Um keine weitere Zerstörung an meinen Schätzen anzurichten, bat ich meinen Freund alle Beziehungen spielen zu lassen und mithilfe eines Chemikers aus seinem Bekanntenkreis wurden die Einzelblätter wieder irgendwie angefeuchtet und ich konnte sie ganz vorsichtig lesen.
Je schwieriger der Umgang mit dem Papier war, umso mehr interessierte mich das Geschriebene und ich muss sagen, dass nach allem, was ich gelesen habe, die Schreiberin bereits eine sehr emanzipierte Frau gewesen sein muss, was im ausklingenden neunzehnten Jahrhundert bestimmt Seltenheitswert hatte und der jungen Frau sicher nicht nur Ablehnung, sondern auch sehr viel Sympathie eingebracht haben mag. Doch dies kann jeder, der sich für das Leben in vergangenen Tagen interessiert, selbst nachlesen. Ich habe, trotzdem es eine Übersetzung ist, versucht, den sehr einfachen, zum Teil rotzfrechen Sprachstil des zu Anfang noch Kindes einzuarbeiten, was mir, wie ich zugeben muss, nicht immer leicht gefallen und auch nur durch die Hilfe meines ersten Freundes gelungen ist.
Meine Protagonistin nahm in ihren Aufzeichnungen kein Blatt vor den Mund und war manchmal so drastisch in Ihren Schilderungen, dass ich bei „Bettszenen“ rote Ohren bekam und das will schon was heißen, besonders in der heutigen Zeit, wo man schon beim Nachmittagskaffee mit nackten Tatsachen in jeglicher Form konfrontiert wird. Ich habe auf diese Schilderungen nicht verzichtet, weil mich die Selbstverständlichkeit, mit der die junge Frau ihr Liebesleben niedergeschrieben hat, nicht weniger faszinierte, wie alle anderen Alltäglichkeiten und Abenteuer, die ich lesen durfte.
Worauf ich allerdings gerne verzichtet habe, waren die Schilderungen der für heutige Verhältnisse eher unhygienischen, sanitären „Angelegenheiten“. Für unsere modernen Nasen wäre das Leben auf der Ranch wahrscheinlich nicht auszuhalten, das geht los beim damals sehr „modernen“ Plumsklo auf der Ranch, bis hin zu den Löchern beim Viehtrieb oder aber der nur sporadisch gewaschenen Wäsche der Cowboys in einer Waschbütt und vieler anderer Kleinigkeiten, die man mit fortschreitender „Modernisierung des Lebens“ sowieso immer gerne beim Schildern der „guten, alten Zeit“ außen vorlässt.
Was ich allerdings sonst noch aus den Papieren und Unterlagen herausgefunden habe und was sicherlich auch zum besseren Verständnis für das ,,unmögliche Frauenzimmer“ beiträgt, war folgendes:
Die junge Dame wurde am 29. Dezember 1875 in Pennsylvania als Tochter englisch/deutscher Einwanderer geboren. Der Vater war Brite, die Mutter Deutsche und deren Mutter wiederum Französin. Sie blickte also auf internationale Vorfahren zurück, was aber bei Amerikanern keinesfalls unüblich ist.
Irgendwann im Jahre 1888 kam ihr Vater bei einem für damalige Verhältnisse großen Hotelbrand ums Leben. Außer ihm müssen noch eine ganze Reihe weiterer Personen getötet worden, bzw. zu Schaden gekommen sein, denn dieses Unglück war wohl damals eine kleine Sensation. Ihre Mutter konnte sich mit der Tatsache, nun Witwe zu sein, offenbar nicht richtig abfinden, so dass sie zu kränkeln begann und etwa ein dreiviertel Jahr nach ihrem Mann starb.
Sie hinterließ einen erwachsenen Sohn, dessen Aufenthalt keiner kannte und ihre halbwüchsige Tochter. Das Kind war somit Vollwaise. Die elterliche Farm musste verkauft werden und das Mädchen hätte von Rechts wegen in ein Heim gemusst. Doch die Gesetze waren damals noch nicht so streng, eine Verfolgung wegen fehlender Kommunikationsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, zumal war damals ein bald Vierzehnjähriger schon fast erwachsen und so konnte sich meine unbekannte Freundin mit ein wenig List und Tücke einem Heimaufenthalt entziehen.
Leider waren von den ältesten Handschriften nur noch ein paar traurige Reste vorhanden, die trotz chemischer Behandlung bei meiner Berührung dann fast gänzlich den Geist aufgegeben haben.
