Wenn das Pferd, im Film Joey genannt, so wichtig war: Wie castet man ein Pferd?
Ich habe meinen Pferdeflüsterern voll vertraut, und sie haben Finder ausgesucht, der vor einigen Jahren schon in "Seabiscuit" die Hauptrolle spielte. Sie hatten nicht lange Zeit zum Training, nur ungefähr fünf Monate.
Jeremy Irvine, der Darsteller des Jungen, der dem geliebten Pferd in den Krieg folgt, hatte vorher nur etwas Amateurtheater und ein wenig Fernsehen gespielt. Das war ein Casting, nehme ich an, das Sie selbst überwacht haben.
Aber sicher. Ich habe schon einer ganzen Reihe von Kindern ihre erste Chance verschafft, Christian Bale, Drew Barrymore, Josh Brolin. Kinder lernen schnell und werden schnell zu Profis, beinahe zu schnell. Bei Jeremy brauchte es nur eine Woche, dann verzog er sich schon in eine Ecke, um sich auf die nächste Szene zu konzentrieren. Ich ging dann zu ihm und forderte ihn auf: "Fang nicht an zu denken, bereite dich bloß nicht vor. Komm einfach auf das Set!"
Ihr Konzept sah einen weitestgehenden Verzicht auf digitale Tricks vor. Das ist heutzutage ein schon beinahe kühnes Konzept.
In vielen Szenen habe ich mich einfach auf die Intelligenz von Finder verlassen. Deshalb gibt es keine Extremsituationen, die man einem digitalen Pferd zugemutet hätte, aber keinem aus Fleisch und Blut. Das Wichtigste sind Joeys Augen: Wen sieht er an, und wie sieht er ihn an? Die Emotionen dieser Geschichte kommen aus den Augen, nicht aus den Stunts. Es geht um Augenkontakt, und das ist viel intimer, als man es von einer Kriegsgeschichte erwarten würde.
Sie haben in den vergangenen fünf Jahren vier Kinofilme gedreht, das ist normal. Aber in der gleichen Zeit fungierten Sie auch als Produzent von mehr als zwanzig Spiel-und Fernsehfilmen. Das ist ungeheuer viel, fast beunruhigend viel. Warum diese Hyperaktivität?
Das ist für mich überhaupt nichts Neues. Ich habe schon als Kind immer mehrere Dinge parallel getan. Und kaum hatte ich meine ersten eigenen Filme inszeniert, begann ich zu produzieren, damals das Debüt meines alten Freundes Robert Zemeckis. Regieführen, das gebe ich zu, befriedigt mich viel mehr als Produzieren. Andererseits liebe ich es, Talenten eine Chance zu verschaffen. Das ist letztlich der Grund für die Existenz von DreamWorks. Mimi Leder hat zum Beispiel für uns "Emergency Room - Die Notaufnahme" produziert, und ich bewunderte ihre Arbeit, also gab ich ihr die erste Chance im Kino mit "Project: Peacemaker" mit Clooney und Kidman. Oder ich sah im Londoner West End eine wundervolle Inszenierung des Musicals "Oliver" durch Sam Mendes und habe ihm daraufhin seinen ersten Kinofilm "American Beauty" angeboten.
Wie halten Sie den Geldmenschen und Organisator, der ein Produzent nun einmal auch sein muss, und den Künstler in sich in der Balance?
Daran denke ich überhaupt nicht. Mein größter Balanceakt besteht darin, wie ich Filme machen und gleichzeitig ein guter Vater von sieben Kindern sein kann. Vor allem wenn die Kinder größer werden und ihren eigenen Kopf bekommen.
Sie haben sieben Kriegsfilme gedreht, mehr als in jedem anderen Genre. Mit welchem würden Sie die "Gefährten" am ehesten vergleichen?
Ich glaube, dass ich noch nie einen Film dieses Stils gedreht habe. Aber ich wage einen Vergleich: Was die Stimmung angeht, habe ich mich an John Ford orientiert, an "Der Sieger" oder "Der Verräter". Auch "Gefährten" handelt viel von dem Charakter des Landes, in dem er spielt, und das war immer die Domäne von Ford, dem das Land so wichtig war wie die Geschichte, ob im Monument Valley oder in Irland. "Gefährten" war die wohl einzige Chance, die wunderbare Landschaft von Dartmoor und Devon in einem meiner Filme unterzubringen.
Versuchen Sie bewusst, sich nicht zu wiederholen?
