"Das ist natürlich so. Aus formellen Gründen bin ich verpflichtet, Sie auf gewisse juristische Zusammenhänge aufmerksam zu machen." Sie spürte seine humoreske Haltung und lächelte.
"Okay, ich verstehe. Das ist schon in Ordnung."
"In Ihrem Fall geht es um das Grundstück in Nieblum mit dem dazugehörigen Gebäude. Gesetzliche Regelungen gibt es insbesondere im Hinblick auf Grundstücke: Der Nachweis des Erbrechts gegenüber dem Grundbuchamt kann nur durch Erbschein erbracht werden §35 Abs. 1 Satz 1 Grundbuchordnung." Sie schaute ihn an. Er durch das Fenster zum Himmel.
"Die Erledigung der Formalitäten mit der Gemeinde Nieblum, wurde von uns bereits in die Wege geleitet. Wenn Sie also einverstanden sind, das Wohnhaus mit dazugehörigem Grundstück von einer Fläche von rund 3000 Quadratmeter und somit die Erbschaft anzutreten, dann bitte ich Sie hier zu unterschreiben." Sie überreichte ihm das Dokument. Nachdenklich studierte Julian das amtliche Papier.
"Ich hätte da noch eine kleine Frage, Frau Behlendörp. Wir haben das Thema vorhin schon einmal angesprochen."
"Ja bitte." Sie staunte ihn an, war sich eigentlich der Unterschrift sicher.
"Kurz vor meiner Abreise in Appenzell, erhielt ich noch dieses ominöse Schreiben von einem Dr. Jaspers Godbersen, aus Hamburg." Er hielt ihr das Kaufangebot entgegen. Sie runzelte die Stirn, nahm es staunend an sich und las die Zeilen.
"Wissen Sie vielleicht was das soll?" Gespannt wartete er auf ihre Reaktion.
"Das ist mir ehrlich gesagt unerklärlich" Konsterniert las die Anwältin die Zeilen, wurde sichtlich nachdenklicher. Offensichtlich war sie von dem Schreiben überrascht.
"Ich muss zugeben ich bin etwas überrumpelt, Herr Sutter." Aufmerksam studierte sie den Briefkopf und den Umschlag.
"Hamburg." Sie räusperte sich verlegen.
"Eigentlich wurde in dieser Angelegenheit nichts öffentlich publiziert. Zumindest nicht von unserer Kanzlei. Es ist natürlich möglich, dass im Zuge unserer langwierigen Ermittlungen, gewisse Informationen durchgesickert sind." Das Schreiben hatte sie offensichtlich beunruhigt.
"Natürlich wurden aus dem familiären Umfeld von Mangens Jansen einige in Frage kommende Personen kontaktiert. Ein Herr Godbersen war aber ganz sicher nicht dabei." Die Sache war ihr zweifellos peinlich. Zumal sie die Kontrolle über gewisse Vorgänge verloren hatte. Sie bemühte sich professionell dieses Missgeschick zu verbergen.
"Nun denn!" Julian nahm den Brief wieder an sich, steckte ihn zurück in die Sakkotasche.
"Für mich ist das nicht weiter tragisch. Ich war natürlich etwas verwundert. Eigentlich habe ich selber daran gedacht, das Erbe zu verkaufen. Ich meine, die Schweiz liegt nicht gerade an der Nordsee. Das ist kein Geheimnis. Ein Verkauf liegt für mich nahe."
"Es liegt letztendlich an Ihnen, Herr Sutter, was Sie mit der Erbschaft machen. Sie sind die einzige erbberechtigte Person. Sobald Sie juristisch das Erbe angenommen haben, liegt alles Weitere in Ihrem eigenen Ermessen." Sie schien noch immer von dem Brief absorbiert, reagierte inadäquat, faltete nervös die Hände zusammen und spielte mit den Fingern.
"Könnten Sie mir bitte noch kurz die Nachforschungen bezüglich der Erbfolge erläutern? Irgendwie möchte ich vor meiner Unterschrift genauer erfahren, wie ich zu dieser Ehre der Erbschaft gekommen bin."
"Ja, natürlich, wie Sie wünschen." Sie begann fahrig in den Papieren zu wühlen.
"Also die Erbfolge." Sie zog ein Dokument mit einem goldglänzenden Briefkopf aus ihrer Mappe.
"Das hier sind die Ergebnisse unserer sehr langen Recherchen." Sie reichte ihm das Papier. Wissbegierig vertiefte sich Julian in den Stammbaum seiner komplizierten familiären Verbindungen. Niemals zuvor hatte er eine solche Gelegenheit.
"Wirklich sehr Interessant." Erfolglos versuchte er irgendwelche bekannte Personen zu finden. Er schmunzelte, war etwas enttäuscht. Die Namen waren ihm so gut wie unbekannt.
