Sicherheit nicht nur das Autofahren unmöglich machte. Es wurden
Fahrgemeinschaften ausgemacht und Michaels Frau, deren Namen ich noch
nicht einmal wusste, bot mir an mich mitzunehmen. Es läge ja auf dem
Weg.
Wie geistesabwesend konnte ich meine Zustimmung nur mit einem Kopfnicken
geben, ließ mich zu ihrem Auto bugsieren und stieg ein. Jörg war
ebenfalls mit in der Runde, als wir losfuhren. Immer wenn ich von der
Rücksitzbank in den Spiegel schaute trafen uns unsere Blicke. Im
Nachhinein war mir völlig schleierhaft, wie man so überhaupt fahren
kann. Doch während der Fahrt marterten völlig andere Dinge mein Hirn.
An meiner Wohnung angekommen verabschiedete sie sich von mir persönlich,
indem sie ausstieg. Wir gaben uns die Hand, ich bedankte mich stotternd
wie ein Pennäler, so gut ich konnte, während sie meine Hand scheinbar
gar nicht mehr loslassen wollte. Am liebsten hätte ich sie an mich
gerissen, ihre vollen, feucht schimmernden Lippen an die meinen
gepresst und... Es bereitete körperlichen Schmerz sie loszulassen, mich
abzuwenden und zum Hauseingang zu gehen. "Bis bald", hörte ich sie
sagen und als ich mich zu einer Antwort umdrehte, fiel bereits die
Autotür ins Schloss und ich fühlte ihren brennenden Blick über meinen
Körper streichen.
In dieser Nacht hatte ich die wildesten Träume seit langem- und nicht
nur in dieser. Nach einigen Wochen hatte sich mein Gefühlsleben wieder
normalisiert weil mir klar geworden war, dass mich der Alkohol und die
Weihnachtsstimmung da auf ein Achterbahngleis geworfen hatten, auf das
ich schlichtweg nicht vorbereitet war. Eine Zeitlang hatte ich auf
ihren Anruf gewartet, dann gehofft und dann den Abend als das abgehakt,
was er war. Die kranken, durch Alkohol los galoppierenden
Singlephantasien. Michael war seit gestern in den USA als er mich
anrief. Das war selten genug, doch kam es hin und wieder vor. "Henrik,
du musst mir aus der Patsche helfen. Ich habe den falschen Stick
mitgenommen. Ich brauche die technischen Daten die noch auf meiner
Workstation daheim sind. Du musst..." Er erklärte mir ausführlich wo
ich die Daten finden würde, welche Passagen mit welchen Details noch
aufbereitet werden müssen und wem ich sie in der Firma geben muss,
damit sie sicher verschlüsselt zu ihm übertragen werden können. Seine
Frau Gabi, aha Gabi hieß sie also, würde extra ihren Urlaub
unterbrechen, damit ich an die Daten komme. Sie müsste heute Abend
wieder da sein, ich soll vorher anrufen usw. usw. Er erklärte mir
umständlich und weitschweifig in höchster Dramaturgie alle technischen
Details, die ich vorher für ihn ausgearbeitet und aufbereitet hatte;
über wie, wo und was und vor allem dass er die Daten morgen unbedingt
brauche. "Um die Firma zu retten" wollte ich hinzufügen, verkniff es
mir jedoch. Stattdessen bliesen seine Instruktionen vom Telefonhörer
zum einen Ohr rein um spurlos das andere wieder zu verlassen. Ein
zyklisches "ja" oder "hm" waren nach langer Erfahrung die optimalen
Kommentare, um einerseits die Instruktionen auf ein Minimum zu
reduzieren und andererseits unnötige Diskussionen zu vermeiden. Mir
blieb hängen, dass sein PC selbstverständlich Passwortgeschützt ist
und nur Gabi das Gerät hochfahren könne.
Also gut, um 17:00 Uhr rief ich Gabi an. Sie war da. Am Telefon
erkannte sie mich anscheinend nicht wieder, oder hatte mich bereits
unter nerviger Kollege meines Mannes abgelegt, jedenfalls bedeutete sie
mir in recht frostigem Ton, dass ich frühestens um 20:00Uhr erscheinen
bräuchte, da sie sich erst von den Unbilden der hektischen Rückreise
erholen und sich fassen müsse. 20:05 Uhr ist nach 20:00Uhr darum
beschloss ich auf keinen Fall früher da zu sein. Nach der Ansprache am
Telefon hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust dorthin zu gehen.
