Sanft packte er sie an ihren Schultern und zog sie zu sich hin. Und dann war es soweit. Sie spürte seinen schnellen unregelmäßigen Atem an ihrem Hals. Auch sie war nervös, hatte Angst vor dem was kommen mochte aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie wolle ihm helfen, ganz gleich was es für sie bedeutete. „Schon gut, du darfst es. Ich vertraue dir.“ Ihre ganze Haut kribbelte, jede ihrer Sinne bis aufs Äußerste geschärft. Den Biss hatte sie sich schmerzhafter vorgestellt. Am Anfang durchzog sie ein kurzer Stich, doch als seine Fangzähne in ihr waren, genoss sie die Gefühle, die sie durchströmten. Es war als würden seine und ihre Emotionen sich vermischen. Sie spürte seine Dankbarkeit und wie sich der Sturm in ihm langsam legte. Dabei schenkte sie ihm das Gefühl der Geborgenheit und ihr Verständnis. Shana vergrub sich fast vollständig in diesem Gefühlswirrwarr, bis er sich von ihr löste. Die Feueraugen verschwanden und es schimmerten wieder die silbernen Augen in dem matten Mondlicht. Ermattet lächelte sie ihn an. „Siehst du, es gibt keinen Grund sich zu fürchten. Ich lebe doch noch.“ Ohne Vorwarnung lächelte er sie an. Er kann also auch zahm sein, wenn er will! „Komm, ich bringe dich nach Hause.“ Shana willigte zufrieden ein und so machten sie sich auf den Weg.
Als Gabriel sich in sein Bett fallen ließ, musste er an seine Begegnung mit Shana denken. Ihr Blut rauschte durch seine Adern. Nach dem Autounfall ist er in ihrer Nähe fast verrückt geworden. Ihr Blut roch so unglaublich verführerisch, dass er ernsthaft glaube die Kontrolle zu verlieren. Deswegen ergriff er lieber die Flucht. Er wollte nur weg, weg von dem unwiderstehlichen Geruch, der sie umgab. Sie ist dir hinterhergekommen und vertraute dir ihr Leben an! Sie vertraute ihm, obwohl sie sich gerade mal ein paar Stunden kannten. Er glaubte es ihr nicht nur, weil sie es so eindringlich sagte, er hatte es gespürt als er ihr Blut trank. Und er wusste, dass er ihr auch vertraute. Shana war anders als die anderen Weiber aus der Schule. Er wusste es von Anfang an. Sie fürchtete sich nicht vor Unbekanntem, sondern ging von Neugierde gelenkt darauf zu. Und das faszinierte ihn. Sie ist anders. Sie ist wie du… Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal so ruhig war. Sie hat dieses unerträgliche Verlangen in ihm stillen können. Er war unglaublich dankbar. Dankbar und erschöpft. Mit einem schwachen Lächeln schloss er seine Augen und gab sich seiner Erschöpfung hin.
Beinahe wäre Shana am nächsten Morgen zu spät gekommen. Als sie um halb acht auf die Uhr schaute, sprang sie sofort aus dem Bett und machte sich in Windeseile zurecht. Ohne Frühstück oder die Zeit in den Spiegel zu gucken, rannte sie aus dem Haus Richtung Schule. Zum Glück schaffte sie es noch gerade rechtzeitig in den Unterricht von Mrs. Adiam. Puh! Zum Glück noch pünktlich! Vollkommen fertig und doch stolz setzte sich Shana auf ihren Platz, als ihr ein Gedanke in den Kopf schoss. Verdammt! Warum hast du nicht bevor du gegangen bist in den Spiegel geguckt?! Du Tollpatsch! Jetzt sieht jeder was dir gestern passiert ist! Hecktisch beäugte sie die Stellen, an denen der gestrige Ausflug seine Spuren hinterließ. Als sie weder an ihren Händen noch im Gesicht Schürfwunden sah, kramte sie ihren Mini-Spiegel raus. Ungläubig starrte sie in den Spiegel. Er ist auch nicht mehr da! Der Biss! Er ist auch weg! Erleichtert ließ sie den Spiegel leise in ihre Tasche gleiten, damit keiner etwas merkte. Zum Glück! Das ist noch mal gut gegangen!
Nun konnte sie sich dem dem Unterricht widmen. Der Rest des Tages verlief ohne größere Komplikationen. Keiner schien auch nur irgendetwas bemerkt zu haben. Ha wie denn auch? Deine Wunden sind ja verheilt! Zufrieden grinste sie vor sich hin. Dieses Phänomen und Charlottes andauernden abwertenden Bemerkungen, brachten sie dazu jede freie Minute in einer Bibliothek zu verbringen. In den Pausen war sie in der Schulbibliothek und Zuhause in der ihrer Familie. Shana war so fasziniert von dieser völlig fremden Welt, dass sie gar nicht merkte wie schnell die Zeit verging. In zwei Wochen hatte sie jedes Buch was sie finden konnte über die verschiedenen Elibianerklassen und ihren besonderen Fähigkeiten gelesen. Doch keins verhalf ihr eine Antwort auf ihre Frage zu finden. Was bin ich? Die so einzigartige Selbstheilung entpuppte sich als gar nicht so einzigartig. Sie fand heraus, dass jedes Übernatürliche Wesen diese Gabe besaß. Manche heilten nur schneller als andere. Sich selbst heilen zu können ist also doch nichts Besonderes… Entmutigt legte sie das Buch weg. Obwohl sie in den letzten Wochen wie eine Verrückte gepaukt hatte, wusste sie immer noch nicht viel mehr über Magie und vor allem der Verwendung. Ich hab’s! Ich muss einfach mehr praktische Übungen machen, dann kommt das alles wie von selbst! Es heißt ja nicht um sonst Übung macht den Meister! Mit neuem Ehrgeiz schnappte sie sich ein paar Übungsbücher und ging in den Elkadakurs.
