"Obschon ich muss zugeben, dass mich die ungewohnte Ausdehnung hier sehr beeindruckt - und die Ladys natürlich." Ihre geschäftliche Steifigkeit provozierte. Eine Bemerkung zweiten Grades konnte zur Auflockerung nicht schaden.
"Gegenfrage. Waren Sie jemals in der Schweiz?"
"Sehen Sie, da muss ich jetzt passen. Bis jetzt hat es mich noch nie in die Schweizer Berge verschlagen." Sie reagierte verklüngelt.
"Ich wäre dann soweit. Haben Sie die nötigen Papiere dabei?" Offensichtlich war sie wieder in ihrem Element und der Smalltalk überwunden.
"Ich hoffe es fehlt nichts. Hier sind meine amtlichen Papiere, die Sie mir angegeben haben."
"Besten Dank." Aufmerksam nahm sie die Unterlagen entgegen.
"Und ich kann Ihnen wirklich nichts anbieten, Herr Sutter?"
"Nein danke. Das ist schon in Ordnung."
"Gut, Herr Sutter. Dann beginnen wir gleich mit den gesetzlichen Formalitäten." Sie zog ein paar Dokumente aus einer glänzenden Aktenmappe.
"Gemäss den vorliegenden Papieren, bestätige ich Ihnen die Richtigkeit Ihrer Identität. Sie sind Herr Julian Sutter aus Appenzell in der Schweiz, wie ich aus ihrem Ausweis entnehme. Dann ist diese Formalität schon mal geklärt." Zufrieden machte sie ihre Notizen und griff nach weiteren Dokumenten.
"Das hier ist der offizielle Erbschein." Sie hielt ihm das amtliche Papier entgegen.
"Den Erbschein?"
"Der Erbschein ist in Deutschland ein amtliches Zeugnis in Form einer öffentlichen Urkunde nach §417 ZPO, das für den Rechtsverkehr feststellt, wer Erbe ist und welchen Verfügungsbeschränkungen dieser unterliegt." Behlendörp antwortete in einem erschreckend trockenen Juristenjargon.
"Kann ich davon ausgehen, dass Sie grundsätzlich daran interessiert sind, das Erbe anzutreten, Herr Sutter?" Die Füllfeder wanderte bereits ohne Deckel durch ihre Finger. Offensichtlich hatte sie es eilig.
"Im Grunde genommen, ja, Frau Behlendörp", liess er sie wissen.
"Gibt es noch irgendetwas, das ich wissen müsste?" Ihre Eile verunsicherte.
"Also ehrlich gesagt, Frau Behlendörp. Wenn das Anwesen hoch verschuldet ist, dann habe ich nicht die finanziellen Mittel dafür aufzukommen. Dann sieht die Sache für mich anders aus." Er stellte sie vor klare Tatsachen.
"Lastet ganz konkret eine Schuld auf dem Erbe?" Seine Frage war klar und deutlich. Er hasste die Arglistigkeit des Kleingedruckten.
"Diesbezüglich kann ich Sie beruhigen, Herr Sutter." Die Anwältin senkte verhalten ihren Kopf und blickte geschäftig auf die Dokumente.
"Es handelt sich um ein sehr altes Anwesen. Das muss ich natürlich unumwunden einräumen." Mit seiner Äusserung schien Julian auf einen wunden Punkt gestossen zu sein. Klar und deutlich hatte er ihr Vorsicht signalisiert.
"Das Gebäude ist jedoch seit langem nicht mehr mit einer Hypothek belastet. Der Erblasser hatte sogar eine gewisse Summe für den Unterhalt des Anwesens hinterlassen." Zweifellos versuchte sie ihn mit einer Verlockung zu erreichen.
"Okay. Aber was heisst alt, Frau Behlendörp?"
"Meines Wissens gegen 250 Jahre." Offensichtlich war ihr diese Antwort nicht leicht gefallen. Erwartungsvoll harrte sie seiner Reaktion.
"250 Jahre. Wow. Das heisst 18.Jahrhundert?" Damit hatte Julian nicht gerechnet. Das Haus auf dem Bild war sichtlich nicht mehr das jüngste. Dennoch war bei einem derart unerwartet alten Haus mit einigen Kosten zu rechnen. Kosten, die er vielleicht nicht würde aufbringen können.
"Genau genommen, wurde das Jansen Haus um 1772 erbaut." Behlendörp präzisierte.
"Ich nehme mal an, das Alter wird kaum etwas über den effektiven Zustand des Hauses aussagen. Es wurde wohl gelegentlich renoviert - oder?"
"Sicher. Bei diesem Alter ist das sicherlich so. Gemäss den Unterlagen wurden immer wieder kleinere Veränderungen und Neuerungen vorgenommen." Julian war erleichtert.
"Zu Ihrer Aussage von vorhin. Was bedeutet eine gewisse Summe?" Er war gespannt und sie schaute ihn mit ernster Miene an.