Vergessen waren die Weihnachtsfeier, heiße Blicke und glühende
Innereien. Michael zu liebe setzte ich mich dann doch um 20:30 Uhr in
Bewegung und stand um 21:00 Uhr widerwillig vor Michaels Haus. Als
Kollege konnte er solange nett und liebenswert sein, wie man nicht
seinem Team angehörte. Das war bei mir bisher der Fall. Zusammenarbeit
in seinem Team war für mich undenkbar.
Nach dem Klingeln dauerte es eine geraume Zeit bis sich im Haus etwas
regte. Ich wollte schon fast wieder gehen, ich hatte einfach nicht die
geringste Lust, mich den zickigen Laune der Diva unterzuordnen,
beziehungsweise wann sie mir die Gnade zuteilwerden lassen wollte, denn
endlich Hof zu halten. Ihre unwillige Stimme schnarrte durch die
Türsprechanlage und der Türöffner surrte, nachdem ich mich als Michaels
Kollege vorgestellt hatte. Sie öffnete und konnte mich nicht gleich
erkennen. Das Licht fiel ungünstig. Sie trug einen eleganten,
hochgeschlossenen Hausanzug, hatte einen genervten Gesichtsausdruck und
bat mich unwillig näher zu treten. Dann in der Tür hellte sich ihre
Mine schlagartig auf, als sie mich wiedererkannte. "Ach sie sind
Hendrik Holberg, Entschuldigung, hätte ich das gewusst, hätten sie
selbstverständlich schon früher kommen können. Michael sprach von
irgendeinem Kollegen, er wusste nicht wen er erreichen könnte und ich
habe überhaupt nicht mit ihnen gerechnet".
Da war er wieder dieser bohrende Blick, der mich regelrecht zu röntgen
schien und mich vor allem wahnsinnig nervös machte. "Kommen sie, - in
Michaels Arbeitszimmer, dort steht sein "Altar". Ichfolgte ihr wie in
Trance, völlig betört von ihrer Erscheinung und dem schweren Parfüm,
das im Raum lag. Sie schaltete das Gerät ein, tippte das Passwort, das
wie vermutet unter die Tastatur geschrieben stand ein und bot mir an
Platz zu nehmen, um meine Arbeit aufzunehmen.
Sie sah mir von der Seite zu, sodass ich mich kaum auf meinen Job
konzentrieren konnte. Plötzlich schlug sie sich mit der flachen Hand an
die Stirn. "Mein Gott, was bin ich nur für eine Gastgeberin. Wenn sie
schon ihre Freizeit durch die Schusseligkeit meines Mannes hier mit
seiner Frau an einem Computer verbringen müssen, dann sollte ich dies
doch wenigstens so angenehm wie möglich machen. Was darf ich ihnen denn
anbieten, ein Gläschen Champagner, Saft, Wasser, Kaffee"? "Ähm, bitte
ein Glas Wasser, ich glaube bei Champagner könnten die Ergebnisse in
Mitleidenschaft gezogen werden" und bei Kaffee flippt mein Puls
endgültig aus, dachte ich bei mir und schluckte es ungesagt runter.
Wieder dieser Blick! Ich hörte sie in der Küche hantieren und versuchte
mich krampfhaft auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Schon bald darauf kam sie mit einem Tablett zurück. "Das Wasser ist
leider ausgegangen, aber ich denke ein kleines Gläschen Champus schadet
sicher nicht. Das meiste darin ist doch auch Wasser". Sie reichte mir
das Glas. Dabei berührten sich unsere Finger, rein zufällig? Jedenfalls
schoss ein glühender Strahl durch meine Venen, schlagartig stand mir
der Schweiß auf der Stirn. Wir prosteten einander zu. "Ich heiße
übrigens Gabi. Ich weiß, eigentlich schickt es sich nicht für die
Dame das du anzubieten, doch wo ihr doch Kollegen seid und euch alle
duzt, denke ich ist es so einfacher". "Hendrik," stammelte ich. "Jetzt
müssen wir uns küssen" hauchte sie mir ins Ohr und sogleich einen
flüchtigen Kuss auf meine Wange.
Herr im Himmel, mein Gesicht brannte wie Feuer, mein Kopf dröhnte, in
mir brach Panik aus. Das ist Michaels Frau, wenn das so weiter geht
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