1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Am Tisch der koridreanischen Gäste unterhielt man sich vorwiegend in deren Landessprache, die neben Gormen und Duna auch einige der Schwarzen Kämpfer recht gut beherrschten. Aber die meisten der Brüder und Schwestern verstanden kein Koridreanisch, und so übersetzten Gormen und Duna für sie. Wenn Traigar mit ihnen sprach, benutzte er aus Höflichkeit die Landessprache von Vulcor, und so flogen Wörter und Sätze in beiden Idiomen hin und her.
Cora erklärte, sie freue sich zwar darüber, dass man sie so freundlich aufgenommen habe und gemeinsam ihren Eintritt in den Orden feiere, aber sie frage sich auch, ob denn niemand der Anwesenden um Nunoc Baryth trauere. Gormen antwortete ihr:
„Für Freude gibt es eine Zeit, für Trauer eine andere. Natürlich sind wir sehr, sehr betrübt über Nunocs Tod, aber er hätte ebenfalls gewollt, dass wir eure Aufnahme in den Orden mit Freude begehen. Nach unseren Sitten und Gebräuchen wird er drei Tage lang im Totenraum aufgebahrt, sodass jeder von ihm persönlich Abschied nehmen kann. Erst danach findet das Begräbnis statt.“
Zweimal unterbrach ein Aufruf zum Gebet das Fest. Alle begaben sich dazu in den Tempel. Erst nach der zweiten Andacht schenkte man Wein aus. Die Feier dauerte weit in die Nacht hinein, bis Gormen schließlich ihr Ende verkündete. Nachdem man den neuen männlichen Ordensmitgliedern Pritschen im Schlafsaal der grauen Mönche zugewiesen hatte (Cora war Duna in das Schlafgemach der Frauen gefolgt), versank Traigar trotz des lauten Chors der Schnarchenden schnell in einen tiefen Schlaf.
Winger staunte, als er kurz nach Monduntergang das Kloster erreichte: Das Tor stand weit offen!
Er erblickte im schwachen Sternenlicht Tische und Bänke und die Überreste eines Festessens im Klosterhof. Was hatte das zu bedeuten? Er schüttelte den Kopf. Unwichtig. Die Befreiung seiner Gefährten war das Einzige was zählte. Geduckt huschte er an der Innenmauer entlang auf die Gebäude zu. Er hoffte den Kerker zu finden.
Die Zellen der Gefangen mussten irgendwo im Kellergeschoß sein, vermutete er. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er eine Treppe nach unten entdeckte. Zuvor hatte er dunkle Gänge durchquert, an Türen gelauscht und einige geöffnet, die Ausdünstung zahlreicher Schläfer gerochen und ihr Schnarchen vernommen, war durch leere Zimmer und Säle geschlichen, immer auf der Hut, aber keiner Wache, keinem schlaflosen Mönch begegnet. Als er, beinahe blind in der Dunkelheit, die Stufen hinabstieg und sich dabei an der Wand entlang tastete, dankte er Wathan-Bejhi, der bis jetzt seine schützende Hand über ihn gehalten hatte.
Er befand sich nun in einem Vorratskeller. In dem halbrunden Gewölbe stapelten sich Fässer und Kisten, Käseräder und Brotlaibe lagen in den Regalen, in tönernen Krügen bewahrte Ziegenmilch ihre Frische. Er konnte dies mit seinen an die Dunkelheit angepassten Augen nur deshalb erkennen, weil am Ende des Gewölbes eine Öllampe schien. Dort befand sich eine mit Eisen beschlagene Tür, und davor kauerte ein schnarchender, grau gekleideter Mann auf einem Schemel, das Kinn auf die Brust gesunken, den Rücken an die Wand gelehnt. Sein Mund stand offen, und die Unterlippe zitterte, wenn er rasselnd den Atem ausstieß.
Winger näherte sich vorsichtig und leise. Um den Hals trug der Schlafende eine Kette mit einem Schlüssel daran. Der Baumeister beugte sich über ihn und roch den weingeschwängerten Atem. Unendlich behutsam hob er die Kette über den Kopf des Mannes. Dann blickte er sich um. Er fand eine Flasche mit Lampenöl auf dem kleinen Tischchen, auf dem die Öllampe stand, träufelte ein paar Tropfen davon auf den Schlüssel und steckte ihn ins Schloss der Tür. Er ließ sich geräuschlos drehen. Zum Glück schienen die Scharniere gut geölt zu sein. Kein Quietschen oder Knarren war zu hören, als er die schwere Tür öffnete. In der engen Zelle saß ein wacher Hauptmann Gother gefesselt auf seiner Pritsche und blickte ihn überrascht an.
