"Ich hätte Springer gerne als Verbündeten gehabt"
Schriftsteller Martin Weser gilt als einer der bedeutendsten Erzähler und Dramatiker der Nachkriegszeit (Patrick Seeger/dpa)
Ist Günter Grass ein Antisemit? Woher kam der Zorn der Gruppe 47 auf Axel Springer? Ein Gespräch zwischen dem Schriftsteller Martin Walser, Verlagschef Mathias Döpfner und "Welt"-Herausgeber Thomas Schmid
Eine Woche vor dem 100. Geburtstag Axel Springers trafen sich der Schriftsteller Martin Walser und der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, zu einem Gespräch über den Verleger und den von ihm gegründeten Verlag. Moderiert wurde die Diskussion von Thomas Schmid, dem Herausgeber der "Welt"- Gruppe. Wir veröffentlichen im Folgenden Auszüge aus dem Gespräch.
Martin Walser möchte zu Anfang einen Auszug aus seinem Tagebuch aus dem Jahr 1978 vorlesen, der sich mit Axel Springer befasst -ein Text aus einer anderen Zeit.
Martin Walser:
Ja, der kommt bei mir im Tagebuch auch vor, also kann ich das von 1978 auch mal vorlesen. Aber ich muss sagen, ich bin in der Zwischenzeit im Fernsehen absichtslos in einen Film über Springer hineingekommen. Fazit: Ich habe diesen Springer nicht gekannt - also die Person, die Temperatur, die Atmosphäre, die Gefühlsart, die Bewegungen. Davon habe ich nie etwas erfahren, von diesem Menschen, der da gezeigt wurde, sondern ich habe eben nur diesen veröffentlichten Springer wahrgenommen. Was ich da im Tagebuch geschrieben habe, ist ein unschuldiger Versuch, auf eine zeitgeschichtliche Größe zu reagieren. Denn wenn man das schreibt, denkt man überhaupt nicht daran, dass man das je veröffentlicht. Also: Am 19.4.1978 war ich auf Lesereise, wie immer. Und ich habe in Gießen in der Pension "Betty Dornberger" im dritten Stock gewohnt, neben einer Apotheke, die auch den Dornbergers gehörte, in der Selterstraße. Im Reiseplan war der nächste Tag das Hotel "Dornberger Hof". Und dann habe ich, weil ich noch Zeit hatte, etwas geschrieben. Da heißt es dann:
"Der wahrhaft kühne Versuch, sich vorzustellen, wie A. C. Springer, R. Mohn, Gruner und Jahr und Abs auf einen Kafkatext reagieren. - Lächeln sie? Können Herrschende lesen? Herrschende können beten. Das konnten sie immer schon. Ich stelle mir vor: A.C.S. betet so: Lieber Gott, Gott sei Dank bist du ein lieber Gott, sonst wäre es nicht auszuhalten in dieser Welt. Du bist wirklich ein lieber Gott. Du lässt die Bolschewisten leben. Ich habe Geduld mit deiner Geduld, lieber Gott. Irgendwann wirst du ihnen schon alle Haare vom Kopfe fallen lassen, dass sie dann ein wenig frieren. Ich bin ein Sünder, lieber Gott, du weißt es, trotzdem schlägt dein Blitz nie in meinen Jet. Du bist eben ein derart erhabenes Prinzip, lieber Gott, dass es dir gleichgültig ist, ob ich mit meinem Jet unter dir herrase oder ob ich barfuß, die Sandalen in der Hand, durchs abendliche Watt wandere. Du findest es gut, dass es die, Bild’-Zeitung gibt. Ich auch. Mein Gott, lass auch Wallraff ruhig schlafen. Verzeihe den bösen Linken, sie wissen wieder einmal nicht, was sie tun. Ich will jetzt noch eine Seite Kafka lesen, lieber Gott, weißt du, so eine Seite, auf der die Prosa bis zum Exzess nach Gerechtigkeit strebt. Ich finde, Kafka war sehr streng, vor allem gegen sich. Und das gefällt mir an ihm. Ich bin auch streng gegen mich. Gegen meine Umwelt aber bin ich milde. Wenn es nach mir ginge, sollte die, Bild’-Zeitung nicht in Druckereien, sondern in Gärtnereien entstehen. Überleg dir das einmal, lieber Gott, ob du die, Bild’-Zeitung nicht unter die Gewächse der Schöpfung aufnehmen könntest, dass sie gediehe wie Gurken und Tomaten und so natürlichsten Rang erhielte. Du bist ein gewaltiges Prinzip, lieber Gott, entschuldige, wenn ich mich dir als Partner anbiedere. Ich schäme mich. Ich bin eben so fromm. Manchmal hab ich das Gefühl, ich sei dein zweiter Sohn. Also verfolgt genug bin ich. Was war Pilatus gegen Wallraff? Aber bitte, tu, wie du willst. Ich gebe nur zu bedenken, dass auch du dabei gewinnen könntest, wenn die Blätter der, Bild’-Zeitung unmittelbar aus deinen Händen wüchsen. Es wäre für dich eine gute Werbung. Die du nicht brauchst. Das weiß ich. Vielleicht reden wir morgen Abend noch einmal darüber. Jetzt lese ich noch eine Seite dieses unerbittlichen Kafka. Das finde ich eigentlich ganz nett von mir. Denn nötig habe ich es wirklich nicht." Soweit 1978.
