Gegen Shanas Erwartungen war ihr Vater nicht nur einverstanden, er fand die Idee von Mr. Hudgie sogar brillant. Sein sonderbares Verhalten machte Shana skeptisch. „Natürlich darfst du gehen! So eine fantastische Möglichkeit bietet sich sicher nicht so schnell noch mal!“ Er hielt kurz inne, um ihr frischen Orangensaft einzuschenken. „Ein Schulausflug, bei dem man seine Talente fördert und auch noch die Möglichkeit hat Freundschaften zu knüpfen, ist doch Klasse! Und das Wolfsdorf ist wirklich atemberaubend schön! Vor allem, wenn das Ookamifest naht, oh ich beneide dich meine Kleine!“ Fuhr er mit seiner Rede fort. Was ist denn hier kaputt? „Wer bist du und was hast du mit meinem Dad gemacht?“ Mit gerunzelter Stirn nahm sie das Glas an und Luca verfiel in ausgelassenes Gelächter.So positiv hatte sie ihren Vater noch nie über irgendeinen Schulausflug reden hören, nicht mal, wenn er wenige Stunden dauerte. „Ich habe einfach einen guten Tag. Außerdem halte ich das wirklich für eine gute Idee. Natürlich könnte ich es dir auch einfach verbieten. Und wäre es nur um seine Autorität auszuspielen. “ Keine Sekunde zweifelte sie daran, dass er es tun würde. Bloß nicht! „Nein, nein schon gut. Ich komm schon zurecht.“ Winkte sie ab. Bring ihn bloß nicht auf falsche Gedanken! Sonst kannst du dir deinen ersten Ausflug mit Übernachtung in die Haare schmieren! Mit stolzer Brust verkroch Luca sich wieder hinter seinem großen Schreibtisch. „Das ist meine Tochter! Aber wehe du vergisst mir was mitzubringen, ich möchte unbedingt ein Souvenir vom Wolfsdorf!“ Jetzt macht er mir aber wirklich Angst! „Ist gut.“ Sie wollte gerade die Türe seines Arbeitszimmers schließen, als er sie noch einmal zu sich rief. „Ach und Shana?“ Verwirrt öffnete sie wieder. „Ja?“ „Hab viel Spaß, ja?“ „Danke Dad, das werde ich.“ Versprach sie und trabte grinsend davon.
Montagmorgen waren alle Schüler bereits mit Sack und Pack im Kleinbus verstaut, als Mr. Hudgie schweißgebadet eintraf. Schnaubend setzte er sich neben den Fahrer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ey, Mr. Hudgie wo waren Sie?“ brüllte Tobi quer durch den Bus. Ziemlich fertig drehte sich der Schulleiter um und wedelte sich mit der Hand Luft zu. „Tut mir wirklich leid! Es gab ein paar Komplikationen.“ „Also haben sie mal wieder verschlafen?“ Jennas Grinsen verriet Shana, dass es nicht das erste Mal gewesen sein musste. Und dem Gegröle zur Urteilen war das ein offenes Geheimnis. Selbst Mr. Hudgie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„So kann man´s natürlich auch nennen.“ Noch etwas durch den Wind setzte er sich auf die vorderste Sitzbank und gab dem Fahrer das Zeichen zum Aufbruch. Los geht’s! Ich frage mich wie es dort sein wird. In Gedanken versunken schaute sie aus dem Fenster.
Elliot, Charlotte und die Zwillinge spielten Karten, Gabriel hörte Musik und Shana und die Anderen unterhielten sich. Nach sechs Stunden Busfahrt waren sie endlich am Ziel. Das Wolfsdorf lag hinter einer ziemlich maroden Brücke am Fuße eines riesigen Berges. Der Berg war fast vollständig mit Bäumen bedeckt, nur ein paar Schluchten und Aussichtsplattformen stachen aus dem Grünen hervor. Das ganze Dorf lag in einem Tal und war umringt von verschieden großen Bergen. Shana hatte noch nie so viel unberührte Natur gesehen. Elden war zwar eine Kleinstadt aber dort war viel Beton, Straßen und noch mehr Menschen soweit das Auge reichte. Eine Wiese oder einen Wald dessen Ausmaßes gab es dort nur in Wanderzeitschriften. Man konnte schon froh sein, wenn man ab und an einen kleinen Park zu Gesicht bekam. Sodom war im Vergleich zu Elden ein Vorort mit vielen freistehenden Häusern und genau so viel Grün. Das Wolfsdorf hingegen machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Shana hatte das Gefühl, als wäre sie in der Zeit zurückgereist. Es gab keine Einkaufsmeilen und die Häuser wurden noch aus Holz gebaut. Selbst die Straße war nicht geteert und es gab auch keine Autos. Nur die Touristenbusse hielten dort kurz, um die Passagiere aussteigen zu lassen. Danach verschwanden sie auch wieder in Richtung Autobahn. An einem kleinen Holzhaus war auch für Shana und die Anderen die Reise beendet. „Alle Mann bitte aussteigen! Den Rest gehen wir zu Fuß!“ Die sonst so leise Stimme des Schulleiters füllte plötzlich den Bus. Shana fragte sich, welcher Art Mr. Hudgie wohl angehörte. „Zu Fuß? Wo müssen wir denn noch hin?“
Angewidert von der Idee zu Fuß gehen zu müssen rümpfte Charlotte ihre kleine Stupsnase. „Dort zum Tempel. Kommt, es ist nicht so weit wie es aussieht.“ Das war eine Lüge. Der Tempel lag auf einem Berg, der hinter dem Holzhaus aus der Erde ragte. Auf der Hälfte des Weges machten die Mädchen schon schlapp. Damon trug mittlerweile zusätzlich Shanas und Jennas Koffer. Rob und Tobi übernahmen die Koffer von Elliot und Charlotte. Chris trug Amys Koffer und Gabriel trug wundersamer Weise Lauras Koffer. Und Laura. Sie war bereits nach ein paar Minuten schon so fertig, dass sie ihren Koffer abstellte und sich auf einen der Treppenstufen hinlegte und schlief. Keiner bekam sie wach. Kurzerhand packte Gabriel sie, nahm ihren und seinen Koffer in die linke Hand und ging weiter. Er trug Laura dabei wie einen Mehlsack auf seiner Schulter. Erstaunt über sein Handeln schauten ihn die Anderen fassungslos hinterher. Nach kurzer Zeit lösten sie sich von ihrer Starre und trabten weiter Richtung Tempel.