Winger trat zu ihm und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Er zog seinen Dolch und schnitt Gother die Fesseln durch.
„Wo sind die anderen?“, flüsterte er leise. Gother antwortete:
„Später. Gib mir deinen Dolch.“
Winger war etwas verwundert, doch er reichte dem Hauptmann die Waffe ohne Zögern. Der trat aus der Zelle und schnitt mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung dem Wächter die Kehle durch. Schmerzgepeinigt riss dieser die Augen auf. Doch er konnte nicht mehr schreien. Er sank auf den Boden und verblutete dort. Winger erstarrte vor Grauen. Er versuchte zu verstehen, was er gerade gesehen hatte, aber er begriff immer noch nicht, als sich der Hauptmann zu ihm umdrehte, ihm das Messer bis ans Heft in die Seite stieß und sagte:
„Tut mir leid, mein Freund. Aber jetzt brauche ich dich nicht mehr.“
Der Schrei einer Frau riss Traigar aus seinem traumlosen Schlaf. Ringsumher erhoben sich die Männer von ihren Pritschen, blickten sich fragend an. Plötzlich riss jemand die Tür auf. Im Durchgang stand eine ältere Nonne. Sie hatte die Kapuze ihrer grauen Kutte zurückgeschlagen, und Traigar erkannte ihre vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen und ihr kreidebleiches Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie mit sich überschlagender Stimme schrie: „Ein Toter! Kommt schnell.“ Dann verschwand sie.
Spin sprang als Erster durch die Tür. Nach ihm drängten sich die Mönche und die Koridreaner durch die enge Öffnung, und es dauerte ein paar Augenblicke, bis Traigar draußen stand. Die Männer umringten etwas, das auf dem Boden lag, und Spin befahl: „Zurück! Macht Platz!“ Auch wenn die wenigsten seine koridreanischen Worte verstanden, so schien ihr Sinn unmissverständlich.
Traigar zwängte sich durch den zurückweichenden Ring aus Menschenleibern und entdeckte, was den Auflauf verursacht hatte: Spin kniete neben einem am Boden liegenden Mann, aus dessen Brustkorb der Griff eines Dolches ragte. Von dem Körper weg führte eine Blutspur den Gang entlang bis zu der offen stehenden Tür des Treppenhauses, das in den Keller führte. Traigar erschrak, als er den Mann erkannte: Winger! Sein blutleeres Gesicht weiß wie Kalk, die Augen geschlossen. Oh, Wathan!
Spin legte die Hand auf die Halsschlagader des Baumeisters und fühlte den Puls. Er stieß einen Seufzer aus und sagte zu Traigars großer Erleichterung: „Er lebt, aber sein Herzschlag ist schwach.“
Inzwischen waren Duna und Cora eingetroffen. Die Heilerin aus dem Dörfchen Brenton hielt sich nicht lange mit Klagen auf, als sie ihren Reisebegleiter da liegen sah, sondern handelte sofort.
„Ich muss die Blutung stoppen. Legt ihn vorsichtig auf ein Tuch oder eine Bahre und bringt ihn in das Krankenzimmer. Es gibt hier doch einen Behandlungsraum, oder?“
Duna bejahte und erteilte knappe Anweisungen. Ein Mönch rannte zurück in den Schlafsaal und holte eine Wolldecke. Kurz darauf trugen vier Männer den auf der Decke liegenden Verwundeten in einen Raum mit einem hohen, breiten Bett und legten ihn darauf. Auf einem Regal standen Flaschen und Salbentöpfe, lagen Verbandszeug, einige scharfe Messer zum Aufschneiden von Pestbeulen und Furunkeln, zum Ausschaben und Aderlassen, sowie Schröpfgläser und viele Dinge, die Traigar nicht einordnen konnte.
Der Raum hatte sich inzwischen mit neugierigen Männern und Frauen gefüllt, und draußen standen noch mehr, die hereindrängten, aber Cora fauchte:
„Alle raus hier, bis auf Duna und einen Heilkundigen, falls ihr so jemanden habt.“
Duna übersetzte. Eine der Ordensschwestern meldete sich energisch: „Ich heiße Myria und bin die Heilerin des Klosters. Vielleicht solltest du das besser mir überlassen!“
Cora antwortete höflich, aber bestimmt: „Ich bin ebenfalls eine Heilerin und wollte dich keinesfalls übergehen, aber dieser Mann ist ein Freund von mir, und deshalb muss ich die Verantwortung für sein Leben übernehmen.“
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