1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Sie aßen zunächst ihren Kuchen auf, bevor die Frau sie fragte, was denn das für besondere Fragen wären, die sie hätten und die Beamten rückten mit der zum x-ten Male gestellten Frage heraus:
„Haben Sie nicht etwas gesehen, was mit dem Mord in Verbindung gebracht werden kann?“ Die Frau reagierte nicht gerade erbost auf diese Frage, war aber auch nicht gerade erfreut, nun doch die alte Leier serviert zu bekommen. Die Polizisten verwiesen darauf, dass sie doch schließlich dem Fundort der Leiche genau gegenüber wohnte, also auch etwas gesehen haben könnte. Die Frau blieb ganz ruhig und merkte an:
„Ich habe diese Frage schon mindestens zehnmal beantwortet, ich kann doch nicht irgendetwas erfinden, was ich in Wirklichkeit gar nicht gesehen habe!“ Die Kommissare merkten der gelangweilten Stimmlage der Frau an, dass sie besser gingen, bevor sie am Ende noch hinausgeworfen würden, bedankten sich für Kaffee und Kuchen und verabschiedeten sich wieder. Sie kamen sich in diesem Moment vor wie Bettler, die um eine milde Gabe flehten, sie mochten bei solchen Gelegenheiten ihren Beruf nicht besonders, weil sie zu passiven Empfängern von Gnadenakten ihrer Gegenüber wurden. Sie gingen eine Haustür weiter und kamen an das Nachbarhaus, das exakt so gehalten war wie das Haus zuvor, es unterschied sich nur in der Haustür, die irgendwann einmal ausgetauscht und durch eine Kunststofftür ersetzt worden war.
Sie schellten und wieder öffnete ihnen eine alte Dame, vermutlich waren die Männer tot und die Frauen lebten ein zufriedenes Leben, solange es ihnen körperlich gut ging, finanziell waren sie durch die Witwenrente abgesichert, die zwar nicht besonders üppig ausfiel, sparsamen Menschen aber, die sie waren, zum Leben reichte, das Haus war ja in der Regel längst abbezahlt. Die Beamten stellten sich vor und wurden von der Frau, die vielleicht fünfundsiebzig Jahre alt war, hereingebeten. Sie sagten gleich, dass sie wüssten, dass der Frau die Frage, die sie ihr stellen wollten, schon mehrere Male vorlegt worden wäre. Trotzdem wollten sie von ihr wissen, ob sie nicht etwas bemerkt hätte, was den Mord an Birte Schoemaker betraf. Die Frau antwortete zum Erstaunen der Beamten:
„Mir hat in diesem Zusammenhang noch niemand eine Frage gestellt, ich kann mir das auch nicht erklären, aber bei mir hat noch nie jemand deswegen geschellt.“ KHK Leber starrte KOK Meissner an und er fragte die Frau direkt:
„Haben Sie etwas gesehen?“ Sie machte eine kleine Überlegenspause, bevor sie sagte:
„Ich habe durch Zufall aus dem Fenster im ersten Stock geschaut und in der Dämmerung kaum etwas wahrgenommen, dennoch habe ich jemandem bemerkt, der etwas Großes zum Busch auf dem Platz zerrte.“ Die Polizisten wurden sofort hellhörig und fragten nach, KOK Meissner begann, sich Notizen zu machen, er fragte die Frau:
„Können Sie nicht genauer sagen, was sie gesehen haben?“ Die Frau antwortete:
„Ich habe ja schon bemerkt, dass die Dämmerung stark eingesetzt hat und man kaum etwas hat erkennen können.“
„Hat es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt?“, fragte KOK Meissner nach und die Frau sagte mit absoluter Bestimmtheit:
„Es ist ein Mann gewesen, den ich gesehen habe, das habe ich an der Art erkannt wie er sich bewegt hat, außerdem hat doch eine Frau kaum das große Etwas zum Busch schleppen können!“
„Können Sie den Mann nicht beschreiben?“, insistierte der Beamte und die Frau überlegte lange, bevor sie antwortete:
„Ich glaube, dass der Mann einen grauen Kittel getragen hat, ich kann mich da aber auch täuschen!“
„Haben Sie ein Auto erkannt?“, fragten die Polizisten nach, aber da musste die Frau passen:
„Er ist sicher mit einem Wagen gekommen, den hat er aber für mich nicht sichtbar abgestellt. Er hat sein Bündel am Busch abgelegt und ist gleich wieder gegangen, heute weiß ich, dass es sich bei dem Bündel um das Mordopfer Birte Schoemaker gehandelt hat.“ Die Kommissare dankten der Frau über alle Maßen für ihre wichtige Aussage und baten sie:
„Fahren Sie doch mit uns zur Polizeiinspektion, damit wir dort Ihre Aussage protokollieren können.“ Da erhob die Frau aber schärfsten Protest:
„Ich will unbedingt noch zum Markt, und wenn ich mit Ihnen führe und gegen Mittag zurück wäre, würde der Markt gerade schließen. Kann ich nicht um 13.00 h kommen?“, fragte sie und KHK Leber sagte, dass er um 13.00 h bei ihr wäre und sie abholte. Die Beamten standen auf, und wenn ihnen die Frau nicht fremd gewesen wäre, hätten sie sie umarmt, so erfreut waren sie über deren Aussage. Sie bedankten sich noch einmal auf das Herzlichste und verließen das Haus ihrer wichtigen Zeugin wieder. Sie schellten noch bei zwei weiteren Anwohnern, bekamen aber dort keine brauchbaren Auskünfte. Am späten Vormittag fuhren sie zur Polizeiinspektion zurück und ließen sich dort noch einmal durch den Kopf gehen, was ihnen die alte Dame gesagt hatte. Dass es sich bei dem Mörder um einen Mann handeln musste, war ihnen im Grunde von Anfang an klar, dass er möglicherweise eine grauen Kittel trug, nicht. Sie mussten beide an den Platzwart denken, der vielleicht gelegentlich bei seiner Arbeit einen grauen Kittel trug, das müssten sie herausbekommen und fuhren umgehend nach Asberg raus, wo sie den Platzwart zur Rede stellten, aber der konnte glaubhaft versichern, nie eine grauen Kittel besessen zu haben. Die Beamten fuhren daraufhin wieder zurück und gingen in die Mittagspause, sie liefen gleich zur Kantine hoch.
