gatter und kleine Ställe zeugten davon. Heute aber war er voll mit Menschen, die sich eine Gruppe von Gauklern anschauten. Akrobatik, Jonglage und Feuerzauber waren zu bestaunen, die Menge war fasziniert, die Darbietung wirklich gut.
Sie wandten sich nach links in eine kleinere Straße, in der Hoffnung, auf eine Herberge zu stoßen. Auf den Pferden hatten sie einen guten Überblick, doch die vielen Menschen, so laut und so dicht gedrängt, machten den Pferden zu schaffen. Uhra musste mit fester Hand und gutem Zureden verhindern, dass sein Pferd durchging, daher sammelte er ein wenig göttliche Kraft, beruhigte sein Reittier.
Alle Gassen und Straßen waren überfüllt. Mehr als zwanzig Minuten brauchten sie, um überhaupt einen Stall zu finden und es kostete die drei Freunde ein kleines Vermögen, die Pferde noch unterstellen zu können, obwohl sie nur für wenige Stunden bleiben wollten, und das auch dem Stallmeister erklärten. Der war nicht überzeugt von der Geschichte, erwartete, dass sie sich erst im Laufe des nächsten Tages, nach dem Fest, wieder blicken lassen würden – also war der volle Preis zu zahlen.
Nyander konnte nur schwer seinen Drang nach etwas Einschüchterung unterdrücken. Uhra legte beruhigend seine Hand auf des Halbelfen Schulter. Als der Stallmeister auch noch von möglichen Dieben und Gesindel sprach, wurde der Griff des Priesters nochmals stärker. Er befürchtete, er müsse einen seiner Banne, die er zur Beruhigung von Patienten einzusetzen pflegte, benutzen, um den Halbelf zu besänftigen. »Lass es gut sein«, sagte er leise. »Er ist es nicht Wert.«
Noch einige Sekunden war die Anspannung in Nyanders Körper zu spüren, bevor er sich abrupt umdrehte, schnell auf die Straße trat und sich zu Gwen gesellte. Die Magierin schaute den Halbelf fragend an, machte er doch eine Miene, als ob er gerade auf einen Bitterling gebissen hätte. Er gab aber keine Antwort und die Magierin fand den Trubel auf der Straße auch spannender, so ließ sie es bei dem Blick. Gemeinsam warteten sie schweigend auf den Priester, mit den Augen die Menge absuchend, die an ihnen vorbeistrebte. Irgendwann wandten sie sich um, um zu schauen, was Uhra aufhielt. Sie sahen, wie Uhra versuchte, den Kasten mit dem Artefakt auf seinen Rücken zu binden. Dieser war nicht eben klein, störte bei jeder Bewegung. Außerdem war er auffällig. Niemand mit etwas Verstand würde zu solch einem Fest, bei der Menschenmenge, mit einer Kiste auf dem Rücken losziehen, auffällig wie ein Leuchtfeuer in dunkler Nacht.
»So kannst du nicht losgehen.« Nyander schüttelte den Kopf. »Wenn wir hier möglichst ungesehen einkaufen wollen, dann nicht so.« Er deutete auf das Kästchen, welches über Uhras linke Schulter schaute.
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