'Zorbas' in leuchtend blauer Schrift, griechischem Ambiente und gemütlichem Strassencafé.
"Das macht doch einen guten Eindruck." Julian setzte sich vor dem Gasthaus an einen freien Tisch. Eine bunte Farbenpracht an Blumen schmückte die Fenster des Gebäudes. An den wenigen dunkelglänzenden und ovalen Tischen standen gemütliche Korbstühle. Leuchtende, gelbe Kugeln spendeten ein angenehmes Licht. Er war definitiv angekommen, in einer völlig fremden Welt und auf einem bordeauxroten Sitzkissen.
"Ich kann es kaum glauben, dass die Vorfahren meiner Mutter tatsächlich hier auf dieser Insel heimisch waren!" Aufmerksam musterte er die Umgebung und die farbenprächtigen Häuserzeilen der Geschäftsstrasse. Unweit entfernt sass eine ältere Dame auf einer Sitzbank und kramte in ihrer Tasche. Es waren erst einige wenige Menschen unterwegs. Die Geschäfte waren dabei ihre Türen zu öffnen und die Auslagen auszubreiten.
"Warum sind die damals bloss ausgewandert in unser hügeliges Appenzell?" Nebensächlich las er die Karte auf dem Tisch und überflog die Zeilen.
"Warum gerade in die Schweiz?" Julian sinnierte weiter.
‚Es wäre wirklich äusserst interessant zu wissen, wer diese Menschen waren. Eigentlich weiss ich nicht einmal in welchem Jahr das war." Erneut befiel ihn einerseits Ärger darüber, dass er sich nicht früher für die Familiengeschichte zu interessieren begann, andererseits aber auch eine gewisse Trauer darüber, dass er seine Eltern als direkte Quelle nicht mehr danach fragen konnte. Unerwartet wurde er plötzlich von einem auffällig attraktiven Wesen aus seinen Gedanken gerissen. Ganz langsam war sie eben mit dem Fahrrad vorbei gefahren und hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
"Wow. Die nordische Amy MacDonald" Fasziniert folgte er ihr mit seinen Blicken. Hellbraune, lange Haare, grauer Pullover mit hellblauer Jeans. Weisse Wollhandsandschuhe, einer ebensolchen Mütze und Wollstulpen von den Knöchel bis zu den Knien. Eine grosse Ledertasche hatte sie sich mit einem breiten Trageriemen an ihrem Körper festgebunden. Mit einem eleganten Satz sprang sie von ihrem Rad, stellte es gegenüber dem Gasthaus in einen Fahrradständer und verschwand eilig in einem nahe gelegenen Geschäft. Aus einem Lautsprecher in seiner Nähe, rockte plötzlich ganz leise Maggie Reilly - Everytime we Touch. Mitgerissen wippte er dazu mit seinem Fuss.
"Was darf ich Ihnen bringen, bitte?" Julian wurde plötzlich aus seiner schwärmerischen Beobachtung und fantasievollen Traumwelt geholt. Es war eines seiner ersten Konzerte. Maggie Reilly und Mike Oldfield mit Moonlight Shadow. Viel Zeit ist seither vergangen.
"Oh, Entschuldigung. Ich hätte gerne einen Kaffee." Julian kramte nebenbei in seinem Portemonnaie und suchte nach dem Notizzettel mit der Nummer und der Adresse der Anwaltskanzlei.
"Hier ist er doch." Erleichtert entzifferte er seine fast schon unleserliche und in Eile geschriebene Notiz.
"Behlendörp 0049468 ...' Er zog das Telephon aus seiner Sakkotasche.
"Ich bin echt gespannt wer sie ist und was sie mir zu sagen hat."
"Bitte sehr, Ihr Kaffee." Freundlich stellte ihm die Kellnerin die Tasse auf den Tisch.
"Besten Dank, das ging ja wirklich schnell." Er konnte sich einen kurzen Flirt nicht verkneifen.
"Entschuldigung. Dürfte ich Sie vielleicht kurz etwas fragen?"
"Ja sicher." Neugierig stellte sie sich neben ihn.
"Ich suche die Anwaltskanzlei von Svenja Behlendörp. Es muss hier irgendwo in der ‚Grossen Strasse‘ sein. Ist diese Hausnummer weit entfernt von hier?" Gespannt überreichte er der Kellnerin den kleinen gelben Zettel.
"Sie wollen zur Svenja? Das ist nur ein paar Häuser entfernt." Sie ging ein paar Schritte auf die Strasse und zeigte in Richtung Glockenturm. Eine Windböe zerzauste ihre Haare. Gelassen strich sie die Strähnen aus dem Gesicht.
"Von hier aus können Sie sogar das Haus sehen." Sie reichte ihm den Zettel und machte auf einem Nebentisch etwas Ordnung.