Es gab an diesem Tag Schweinebraten mit Kartoffeln und Rotkohl, die Polizisten hatten mächtigen Hunger und nahmen jeder zweimal. Die Kantine war voll, vermutlich mundete das Tagesgericht vielen, das Essen war aber eigentlich durchgängig sehr akzeptabel. Um 12.45 h fuhr KHK Leber zum Klever Platz und schellte bei der Hauptzeugin, die ihm gleich öffnete und von ihrem Besuch auf dem Wochenmarkt erzählte. Sie redete gar nicht von ihren Einkäufen, sondern nur darüber, dass sie viele Bekannte getroffen und sich mit ihnen unterhalten hätte.
„Ich halte mich immer ungefähr eine Stunde lang auf dem Markt auf und rede mit meinen Bekannten über alles Mögliche, so erfahre ich immer das Allerneuste, insbesondere interessiert mich, wer von den alten Bekannten gestorben ist.“ Die alte Dame zog sich ihre Schuhe an und warf eine Jacke über, anschließend folgte sie KHK Leber nach draußen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass auch ihre Schlüssel in ihrer Jackentasche waren. Auf der Polizeiinspektion hatte KOK Meissner alles vorbereitet, das hieß, dass er ein Aufnahmegerät postiert und für die Zeugin einen weiteren Stuhl an ihre Schreibtische gestellt hatte. Sie sagte:
„Ich muss im Anschluss ins St.-Josefs-Krankenhaus gehen und jemanden dort besuchen, der mit Leberkrebs eingeliefert worden ist und auf der Inneren liegt.“
„Möchten Sie eine Tasse Kaffee trinken?“, fragte KHK Leber seine Zeugin, aber sie lehnte dankend ab:
„Zuviel Kaffee ist für meine Pumpe nicht gut“, wie sie sich ausdrückte, sodass die Beamten gleich mit der Befragung begannen. KOK Meissner schaltete das Aufnahmegerät ein und KHK Leber stellte der Frau die gleichen Fragen wie am Vormittag bei ihr zu Hause. Wieder erzählte die Frau von ihrer Beobachtung, wieder sagte sie, dass sie glaubte, einen Mann im grauen Kittel gesehen zu haben, der ein großes Bündel unter den Busch auf dem Klever Platz gelegt hätte. Die Beamten dankten ihr noch einmal für ihre Hilfsbereitschaft und KHK Leber gab der Frau seine Karte, sie sollte ihn anrufen, wenn sie ihren Krankenbesuch beendet hätte, er führe sie dann wieder nach Hause. Als die alte Dame gegangen war, sagte er:
„Ihre Aussage hat uns einen großen Schritt weitergebracht!“ Auch wenn sie sich nicht auf den grauen Kittel festlegen konnte, ein grauer Kittel war in der Dämmerung auch sehr schwer auszumachen, sie hatten aber immerhin eine Zeugenaussage und die Bestätigung ihrer Annahme, dass es sich bei dem Mörder um einen Mann gehandelt hatte. Sie tranken beide eine Tasse Kaffee und fuhren danach mit den Dienstfahrrädern in die Stadt, sie fuhren zur Grafschafter Passage, stellten ihre Räder davor und schlossen sie gut ab. Sie hatten noch etwas Zeit, bis sie zur Röhre mussten und schauten sich bei Saturn Flachbildfernseher an, KHK Leber interessierte sich für einen, nachdem sein uraltes Röhrengerät kaputtgegangen war und eine Reparatur nicht mehr lohnte.
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