„Die Wiege
Wer ist der kleine Sklave, der in Banden / Aus diesem frühen Sarge Klagen weint? – / Mein Bruder? Brüder, o, so löset seine Banden, / Macht seinen Seufzern Platz! die hemmt kein Feind. / Der Wurm kann sich im Tode krümmen, winden, / Das Lamm fleht seinen Mörder an; / Und einen, Euren Säugling laßt Ihr binden, / Kaum daß er seufzen kann!
O Weltankömmling, Deinen zarten Händen / Prägt dieses Band elende Knechtschaft ein; / Um Deinen Gang von Sarg zu Sarg zu enden, / Mußt Du der Sklaven ew'ger Sklave sein. / Dies Trauerlied war's, das im Weben / Die Parze{68} Deinem Schicksal sang, / Da sie Dein Band zum Leben / Als Kette um Dich schlang. / […]
Dann pocht Dein Herz, daß, die auf Erden wohnen, / Zu Staub geboren sind, zu Finsterniß. / Vielleicht erdrückte Dir Gedankenmillionen / Der erste Griff, der Dich zum Lichte riß; / Der erste Zug aus Mutterbrüsten / Gab Dir vielleicht ein Maaß von Pein, / Von tausend schwarzen Lüsten / Und Gift und Lastern ein;
Nein, Säugling, Tränk in Deine Säfte, / Ruh in Dein Herz und Seele ins Gehirn. / Stets laben Dich mit Milch der Tugend Kräfte; / Stets lache so, wie jetzo, Deine Stirn; / Nie sprech' Dein Vater aus Erbarmen / Dir zu: »O Sohn, hätt' ich Dich nicht gezeugt!«“ (Herder, Gedichte, S. 432ff)
Todesurteil, lebenslanges,
Walser, Martin
Auf einen der eklatantesten Fälle von Elternschuldblindheit stoßen wir in Sartres „Das Sein und das Nichts“. Denn Sartre zufolge ist der Mensch zwar zur Freiheit verurteilt, aber Sartre ist blind dafür, dass ein jeder von seinen Eltern zu dieser „Freiheit“ verurteilt wurde. Statt von Elternschuld zu reden, geht Sartre so weit, zu sagen, dass der zur Freiheit verurteilte Mensch „das Gewicht der gesamten Welt auf seinen Schultern trägt: er ist für die Welt und für sich selbst als Seinsweise verantwortlich.“ (Das Sein und das Nichts, S. 950) Und es sei „ die Eigenart der menschlichen Realität, dass sie ohne Entschuldigung ist“. (A.a.O., S. 952) Wer in einen Krieg „gerät“ sei gar selbst daran Schuld, da er sich ja mittels Suizid dem Geschehen entziehen könne. Wir werten dies als
Suizidzynismus und fragen: Wie konnte Sartre darüber hinwegsehen, dass Menschen nicht selbstverursacht sind – keine uranfänglichen Produkte ihrer Freiheit, sondern der Lebensbeginn eines jeden dem Tun oder Unterlassen der eigenen Eltern unterlag?
Eine Kritik gängigen und aus grenzenloser Selbstüberschätzung geborenen Elternselbstlobs findet sich mustergültig in Wedekind (1864–1918) „Frühlings Erwachen“:
„Eltern sehen wir Kinder in die Welt setzen, um ihnen zurufen zu können: Wie glücklich ihr seid, solche Eltern zu haben! – und sehen die Kinder hingehn und desgleichen tun.“ (Wedekind, Frühlings Erwachen, Bd. 1, S. 161)
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