"Die Svenja, also Frau Behlendörp war bis vor ein paar Minuten noch hier. Sie kommt fast täglich zu uns in den Kaffeepausen." Die Kellnerin begann sichtlich zu schwärmen. Offensichtlich gefiel es ihr mit ihm ein paar Worte zu tauschen.
"Es ist daher gut möglich, dass Sie Svenja so früh in der Kanzlei antreffen."
"Das will ich doch hoffen. Ich habe einen Termin." Julian nahm einen Schluck aus der Tasse.
"Sie sind aber nicht aus dem Norden - oder? Ihr Akzent kling eher nach Süddeutschland oder der Schweiz." Sie zeigte sich plötzlich neugierig.
"Nein, nein. Diese Region ist für mich ganz neu. Ich bin in einer Erbschaftsangelegenheit extra aus der Schweiz angereist."
"Ach wirklich? Aus der Schweiz?" Sie wirkte plötzlich etwas verwundert.
"In den letzten Jahren kommen vermehrt Gäste aus der Schweiz zu uns nach Föhr. Ich würde die Berge gerne einmal sehen." Nervös rückte sie den Blumenschmuck auf dem Tisch zurecht.
"Wohin zieht es sie denn auf unserer Insel? Es gibt hier viele interessante Orte."
"Nach Nieblum."
"Wie lustig. Ich bin auch aus Nieblum. Ich wusste gar nicht, dass jemand Verwandtschaft in der Schweiz hatte. Darf ich wissen, wer ihre Familie ist?"
"Das ist mir eigentlich auch noch ein Rätsel. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Offensichtlich eine alte familiäre Angelegenheit."
"Wow, das klingt ja richtig spannend, geheimnisvoll."
"Das trifft sich eigentlich gut. Sie sind auch aus Nieblum? Haben Sie einen Mangens Jansen gekannt."
"Ach. Haben Sie das Jansen Haus geerbt?" Verblüfft horchte sie auf.
"So steht es zumindest in dem Brief, den ich bekommen habe."
"So ein Zufall dass ich Sie treffe. Gut, dass sich endlich jemand um das Haus kümmert."
"Was meinen Sie mit, endlich? Ich verstehe nicht ganz! Haben Sie ihn gekannt?" Julian war etwas konsterniert.
"Ach! Entschuldigen Sie. Ich rede manchmal etwas Unsinn." Sie lächelte plötzlich etwas verlegen und hielt sich die Hand vor den Mund.
"Die Arbeit ruft. Mein Chef ist da etwas ungeduldig. Machen Sie es gut."
"Wenn Sie sich beeilen, können sie Svenja, also Frau Behlendörp sicher noch erreichen." Augenfällig wischte sie auf einmal aufgeregt den Tisch und verschwand eiligst wieder im Eingang.
"Danke auf alle Fälle für die Auskunft." Nachdenklich blickte er ihr nach.
"Das war jetzt wieder eine eigenartige Bemerkung. Das soll einer verstehen." Gedankenversunken rührte er den Rahm und den Zucker in den Kaffee und nippte erneut am Tassenrand.
"Zuerst reagiert diese Beamtin Flor vom Einwohnermeldeamt so eigenartig und jetzt macht auch die Kellnerin so mysteriöse Bemerkungen."
"Okay. Ich verstehe irgendwie schon, dass niemand ins Fettnäpfchen treten möchte. Aber Sorry, Leute. Ich habe diesen Jansen nicht mal gekannt." Aufgeregt wählte er die Nummer der Kanzlei. Erneut erklang das Summen des Ruftons an seinem Ohr. Einmal, zweimal, dreimal...!
"Anwaltskanzlei Behlendörp, Svenja Behlendörp." Er war erleichtert ihre Stimme zu hören. Mit diesem Treffen hatte er fest gerechnet. Eine Terminverschiebung käme ihm höchst ungelegen. Zumal er hier noch keine Menschenseele kannte.
"Guten Morgen, Frau Behlendörp. Hier ist Julian Sutter aus der Schweiz. Ich hoffe, Sie haben gestern meine E-Mail noch rechtzeitig erhalten?"
"Moin, Herr Sutter. Schön von Ihnen zu hören. Besten Dank für Ihre Nachricht. Ich habe sie erhalten. Sind Sie bereits auf Föhr angekommen?" Julian war erleichtert. Offensichtlich hatte alles geklappt.
"Ich bin eben vorhin mit der Fähre aus Dagebüll angekommen. Ich hoffe es ist nicht zu früh. Habe ich Sie gestört?" Die Frage war rein rhetorisch. Natürlich hoffte er darauf, die Sache so schnell und unkompliziert über die Bühne zu bringen.
"Nein, nein. Das ist in Ordnung. Ich bin bereits im Büro und habe Ihren Anruf erwartet. Hatten Sie eine gute Reise und wo sind Sie denn gerade?" Ihre Stimme klang freundlich und interessiert.
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