Mathias Döpfner:
Diesen Text finde ich nicht nur ganz großartig, sondern - und ich bin froh, dass unser Gespräch jetzt hier doch eine harmonische Wende nimmt - es ist sogar so, dass ich genau auf der Basis dieser Forderung jede wichtige Entscheidung bei uns im Vorstand treffe. Es ist genau dieses dialektische Prinzip. Wir wollen dieses Unternehmen kaufen oder wir wollen das und das gründen oder wir wollen dies und jenes so machen. Und dann reden und prüfen wir, tagelang, wochenlang. Schließlich kommen wir zu einer klaren Meinung, aber bevor wir es entscheiden, sprechen wir nur darüber, dass das alles falsch und genau das Gegenteil richtig sein könnte. Nur durch diese Selbstwiderlegung kann überhaupt eine richtige Entscheidung entstehen. Wer den Mut zu dieser Selbstinfragestellung nicht hat, der muss sich seiner Sache besonders unsicher sein. Ich glaube die Selbstwiderlegung ist überhaupt für jeden Diskurs wichtig. Theodor Fontane hat gesagt: "Unanfechtbare Wahrheiten gibt es nicht. Und wenn es welche gibt, dann sind sie langweilig." Also, mit Langeweile wollen wir uns nicht beschäftigen, lieber mit anfechtbaren Sachen, die wir infrage stellen. Ich bin vollständig bei Ihnen, Herr Walser.
Martin Walser:
Aber warum nur in wirtschaftlichen Entscheidungen?
Mathias Döpfner:
Nein, überall, im Leben auch.
Martin Walser:
Aber bei Kommentaren nicht? Da nennen Sie das Mäandern.
Mathias Döpfner:
Ja, weil das nicht die Funktion des Kommentars ist.
Martin Walser:
Das Wesen des Kommentars ist nicht, recht zu haben.
Mathias Döpfner:
Der Kommentar kann gerne den Vorgängerkommentar widerlegen. Also, wenn man vorgestern das geschrieben hat, dann schreibt man heute einen Kommentar, der den Kommentar von vorgestern widerlegt.
Martin Walser:
Genau, innerhalb von ein paar Tagen.
Mathias Döpfner:
Man kann auch unrecht haben. Aber in einem Kommentar zu schreiben, einerseits ..., andererseits ..., vielleicht ist es so, vielleicht auch so, ich weiß es auch nicht genau, und im Übrigen ... nur nicht übertreiben. Also, das muss ich nicht lesen.
Martin Walser:
Entschuldigung, wie Sie mich da wiedergeben, da bin ich nicht einverstanden - einerseits, andererseits und ich weiß es auch nicht genau. Bei mir heißt der Satz: "Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr." Und ich habe damit eine längere Erfahrung, kann ich Ihnen sagen.
Mathias Döpfner:
Herr Walser, Ihre Grundbeobachtung halte ich nicht nur für zutreffend, sondern ich halte sie für unendlich wichtig. Ich möchte deshalb ein Missverständnis vermeiden. Das, was ich über einen guten Kommentar sage, dass er entschieden sein soll, dass er Position beziehen soll, dass er mutig sein soll, dass er gerne auch sogar polemisch übertreiben darf - das ist Ihnen ja auch nicht fremd, das tun Sie auch manchmal ganz gerne -, das gilt nicht für eine Zeitung insgesamt. Eine Zeitung muss sich selbst widerlegen. Das ist was ganz anderes. Wenn eine Zeitung nicht den Mut hat zur Selbstwiderlegung oder auch neudeutsch zum Binnenpluralismus, dann wird es nicht funktionieren. Wenn ein Blatt acht Wochen lang für den Beitritt der Türkei in die EU votiert, dann muss ich irgendwann auf dieser Strecke ein paar Mal eine klug geschriebene Selbstwiderlegung lesen. Denn wenn das die bisher vertretene Linie nicht aushält, dieses Maß an Selbstwiderlegung, dann taugt diese Haltung auch nix. Das heißt: Innerhalb einer Zeitung muss es unbedingt diesen Mechanismus der Selbstwiderlegung geben, aber bitte nicht innerhalb eines Kommentars.
Das Gespräch wurde am 30. April 2012 veröffentlicht.
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