Kapitel 4
„Wir machen einen Ausflug?!“ Obwohl der Kurs nur aus elf Schülern bestand, hatte Mr. Hudgie sichtliche Probleme gegen den Lärmpegel anzureden. Naja, zu mindestens bis seine Faust das Lehrerpult mit einem Schlag zweiteilte. Sofort war es Mucksmäuschen still, keiner traute sich auch nur zu blinzeln. Verlegen räusperte sich Mr. Hudgie und strich mit der anderen hat versöhnlich über das gesplitterte Holz. Wie aus Zauberhand setzten sich die Splitter wieder zusammen und nicht mal ein Kratzer blieb übrig. „Wo waren wir noch gleich? Ach ja. Wir besuchen ab Montag für fünf Tage das nahegelegene Wolfsdorf. Wenn Lauras Vorhersage korrekt ist, wird das Wetter angenehm warm. Trotzdem bitte ich Sie…“ „Is ja krass, das Wolfsdorf!“ Einer der Zwillinge – Shana wusste nicht wer – fand als erstes den Mut wieder und sofort verfielen die Schüler wieder in den Fragemodus. Sätze wie Was machen wir dann da? Sind da auch andere Schulen? und Haben wir da mehr Freizeit? Und ähnliches wiederholten sich sekündlich. Gerade wollte auch Shana ihren Teil dazu beitragen, als der Tisch ein zweites Mal in Einzelteile zerlegt wurde. „Nun ist aber gut!“ Wie beim ersten Mal verfehlte es auch dieses Mal nicht seine Wirkung. „Also wirklich, wenn ihr mich ausreden lassen würdet, müsstet ihr diese Fragen gar nicht stellen! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich bitte Sie trotzdem wärmere Kleidung einzupacken. Der Frühling entfaltet sich gerade erst und außerdem wird es dort abends ziemlich frisch. Ich möchte nicht, dass sich einer von Ihnen erkältet. Elliot, Ihre Frage war schon ziemlich clever. Wie die Meisten von Ihnen wohl wissen, wird das Wolfsdorf nicht von Wolfsdämonen, sondern von wissenden Menschen bewohnt. Zwar streunen dort zu dem alljährlichen Ookamifest ebenfalls Wolfsdämonen rum, die bewohnen allerdings nicht die Stadt, sondern die Berge. Ein guter Freund bat mich ihn und seine Kollegen zu unterstützen. Unsere Aufgabe dort ist unter anderem die Sicherheit der Dorfbewohner und der Besucher des Festes. Zudem achten wir darauf, dass keine Konflikte zwischen Menschen und Elibianern entstehen, also die perfekte Gelegenheit Ihre Kräfte in der Praxis zu erproben. Im Gegenzug zu unserer Leistung wird er Sie im Umgang Ihrer Kräfte unterrichten.“ Dann ging er rum und drückte jedem, außer Damon, Gabriel und Amy, einen Zettel in die Hand. „Was ist das Mr. Hudgie?“ fragte Jenna. „Das ist die Einverständniserklärung Ihrer Eltern. Da sie noch nicht volljährig sind, brauche ich ihr Einverständnis. Bitte bringen Sie mir das Formular noch diese Woche, also bis Freitag unterschrieben wieder mit. Sollte einer Ihrer Eltern Bedenken bezüglich des Ausfluges haben, können sie mich gerne kontaktieren. Meine Nummer steht ebenfalls drauf.“ Dann teilte er, diesmal an alle, einen weiteren Zettel aus.
„Dies ist ein Informationsblatt. Dort stehen Treffpunkt, Abfahrtszeit und noch andere wichtigen Informationen für Sie drauf. Amy, Damon und Gabriel. Obwohl Sie es nicht müssen, bitte ich Sie Ihre Eltern über Ihren Aufenthalt im Wolfsdorf zu informieren. So! Nun ist das Wichtigste geklärt. Sind noch offene Fragen vorhanden?“ Und schon entfachte ein wildes Frage-Antwort-Spiel, das sich irgendwann zu einer hitzigen Diskussion entwickelte. Bis zum Ende der Stunde wurden solche Fragen wie z.B.: Müssen wir den verpassten Stoff nachholen? Schlafen wir in einem Hotel oder einer Jugendherberge? oder Kriegen wir Geld für den Security-Job? Und einiges mehr ausführlich diskutiert.
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