Oben angekommen waren alle fix und fertig. Alle außer Gabriel. Er war weder außer Atem, noch sah man auch nur eine einzige Schweißperle auf seiner Stirn. Nun stellte er die Koffer ab und hielt sie wie ein schlafendes Kleinkind im Arm. Aus dem Inneren des Tempels erschienen zwei Männer.
Beide hatten ihren Kopf kahl rasiert und trugen altmodische Priesterroben. „Herzlich Willkommen im Wolfsdorf! Ich bin Meister Kirito Yamasen. Ich bin hier der Oberpriester. Es freut mich sehr euch alle kennen zu lernen.“ Meister Yamasen machte eine knappe Verbeugung und wandte such Mr. Hudgie zu. „Vor allem freut es mich meinen alten Freund nach so vielen Jahren wieder zu sehen.“ Die beiden Männer umarmten sich herzlich und der Meister sprach gelassen weiter. „Ihr müsst ganz schön hungrig und erschöpft sein. Bitte kommt mit mir mit. Ich zeige euch eure Schlafplätze.“ Der andere Mann nahm Gabriels und Lauras Koffer und ging hinein. Es war ein schmal geschnittener Tempel, der aussah, als hätte man mehrere kleine Holzhütten aufeinander gebaut. Sicherlich stammte der noch aus dem Mittelalter. Meister Yamasen zeigte den Schülern ihre Quartiere. Die Mädchen schliefen gemeinsam in einem Raum. Dort lagen genau sechs matratzenartige Matten perfekt nebeneinander gereiht. Behutsam legte Gabriel Laura auf eins der Betten und deckte sie zu. Du kannst also doch deine weiche Seite zeigen, dachte Shana als sie ihm durch den Türschlitz beobachtete. Das Zimmer der Jungs war ein paar Räume weiter und natürlich genauso ausgestattet. Nachdem alle Koffer in den Räumen abgelegt wurden, zeigte Meister Yamasen ihnen den Rest des Tempels. Er war wie ein Rechteck aufgebaut und im Innenhof gab es sogar einen traditionellen Garten mit einer Pergola und einem schönen Fischteich. Nachdem der Rundgang beendet war, konnte sich jeder noch mal frisch machen, bevor es zum Mittagessen ging. Das Mittagessen wurde ebenfalls ziemlich traditionell serviert und alle aßen gemeinsam die kulinarischen Spezialitäten.
Den Nachmittag hatten die Schüler frei. „Wir fangen morgen früh um sechs mit dem Training an, also genießt eure Freizeit und geht nicht allzu spät ins Bett!“ Erklärte Mr. Hudgie während des Mittagessens. „Was?! Um sechs Uhr?! Das ist doch mitten in der Nacht!“ Resigierend schüttelte der Schullei „Nein Rob, Sechs Uhr in der Früh ist nicht mitten in der Nacht. Sie dürfen in Ihrer Freizeit tun und lassen was Sie wollen doch, wenn Sie zum Training zu spät erscheinen, wird Ihnen auch die Freizeit gestrichen. Das gilt allerdings nicht nur für Rob. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Seine Miene wurde hart. Im Grunde war der Schulleiter ein sehr gelassener Typ, doch er verstand keinen Scherz, wenn man seine Anweisung nicht befolgte. Wenig begeistert stimmten alle Schüler zu und widmeten sich schmollend dem restlichen Mittagessen. Schnell wurde es leerer am Tisch. Charlotte und ihrer Bully-Gruppe schien Freizeit wichtiger zu sein als eine Mahlzeit und verschwanden gackernd. Shana hatte keinen Zweifel daran, dass sie mal wieder über einen von ihnen hergezogen wurde.
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