Es gab damals Eskalationen, die aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr nachvollziehbar sind, vor denen ich staunend stehe und frage: Wie konnte das sein? Was mich interessiert, ist, wie wir uns heute dazu verhalten. Da interessiert mich auch, Herr Walser, wie Sie sich verhalten. Sie sind ja ein virtuoser Großmeister der Ambivalenz. Das ist für einen Schriftsteller, für einen Künstler eine legitime, vielleicht sogar die einzig richtige Haltung: Man macht sich mit nichts gemein, auch nicht mit einer guten Sache. Neben diesen wunderschönen Passagen, die Sie eben vorgelesen haben - eine Sternstunde der poetischen Ironie - gibt es noch eine andere Stelle im Tagebuch, die sich mit Axel Springer befasst. Dort heißt es, man solle doch alle deutschen Zeitungen unter dem Dach Axel Springers vereinigen, alle Zeitungen sollten ihm gehören. Dann wäre sein Expansionsstreben gedämpft, dann gäbe er endlich Ruhe, und dann richteten seine Zeitungen auch keinen Schaden mehr an. Beide Stellen sind von wunderbar spöttischer Ironie und einem subtilen Angriffsgeist getragen, aber so ganz ohne Sympathie sind sie auch nicht. Beide Texte sind ambivalent. Und dann sagen Sie, in dem Film seien Sie einem Axel Springer begegnet, den Sie sich so nie hätten vorstellen können, der mit dem Klischee so gar nichts zu tun hat. Mich würde interessieren: Hat sich Ihre Wahrnehmung Springers im Laufe der Zeit verändert? Oder ist es bei dieser schwebenden Ambivalenz geblieben?
Martin Walser:
Ambivalenz ist ja ein Fremdwort.
Mathias Döpfner:
Dann Zwiespältigkeit. Man könnte auch, negativ, Unentschiedenheit sagen.
Martin Walser:
In meinem Seelenturmgelände musste ich das halt so formulieren. Und ich habe, das muss ich sagen, an der Person nicht weiter teilgenommen. Mir hat hauptsächlich Böll leidgetan. Es hieß: Der Böll kann nicht mehr schreiben, den lähmt das. Wenn über dich das und das jeden Tag groß in der Zeitung steht, dann bist du erledigt, zumindest eine Zeit lang. Böll war für mich die Hauptleidensfigur in dieser Zeit. Und ich habe mich nicht um die politischen Einzelheiten kümmern können.
Sie haben sich sehr früh in sehr mutiger Weise für die deutsche Wiedervereinigung engagiert. Hat Sie dieses Thema damals der Figur Axel Springer nahegebracht?
Martin Walser:
Ja, gut, das habe ich auch jetzt in diesem Film erfahren und höre es jetzt wieder. Da staune ich jedes Mal. Weil, ich wäre glücklich gewesen, wenn ich gemerkt oder gewusst hätte, dass Springer das auch so will. Von Springer kam für mich nur rüber, dass er die DDR in Anführungszeichen schreiben ließ. Ich habe mich mit der deutschen Teilung nicht abfinden können, und dafür wurde ich von meinesgleichen geschmäht. Ich wäre dankbar gewesen, Axel Springer hier als Verbündeten zu haben.
Das wundert mich schon sehr. Wenn es irgendein Alleinstellungsmerkmal, wie man heute sagt, des Axel Springer Verlags gegeben hat, dann war es, dass Axel Springer -spätestens seit seiner gescheiterten Moskaureise 1958 -stets gesagt hat, dass er sich mit der deutschen Teilung nicht abfinden wird. Das konnten Sie doch nicht übersehen!
Martin Walser:
DDR in Anführungszeichen - das habe ich mitgekriegt. Komischerweise hatte ich trotzdem nicht den Eindruck, er will auch die Wiedervereinigung.
Sie schreiben in Ihrem Tagebuch auch: "Natürlich habe ich in den 60er-Jahren eingestimmt in die lauten Parolen: Enteignet Springer". Ich habe das damals auch getan. Aber warum war es natürlich?
Martin Walser:
Ich erlebte den Verlag als eine Macht, und jede Art von Macht machte einen Intellektuellen zum Gegner. Man fühlte sich immer schon vorweg angegriffen. Man wusste, die müssen sich nicht rechtfertigen für das, was sie dir tun. Aber du musst alles rechtfertigen, was du gegen sie tust. Das ist der Unterschied zwischen Macht und Ohnmacht.
Mathias Döpfner:
Das ist das erste Argument, das ich wirklich nachvollziehen kann. Es ist ein freiheitlich-antiautoritärer Grundreflex jedes frei denkenden Menschen, dass er diese natürliche Skepsis hat. Die spiegelt sich ja auch in Ihrem Traum - in der Vorstellung, wie Axel Springer da in seinem Jet über den Wolken, knapp unter Gott so vor sich hin reist. Jedoch: Bei dieser einerseits verständlichen und natürlichen Skepsis der Kleinen gegen die Großen, der da unten gegen die da oben, der Armen gegen die Reichen, der Ohnmächtigen gegen die Mächtigen übersehen Sie, was Ihnen doch auch immer so wichtig ist - den einzelnen Menschen. Wie konnte es sein, dass Ihr Reflex gegen die Institution Axel Springer Ihren neugierigen schriftstellerischen Blick auf den Menschen Axel Springer verschattet hat?