Mögen Sie das aus heutiger Perspektive und Kenntnis kommentieren?
Martin Walser:
Das kann man gar nicht kommentieren. Ein politischer Schriftsteller, der zu sein ich nie beansprucht habe, würde wahrscheinlich so über Springer nicht geschrieben haben. Für mich war das einfach ein Versuch, mich mit dieser zeitgeschichtlichen Größe und jetzt vor allem auch Macht einfach einmal per Prosa via Kafka zu beschäftigen. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können oder wollen, aber es ist ja nicht ein realistisches Verhältnis. Es ist ja kein Urteilsverhältnis, sondern ein reines Gefühlsverhältnis zu diesem Menschen, der da mit dem Jet unter Gott herrast oder mit Sandalen in der Hand durchs Watt geht. Das ist ja noch nicht einmal Satire. Man denkt einfach: Wie könnte man die "Bild"-Zeitung in diesem Kosmos unterbringen? Dann kommt es zu solchen Stimmungen.
Sie haben eben gesagt, es ist ein Gefühlsverhältnis gewesen zu Axel Springer. Warum haben zu diesem Verlag, zu seinen Publikationen, zum Verleger so viele Menschen ein reines Gefühlsverhältnis gehabt, das von Fakten nicht eingetrübt werden konnte?
Martin Walser:
Von diesen vielen Menschen haben natürlich auch sehr viele ein Urteilsverhältnis und kein Gefühlsverhältnis dazu gehabt. Ich weiß nicht, in welchem Jahr das war, als die Gruppe 47 formuliert hat: Enteignet Springer. Das war ja der Versuch, ein Urteilsverhältnis zu einer Institution, zu einer öffentlichen Macht herzustellen. Ich muss sagen: Der Hauptgrund, warum sich unsereiner so zum Springer-Verlag verhalten hat, lag - zumindest soweit es mich betrifft - in der Art, wie der Verlag Heinrich Böll behandelt hat. An einer anderen Stelle in dem Tagebuch heißt es: "Die 'Bild'-Zeitung macht für mich Böll zum Heiligen, zum Märtyrer." So haben wir das wahrgenommen: Böll wurde verfolgt wegen seines Buchs "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Ich könnte auch nicht mehr schildern, wie die Argumente waren. Ich weiß nur noch: Für uns, für mich war das der heilige Böll, der unter Springer leiden musste.
Mathias Döpfner, wie beurteilen Sie den damaligen Umgang des Hauses Springer mit Heinrich Böll?
Mathias Döpfner:
Ich kann nicht beurteilen, wie das Haus Springer mit Heinrich Böll umgegangen ist, weil ich damals nicht dabei war. Ich habe einiges aus den Archiven gelesen. Und ich wiederhole, was mittlerweile fast schon zu einer Floskel erstarrt ist: Ja, es gab große Fehler. Ja, es gab Eskalationen. Ja, Springer hat sich leider von seinen Gegnern in den Schützengraben treiben lassen, und Journalisten des Hauses haben Dinge geschrieben, die man besser nicht geschrieben hätte, ganz sicher auch im Umgang mit Heinrich Böll.
Aber, ehrlich gesagt, was mich jetzt mittlerweile mehr interessiert als die Frage, wie Springer mit Heinrich Böll umging, ist die Frage, wie Heinrich Böll mit Springer umging. Es gibt diesen berühmten Artikel von Heinrich Böll über das freie Geleit für Ulrike Meinhof. Er hat in diesem Artikel erstens einen Untersuchungsausschuss wegen Volksverhetzung gegen Axel Springer gefordert und ihm zweitens am Ende des Artikels gewünscht, dass er an der ihm im Halse steckenden Gräte des Weihnachtskarpfens ersticken möge. Er hat ihm also den Tod gewünscht. Das ist ganz harter Tobak. Der Anlass war ein Artikel in der "Bild"-Zeitung über einen Bankraub der RAF, bei der ein Polizist erschossen worden ist. Und die Überschrift der "Bild"-Zeitung war: "Die RAF mordet weiter". So war es auch. Zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung aber war noch nicht im juristischen Sinne erwiesen, dass es sich tatsächlich um einen Anschlag der RAF handelte. Es war nur mit allergrößter Wahrscheinlichkeit der Fall, und darauf wurde im Text auch hingewiesen: Es handele sich mutmaßlich um einen Anschlag der RAF. Diesen Umstand, dass in der Überschrift diese Differenzierung nicht vorkam, nahm Böll zum Anlass, Axel Springer den Tod zu wünschen.
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