"Könnten Sie mir die Zusammenhänge etwas genauer erläutern? Irgendwie habe ich überhaupt keinen Überblick." Freundlich bat er die Anwältin um etwas Hilfe. In seinen Augen herrschte auf dem Papier das reine Chaos. Unleserliche Namen und Jahreszahlen verwirrten ihn.
"Natürlich, gerne!" Sie beugte sich näher über den Tisch und legte ihren Zeigefinger auf die Unterlagen.
"Also nochmals von vorne. Wenn ich Ihren Brief richtig verstanden habe, war der Erblasser ein Herr Mangens Jansen?"
"So ist es. Der Erblasser war Mangens Jansen." Behlendörp begann die Dokumente fein säuberlich zu ordnen und zu erklären.
"Ich muss zugeben, Ihre Familiengeschichte ist nicht ganz einfach. Es gab einige Unklarheiten zu klären. Der Erblasser, Mangens Jansen selbst, blieb kinderlos." Behlendörps Zeigefinger wanderte über das Papier, zeigte auf Namen und Jahreszahlen.
"Er hatte jedoch eine Schwester. Diese hiess Molid Bandixen. Sie lag somit in der direkten Erbfolge. Leider verstarb sie früh. Sie war mit einem Päder Hellquist verheiratet. Das sehen Sie hier." Sie hielt noch immer den Finger auf das Dokument und fuhr weiter mit ihren Erläuterungen.
"Aus dieser Heirat entsprang eine Tochter, genannt Pöpke Hellquist. Sie war mit einem Urben Hofmann verheiratet, woraus wiederum ein Sohn entsprang, Rauert Hofmann. Dieser heiratete eine Seike Volkerts. Aus dieser Verbindung ging nebst anderen Geschwistern eine Tochter, genannt Eike Hofmann hervor, welche wiederum einen Ooners Lorenzen heiratete."
"Das klingt alles sehr interessant. Es sind alles Namen, die ich noch niemals zuvor in meiner Verwandtschaft gehört habe." Mit dieser Namensflut wusste er nichts anzufangen. Nach wie vor suchte er nach der konkreten Verbindung zu seiner Person.
"Entschuldigen Sie die Unterbrechung." Julian hielt sich die Hand vor den Mund. Ihre Theorie war ermüdend. Er gähnte verstohlen.
"Wo waren wir stehen geblieben? Bei der Hochzeit von Ooners Lorenzen mit Eike Hofmann." Sie fuhr gelassen fort.
"Aus dieser Ehe entsprangen ein Sohn, namens Maads Lorenzen, welcher sich mit Antje Krüss vermählte. Deren Tochter Anna Lorenzen verband sich wiederum mit einem Sönk Löfstedt. Diese beiden waren Ihre Grosseltern mütterlicherseits." Endlich wurde die Sache für Julian greifbar. Die Grosseltern waren eine erkennbare Grösse in der ganzen Angelegenheit.
"Das ist korrekt. Jetzt bekommt das Ganze für mich etwas Licht." Julian bestätigte aufmerksam und las interessiert die Namen auf dem Papier.
"Aus dieser Ehe entsprang ihre Mutter, Lucia Löfstedt, die sich wiederum mit Aurel Sutter, Ihrem Vater aus Appenzell verheiratete."
"Das klingt wirklich ziemlich verworren. Ich frage mich aber, warum sich bis heute keine weiteren Erben finden lassen? Die Ahnenreihe ist doch ganz ansehnlich."
"Da haben Sie natürlich Recht, Herr Sutter. In der Regel waren die Familien kinderreich. Nicht so bei Ihren Vorfahren. Das hat auch mich sehr verwundert." Sie teilte sein Erstaunen.
"Gibt es dafür eine Erklärung?"
"Die gibt es tatsächlich. Im 19. Jahrhundert kam es auf Föhr zu einer grossen Auswanderungswelle in die USA. Im Zuge dieser Entwicklung sind viele Auswanderer verschollen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass wir uns gemäss dem Wunsch des Auftraggebers, längere Zeit eingehend mit Ihrer Ahnenreihe beschäftigt haben. Offensichtlich sind in Ihrer Verwandtschaft mütterlicherseits nie grosse Familien hervorgegangen. Vielfach sogar lediglich Einzelkinder."
"Das wäre eine Erklärung. Aber was meinen Sie mit Auftraggeber?" Julian reagierte verwundert. Ihre Bemerkung war in seinem Bewusstsein geblieben. Mangens Jansen war gestorben, Nachfahren verschollen oder unauffindbar - mit seiner Ausnahme. Wer konnte also als Auftragsgeber fungieren?
"Oh, Entschuldigung! Sagte ich eben Auftraggeber?"
"Ja, das haben Sie."
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