Martin Walser:
Ich habe vielleicht die Person zu wenig wahrgenommen. Ich kann das heute nicht mehr sagen. Ich weiß nur, dass - je länger, je deutlicher - die Machtposition der "Bild"-Zeitung mich bedrängt hat.
Herr Walser, Sie wissen, dass der positive Bezug zum Staat Israel und zu seinem Existenzrecht ein ganz existenzieller Punkt im Selbstverständnis dieses Verlages ist. Was halten Sie davon?
Martin Walser:
Da kann ich nur zustimmen. Das habe ich mitbekommen und habe es immer geachtet. Das ist mir wieder aufgefallen, als ich kürzlich den Film über Axel Springer sah, das hat mich sehr berührt. Wie er da in Israel gezeigt wurde - ich muss sagen, ich kenne keinen, der so glaubhaft diese Haltung verkörpert hat. Hier gibt es nicht so viel Differenz.
In der Auseinandersetzung über das jüngste Gedicht von Günter Grass haben Sie sich weithin zurückgehalten, Herr Walser. Warum?
Martin Walser:
Es ist einfach so: Ich habe vor zehn Jahren schon öffentlich gesagt, dass ich mein Leben im Reizklima des Recht-haben-Müssens verbracht habe und dass ich das endlich nicht mehr will, weil ich es für den intellektuellen Bewusstseinszustand nicht für erträglich halte, mit Meinungen zu paradieren.
Damit liege ich natürlich jenseits von dem, was Sie jetzt von mir gerne hören wollen. Das wäre sozusagen mein Freiheitsbedürfnis, keine Meinung haben zu müssen und auch dazu keine Meinung haben zu müssen. Ich habe an diesem Tag vier Zeilen notiert, Karfreitag 2012. Sie lauten: "Die Welt ist ein großes Geräusch. Danken wir denen, die es machen. Wenn es auf einmal still wär', hätten wir nichts mehr zu lachen." Das ist wirklich meine Haltung. Wir danken euch, weil ihr dieses große Geräusch macht. Das ist euer Beruf. Das sollt ihr haben. Aber, bitte schön, ich will daran nicht teilnehmen.
Mathias Döpfner:
Aber, Herr Walser, jetzt geht mir die Ambivalenz dieses...
Martin Walser:
Das ist keine Ambivalenz. Es ist eindeutig.
Mathias Döpfner:
Nein, nein, das hat aber auch was von sich Drücken. Entschuldigung. Ich finde, das ist schon ein Thema, da muss man sagen, wo man steht. Sie haben in einem Interview mit der "Zeit" gesagt, Sie wollten sich dazu nicht äußern, aber eines stehe für Sie fest, Grass sei kein Antisemit.
Martin Walser:
Ja.
Mathias Döpfner:
Jetzt möchte ich was vorlesen. Eine Ergänzung von Henryk M. Broders aktuellem Buch "Vergesst Auschwitz". Es passt so gut dazu, dass ich - als ich das in der "Zeit" gelesen habe und diesen Text kurze Zeit davor - daran denken musste.
"Der Schauspieler Michael Degen sagt, Grass sei kein Antisemit, aber ein Antiisraeli. Der Historiker Michael Wolffsohn sagt, Grass sei kein Antisemit, er habe allerdings Probleme mit den Juden und Israel. Der ehemalige israelische Botschafter in der Bundesrepublik Shimon Stein sagt, er halte Grass weder für einen Antisemiten noch für einen Feind Israels, klar sei nur, dass er sich mit der Problematik schwertut. Man müsse den Antisemitismus gezielt bekämpfen, aber nicht dort, wo es ihn nicht gibt. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagt, es gebe keine Belege dafür, dass Grass schon immer ein Antisemit war, allerdings habe Grass in seinem Gedicht 'Was gesagt werden muss', das von der ,SZ' gedruckt wurde, den Antisemitismus ganz klar geboten. Der Talkshow-Master Michael Friedman sagt, Grass sei kein Antisemit, er spiele allerdings mit antisemitischen Klischees. Der israelische Historiker Tom Segev sagt, Grass sei kein Antisemit, nicht antiisraelisch, auf keinen Fall gegen Israel in irgendeiner Weise. Der Erziehungswissenschaftler Michael Brumlik sagt, Grass ist kein Antisemit, er bedient sich aber antisemitischer Deutungsmuster. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse sagt, es wäre fatal, wenn man Günter Grass wegen dieser einseitigen kritischen Position zum Antisemiten erklären würde. Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD sagt, Günter Grass ist kein Antisemit."
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