Das ist keine bewusste Entscheidung. Ich habe mir vor "E.T." nicht überlegt, dass ich nur ein paar Jahre zuvor mit "Unheimliche Begegnung der dritten Art" bereits einen anderen Film über Außerirdische gedreht hatte. Die "E.T."-Idee war mir sogar am Set von "Begegnung" gekommen. Man kann über Ideen auch zu lange nachdenken. Für all meine Filme gilt: Es hat immer eine Million Gründe gegeben, jeden einzelnen von ihnen nicht zu machen.
Man sagt von Spielberg-Filmen, sie verzauberten ihr Publikum. Welche Filme verzaubern Sie?
Als ich "Avatar" sah, habe ich mich wieder wie ein Zwölfjähriger gefühlt. Ich dachte, ich fliege mit den Na'vi. Einen solchen Film, der mich für zweieinhalb Stunden in meine Kindheit zurückversetzt, hatte ich jahrelang nicht gesehen. Ich war zwar am Set gewesen, aber als ich bei der Teampremiere die 3-D-Brille aufsetzte, hatte ich keine Ahnung, was mir bevorstand. Das war mir zuletzt mit "Krieg der Sterne" passiert.
Leben wir an der Wende zu einer völlig neuen Ära des Kinos?
Was sich nie ändert, ist die Wichtigkeit einer guten Geschichte. Alles andere ist ein Werkzeug, mit dem diese Geschichte erzählt wird, und auch 3-D ist ein Werkzeug aus dieser Kiste. Es stellt den Regisseuren eine neue Wahlmöglichkeit zur Verfügung, wie in den 40er-Jahren, als zum Schwarz-Weiß die Farbe hinzukam. Oder wie in den Fünfzigern: Drehen wir in Cinemascope oder auf Normalbreite? Oder wie in den Neunzigern bei "Jurassic Park": Mache ich die Saurier mit dem bewährten Stopptrick-Verfahren, oder gehe ich das große Risiko ein, computergenerierte Saurier zu verwenden? Wenn ich etwas gelernt habe, dann dies: Man sollte nie einen Film mit der einzigen Absicht drehen, ein neues Werkzeug zur Schau zu stellen.
Das Interview führte Hanns-Georg Rodek. Es wurde am 29. Januar 2012 veröffentlicht.
Stéphane Hessel
"Deutschland muss mehr tun"
Widerstandskämpfer und Erfolgsautor Stéphane Hessel (Philippe Wojazer/Reuters)
Der französische Bestseller-Autor bewundert Kanzlerin Merkel in der Krise, wünscht sich aber trotzdem eine linke Regierung
Er war bereits 93 Jahre alt, als er mit seiner Streitschrift "Empört euch" weltberühmt wurde: Der Deutsch- Franzose Stéphane Hessel, Sohn des Schriftstellers Franz Hessel, fordert in dem Pamphlet eine Rückkehr zu den Idealen der französischen Résistance- Kämpfer und ruft die junge Generation zum Widerstand gegen den Finanzkapitalismus auf. "Empört euch" verkaufte sich allein in Deutschland über 500.000 Mal. Nach zunächst euphorischen Reaktionen wurde auch Kritik laut. Während die einen Hessel vorwarfen, sich zu Unrecht als Mitverfasser der UN- Menschenrechtscharta auszugeben (tatsächlich betreute er sie nur als Sekretär bei den Vereinten Nationen), hielten ihm andere eine Passage zu Israel vor: Dort verteidigt Hessel den palästinensischen Terror als "leider verständlich". Der 94- Jährigen über die Zukunft Europas, falsche Empörung und Israel.
Herr Hessel, wir erleben gerade eine besondere Form der Empörung in Griechenland. Dort echauffieren sich die Griechen über das angebliche deutsche Spardiktat. Für Sie nachvollziehbar?
Stéphane Hessel:Ich finde diese Empörung leider ganz natürlich. Die Hilfe für Griechenland geht einher mit einem Druck auf die sozialen Möglichkeiten der Griechen. Europa hat noch keine Vision für eine Sanierung der Wirtschaft. Wir werden immer noch von der Vorstellung getrieben, wir müssten die Schulden bezahlen, anstatt einmal zu überlegen, wie man mehr investieren und mehr für die Armen tun kann. Was hat Europa schon für Griechenland getan? Es hat ihm geholfen, seine Schulden abzubezahlen. Aber es hat ihm nicht geholfen, seine Armen reicher zu machen. Das ist eine richtige Gefahr. Die Empörung der Griechen wird nicht zu einer Balance beitragen.
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