"Sehen Sie Herr Sutter. Das ist vielleicht das einzige Problem." Verhalten schloss sie die Mappe.
"Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, hat es einige Zeit gedauert, bis die Erbschaftsangelegenheit geklärt werden konnte. Ihr Verwandter Mangens Jansen war keine vermögende Persönlichkeit." Das war nicht weiter verwunderlich. Niemand aus seiner Verwandtschaft war jemals zu grossem Vermögen gekommen. Abgesehen wurde die Bescheidenheit stets hoch gehalten in seiner Familie. Behlendörp fuhr fort.
"Während der vergangenen Zeit, also genauer gesagt, der letzten Jahre, musste der letzte Rest des hinterlassenen Vermögens in die Liegenschaft investiert werden. Das einstige Vermögen ist im Grunde genommen so gut wie aufgebraucht." Sie hatte die Katze aus dem Sack gelassen. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Geldgier war noch nie seine Stärke und im Grunde genommen war ihm diese Antwort einerlei. Nichts gewonnen, nichts zerronnen.
"Jahre?"
"Jahre! Das ist korrekt. Die Suche nach einem Erben hat tatsächlich ein paar Jahre gedauert." Seine Konsternierung war offensichtlich.
"Zu unserer Entlastung muss ich jedoch erklären, dass es nicht an unserer Arbeitsweise gelegen hat. Mangens Jansen war keine einfache Angelegenheit. Sie werden sicherlich anderweitig mehr darüber in Erfahrung bringen können."
"Okay, soweit habe ich das verstanden. Können Sie mir aber versichern, dass ich mit meiner Unterschrift keinen Schuldenberg übernehme?"
"Das kann ich Ihnen durchaus versichern. Das Haus ist so gesehen in einem schuldenfreien Zustand. Zweifellos werden sie jedoch für die Unterhaltskosten aufkommen müssen, wenn es in Ihren Besitz übergeht." Sie liess keine Zweifel über die Auslagen offen. Zumindest nur die Kosten für den gewöhnlichen Unterhalt. Julian war erst einmal erleichtert.
"Es liegt natürlich an Ihnen, ob sie die Liegenschaft letztendlich wieder veräussern. Ich bin mir sicher, dass es Interessenten geben würde. Wir sind jedoch erstlich froh, die Erbfolge geklärt zu haben und den Unterhalt der Liegenschaft wieder in die Obhut einer erbberechtigten Person zu legen."
"Eine erbberechtigte Person? Das klingt interessant. Dann werden Sie mich sicherlich noch über die genaue Erbschaftslinie informieren, nehme ich an?" Das war der Moment auf den Julian gewartet hatte. Über welche familiären Verwickelungen war er in diese Situation geraten?
"Natürlich, Herr Sutter. Das kann ich Ihnen sofort genauer erläutern. Darf ich Sie aber noch um etwas Geduld bitten. Ich würde gerne mit den Formalitäten weiterfahren."
"Klar."
"Die Erteilung eines Erbscheins setzt die Erbschaftsannahme voraus", fuhr sie weiter.
"Diese haben Sie mir somit mündlich bestätigt. Darf ich das so annehmen?" Die Frage stand im Raum. Seine Antwort war entscheidend für die weiteren Schritte. Im Grunde genommen hatte sie seine Bedenken ausgeräumt. Ausser Zweifel war sie eine Geschäftsfrau. Sie wirkte dennoch vertrauenswürdig. Er hatte ein gutes Gefühl.
"Grundsätzlich, Ja. Wie Sie gesagt haben. Ich kann ja immer noch verkaufen." Julian hörte die Münzen klimpern. Zumindest war diese Option beruhigend.
"Wir waren beim Erbschein." Sie notierte seine Zusagen und fuhr weiter.
"Dieser weist gemäss §2353 die Erben und – im Falle der Erbengemeinschaft – den Anteil der Miterben am Nachlass aus. Ferner verweist er auf Beschränkungen des Erbrechts. z.B. die Anordnung der Testamentsvollstreckung §2364 BGB und die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft §2363 Abs. 1 BGB." Sie war wieder zu der trockenen Geschäftsfrau mutiert.
"Ihr Juristenjargon klingt für mich ziemlich kompliziert. Etwas einfacher wäre mir lieber. Ich nehme an es wird schon stimmen." Julian war kein Mann von Formalitäten und der Paragraphenreiterei. Er neigte zu Sarkasmus, wenn er sich mit ihnen zu befassen hatte. Auf alle Fälle führten sie ihm immer jenen Lachanfall von Bundesrat Hans-Rudolf Merz vor Augen, als dieser im September 2010 im Bundeshaus in Bern die Frage beantworten musste, warum immer mehr fertig gewürztes Fleisch in die Schweiz importiert werde.
Читать дальше