Hinzu kommt, dass die junge Frau als Kind ihre Aufzeichnungen und Berichte so sprunghaft und ungenau geführt hat, dass ich mit dem Übersetzen und Niederschreiben des Inhalts der Tagebücher erst an einem Punkt einsetze, wo alles etwas geordneter und ruhiger zu werden schien, denn ich wollte meine Phantasie ja nicht überstrapazieren. Also begann ich mich erst mit den etwas geordneteren Blättern und dem ersten Heftchen richtig intensiv zu beschäftigen, wobei ich jedoch versucht habe, die wenigen Fakten, die ich den ersten Zetteln entnehmen konnte, im weiteren Verlauf der Geschichte einzubauen, damit diese nicht gänzlich verloren gehen.
Ich kann rückblickend nur noch sagen, ich habe die junge Frau schon beim Lesen richtig liebgewonnen, so wie eine gute Freundin und beim Schreiben hatte ich dann manchmal das Gefühl, sie wäre bei mir im Zimmer. Ich spürte ihre Anwesenheit so körperlich, dass ich glaubte, zeitweise ihren Atem im Nacken zu spüren, wenn sie mir beim Schreiben über die Schulter sah. Ich fühlte ihre Augen auf mich gerichtet, hörte ein leises, glockenhelles Lachen und wenn mir Seiten fehlten oder mich meine Phantasie im Stich ließ, entstanden Bilder von fotografischer Genauigkeit vor meinen Augen, als würden mir fremde Gedanken förmlich in den Kopf projiziert. Ich weiß, das klingt ziemlich verrückt, aber meine Freundin hatte beim Lesen ganz ähnliche Eindrücke und glaubt seither sogar an Geister, allerdings ohne sich vor ihnen zu fürchten. Und das, wo sie noch vor der Lektüre meines Romans nach Einbruch der Dämmerung um jeden Friedhof einen Riesenbogen gemacht hat. Heute nutzt sie ihn sogar abends als Abkürzung.
Einige von den Geschichten sind sogar verfilmt oder haben als Vorlagen für Romane gedient und das ist kaum erstaunlich, denn eine Frau, die sich mit Politikern und anderen hochrangigen Personen auf guten Fuß zu stellen verstand, die später mit einem Schriftsteller verheiratet war und Kinder und Schwiegerkinder in alle Lebensbereiche entlassen hat, war und ist immer eine Story wert. Was allerdings niemand in den ganzen Jahren getan hat, ist aus ihrem Leben eine Gesamtgeschichte zu schreiben. Vielleicht, weil es eine Mammut-Aufgabe ist.
Die Sonne brennt mit aller Macht vom fast wolkenlosen Himmel auf das trockene Land. Eine Postkutsche mit zwei Kutschern und drei Fahrgästen holpert die staubige Straße entlang. Die Passagiere schlafen trotz der Schaukelei, die Kutscher dösen im Wissen, dass sie sich auf ihre Tiere verlassen können und auch die Pferde sind aufgrund der großen Hitze schon etwas ermattet, dennoch tun sie ihre Pflicht.
Die Fahrgäste sind eine junge Frau, sehr elegant gekleidet, ein ziemlich wohlbeleibter, aber nicht minder eleganter Herr älteren Semesters und ein junger, recht gut aussehender Cowboy.
John Blake, trotz seiner blonden Haare kurz Blacky genannt, arbeitet auf einer großen Ranch in Wyoming. Er hatte geschäftlich etwas für seinen Boss Carpenter in Texas zu erledigen und befindet sich nun auf der Heimreise. Die Arbeit empfand er als gut bezahlten Urlaub, auch wenn die Reise mit der Postkutsche reichlich beschwerlich ist, aber mehrere Tagesritte sind in der Hitze ja auch kein Honigbrot und John genießt das selige Nichtstun, insbesondere, da es nur noch wenige Meilen bis zur Stadt und damit bis zur Arbeit, sind.
Doch die mittägliche Ruhe währt nicht lange, denn urplötzlich kommen sechs maskierte Männer hinter einem kleineren Felsen hervor und schießen wie wild um sich. Man könnte den Eindruck gewinnen, Munition wäre kostenlos irgendwo zu bekommen.
Alle auf und in der Kutsche sind sofort hellwach. Die Kutscher zerren an den Zügeln. Die Pferde, erschreckt von dem plötzlichen Lärm scheuen kurz, bleiben dann aber gehorsam stehen.
Die Passagiere werden mit vorgehaltenen Waffen gezwungen auszusteigen, ihre Taschen zu öffnen und alle Wertsachen herauszurücken.
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